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Politik: Bildungsoffensive: Rau:"Wir müssen ein Bildungsproletariat verhindern" - Bulmahn besteht auf Chancengleichheit für sozial Schwächere

Bundespräsident Johannes Rau fordert eine neue Bildungsreform. In seiner bildungspolitischen Grundsatzrede am Freitag in Berlin mahnte Rau, in Deutschland dürfe kein neues "Bildungsproletariat" entstehen.

Bundespräsident Johannes Rau fordert eine neue Bildungsreform. In seiner bildungspolitischen Grundsatzrede am Freitag in Berlin mahnte Rau, in Deutschland dürfe kein neues "Bildungsproletariat" entstehen. Das Tempo der Veränderung im Bildungs- und Arbeitssektor dürfe nicht zu wachsender sozialer Ausgrenzung und so zu einer neuen Klassengesellschaft führen. Zugleich forderte der Bundespräsident, dass Bildung wieder "ganzheitlich" begriffen werden müsse. Reformen dürften sich nicht in Strukturveränderungen erschöpfen, die Erkenntnisse der Organisations- oder Betriebswirtschaftslehre auf das Bildungssystem übertragen.

Rau hielt seine Rede beim ersten Kongress, den das Forum Bildung seit seiner Gründung im Juli 1999 veranstaltet. Zum Auftakt forderte Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn neue Anstrengungen im Bildungsbereich. "Wir dürfen niemanden zurücklassen, auch diejenigen nicht, die ungünstige materielle oder soziale Startbedingungen haben", sagte Bulmahn. Die Bildungsministerin unterstrich, dass Daten und Informationen mit Wissen und Werten einhergehen müssten. "Fachkompetenz muss mit Sozialkompetenz einhergehen, Fremdsprachen mit interkultureller und lebenslanges Lernen mit Bildungskompetenz", sagte sie.

Der Bundespräsident sagte, "dass sich die Funktion von Schulen und Universitäten nicht darin erschöpfen darf, Boxenstopp für Blitzkarrieren zu sein". Wenngleich Bildung vielleicht sogar der wirksamste Schutz vor Armut sei, ziele sie nicht zuerst auf die Befähigung zum Geldverdienen. "Wir dürfen Bildung nicht darauf beschränken, junge Menschen auf den Beruf und für den Arbeitsmarkt vorzubereiten", sagte Rau. "Selbstständig und frei denken zu lernen: darum geht es nach wie vor."

Der Bundespräsident forderte mehr Geld für den Bildungsbereich. "Die öffentlichen Ausgaben für Bildung und Wissenschaft sind geringer, als wir uns das leisten können." Schüler, Auszubildende und Studierende seien schließlich nicht teure Kostgänger des Staates, Bildung und Wissenschaft die wichtigste Investition in die Zukunft. Rau mahnte vor allem mehr Investitionen bei Grundschule und Kindergärten an. Es widerspreche dem Grundsatz der frühen individuellen Förderung, dass Deutschland in diesem Bereich bis zu 50 Prozent weniger Geld aufwende als andere Länder.

Als Gegenbeispiel erwähnte er die Schwellenländer, die ihren Entwicklungserfolg nicht zuletzt den Ausgaben im Grundschulbereich verdankten. "Wir müssen das Rad nicht neu erfinden", sagte der Bundespräsident mehrfach. Deutschland habe immerhin den dritthöchsten Ausbildungsstand der Welt. Aber es gehe darum, in einer Reform die Qualität der Bildung zu verbessern. Auch wenn sich Beruf und Alltag rasant veränderten - Bildung brauche Zeit. Schüler müssten die Chance haben, Umwege zu beschreiten und aus Fehlern zu lernen. Und Lernen sollte Spaß machen. Dann gediehen Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit am besten.

Das Forum Bildung ist eine gemeinsame Initiative von Bund und Ländern, bei der Bildungsexperten die drängendsten Probleme diskutieren. Den Vorsitz hat der bayerische Staatsminister für Wissenschaft, Forschung und Kunst, Hans Zehetmair. Das Forum im Rahmen der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung soll bis zum Jahr 2001 Empfehlungen erarbeiten, die dann von Bund und Ländern in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich umgesetzt werden.

Raoul Fischer

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