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Politik: Bioweizen im Giftlager

Von Maurice Shahd und Heike Jahberg Etwas Besseres konnte der grünen Verbraucherschutzministerin Renate Künast zum Wochenausklang nicht passieren. Der Nitrofen-Skandal aufgeklärt, die Bio-Branche rehabilitiert.

Von Maurice Shahd

und Heike Jahberg

Etwas Besseres konnte der grünen Verbraucherschutzministerin Renate Künast zum Wochenausklang nicht passieren. Der Nitrofen-Skandal aufgeklärt, die Bio-Branche rehabilitiert. Schuld an der Verseuchung von Öko-Weizen, das haben die Behörden herausgefunden, war nicht etwa der ökologische Landbau, sondern „das Raiffeisensystem“, das mit der Vermarktung landwirtschaftlicher Produkte Geld verdient. „Wir werden das aufräumen“, kündigte die Ministerin an. Der erste Anschein gibt Künast Recht. Die Norddeutsche Saat- und Pflanzgut AG (NSP), deren Lagerhalle in Melchen mit Pflanzenschutzmitteln verseucht war, gehört zum Raiffeisenverband. Genauso wie der niedersächsische Futtermittelhersteller GS agri, der seit Freitag kein Bio-Futter mehr ausliefern darf. GS agri wird vorgeworfen, in zahlreichen Proben auf die Nitrofen-Verunreinigungen gestoßen zu sein, das belastete Futter aber dennoch verkauft zu haben. Statt die Behörden habe das Unternehmen lieber seine Versicherung informiert, die ebenfalls zum Raiffeisenverbund gehörende R + V. Die Versicherung habe ihrerseits ein Gutachten in Auftrag gegeben, das in dem vermeintlichen Öko-Weizen neben Nitrofen noch weitere Pflanzenschutzmittel entdeckt hatte. Die Nitrofen-Konzentration der Probe war dabei mit einem Wert von 15,9 Milligramm je Kilogramm Weizen auffällig hoch. Der Grenzwert liegt europaweit bei 0,01 Milligramm.

Obwohl das Gutachten bereits im April fertig war, erfuhr das Verbraucherschutzministerium erst Ende der Woche davon. Überprüfungen der Zulieferbetriebe von GS agri brachten die Behörden auf die Spur der NSP. In einer Staubanalyse fand man 2000 Milligramm Nitrofen auf ein Kilogramm Staub – eine exorbitant hohe Konzentration. Mecklenburg-Vorpommerns Agrarminister Till Backhaus (SPD) wundert das jedoch nicht. Immerhin diente die Lagerhalle im in Melchen bei Neubrandenburg zu DDR-Zeiten als „Lagerstätte der Staatsreserve an Pflanzenschutzmitteln der drei Nordbezirke“. Die NSP hatte die Halle im Oktober vergangenen Jahres gemietet. Inzwischen wurde das Unternehmen, das aus der „Volkseigenen Genossenschaft (VEG) Saat- und Pflanzgut“ hervorging, nach Angaben des Landesministeriums gesperrt.

Für Renate Künast ist der Fall damit geklärt, für andere jedoch nicht. Der grüne Umweltpolitiker Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf hat große Zweifel, ob mit der NSP tatsächlich der einzige Übeltäter dingfest gemacht worden ist. „Ich bezweifle, dass die hohen Nitrofen-Werte allein dadurch zu Stande gekommen sind, dass in der Halle früher Pflanzenschutzmittel gelagert worden sind", sagte der Vorsitzende des Agrarausschusses im Europäischen Parlament. Es sei nicht auszuschließen, dass jemand Pflanzenschutzgifte entsorgt habe, indem sie mit dem Weizen vermischt worden sind. Die Staatsanwaltschaft müsse auf jeden Fall weiter ermitteln, forderte der Europaparlamentarier.

Er habe immer bezweifelt, dass Bio-Bauern selbst Nitrofen gespritzt hätten, sagte Graefe zu Baringsdorf dem Tagesspiegel am Sonntag. Dennoch könnte sich auch die Öko-Branche nicht von aller Verantwortung lossprechen. Die Öko-Bauern müssten prüfen, mit welchen Geschäftspartnern sie sich einlassen, kritisierte der Grünen-Politiker, „sie dürfen ihre Verantwortung nicht an der Hoftür abgeben".

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