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Politik: Birmas ungekrönte Königin

Nach der Freilassung Aung San Suu Kyis sind die Menschen erleichtert – sie erwarten Enormes von ihr

Am späten Samstagnachmittag kam die erlösende Nachricht, auf die so viele gewartet hatten. Birmas Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi, die wohl bekannteste Gefangene der Welt, ist frei. Tausende Oppositionsanhänger empfingen ihre verehrte „Lady“ vor deren Haus am Inya-See in Rangun, wo sie unter Hausarrest gestanden hatte. Sieben Jahre lang war die Dissidentin zuletzt von der Junta weggesperrt worden. Kurz vor Anbruch der Dunkelheit zeigte sich Suu Kyi dann am Zaun ihres Hauses.

Schmal, freundlich und ruhig, aber sichtlich bewegt grüßte sie mehrere tausend Getreue, die ihr dort zujubelten. Sie freue sich, sie alle zu sehen. Suu Kyi sprach nicht lange. „Es gibt eine Zeit zu schweigen und eine Zeit zu reden“, sagte sie. Die Menge war begeistert, die grazile 65-Jährige wieder zu sehen, die in einer schmalen, hellen Bluse und ihren typisch zurückgebundenen Haaren von einer provisorischen Plattform aus sprach. An diesem frühen Abend beließ sie es in der schwülen Luft bei wenigen Worten.

Am heutigen Sonntag soll Suu Kyi vor der Zentrale ihrer Nationalen Liga für Demokratie (NLD) sprechen, ganz in der Nähe der Schwedagonpagode, des nationalen Heiligtums. Wenn alle kommen, die sie verehren, dürfte der Platz dort kaum ausreichen. Möglicherweise wird sie dann wieder zur Schwedagon ziehen, wo sie am 26. August 1988 in ihrer ersten großen öffentlichen Rede wenige Wochen nach den blutig niedergeschlagenen Studentenunruhen zu einer halben Million Menschen sprach und einen „zweiten Kampf für die Unabhängigkeit“ verkündete.

Am Samstagabend lag die NLD-Zentrale in Rangun dunkel und verlassen da. Offenbar hatten die Anhänger die Parteizentrale geschlossen, um zum Inya-See zu fahren. Noch am Mittag hatten viele Anhänger von Birmas ungekrönter Königin dort unter Bäumen am Straßenrand auf die Freilassung gewartet. Bereits am Freitag waren immer mehr ihrer Unterstützer dorthin gekommen, so dass auf dem Bürgersteig kaum mehr Platz war. Die Sicherheitskräfte griffen nicht ein, allerdings halten sich dort stets Geheimdienstmitarbeiter in Zivil auf. Suu Kyis Anhänger trugen weiße T-Shirts mit blauer Schrift. „Wir stehen zu Aung San Suu Kyi“, stand darauf.

Die Menschen in Rangun waren erleichtert, als die Nachricht von der Freilassung sie erreichte. „Sie ist frei, das ist wunderbar“, freute sich ein Endvierziger. Viele Einwohner Birmas sehen in der unbeugsamen Kämpferin für Demokratie eine Art Messias. „Sie wird sich ihre Worte gut überlegen. Und sicher etwas sagen, was für uns alle ein Glück sein wird“, sagte eine junge Passantin. Nach all den Jahren sind die Erwartungen an die Tochter des Nationalhelden Aung San, der 1947 umgebracht wurde, unermesslich hoch. Praktisch jeder – nicht nur Anhänger ihrer NLD – erhofft sich von der Politikerin mit der schmalen Statur die Lösung der verfahrenen Situation.

Die Staatszeitung „Neues Licht von Myanmar“ hatte am Morgen weitere Wahlergebnisse der Abstimmung vom vergangenen Sonntag veröffentlicht – wieder gewannen vor allem die Ex-Generäle, die in der USDP angetreten waren. Suu Kyis Partei NLD hatte zum Boykott aufgerufen und wurde offiziell aufgelöst. Viele Birmanen sind unzufrieden mit ihrer Regierung, sie lesen auch nicht das „Neue Licht“. In den vergangenen Monaten wagten es mehr und mehr Menschen, relativ offen zu sprechen. Nach den offensichtlichen Fälschungen bei der Abstimmung vom vergangenen Sonntag haben nun viele Menschen die Hoffnung, dass Aung San Suu Kyi einen Weg weisen könnte. Manche aber fürchten bereits, sie könne zu offen reden – und damit schon bald wieder ihr Leben in Freiheit gefährden.

Über Jahre hinweg hatte Suu Kyi in ihrem Haus ohne Telefon und Internetanschluss gelebt, sie hatte kaum Kontakt zur Außenwelt. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon durfte sie während eines Besuchs im Land im vergangenen Jahr nicht treffen. Nach internationalen Protesten wurde Diplomaten zeitweise erlaubt, dem Prozess beizuwohnen, den die Junta gegen sie angestrengt hatte, nachdem ein offenbar verwirrter Amerikaner zu ihrem Haus geschwommen war.

Suu Kyi durfte die vergangenen Jahre in ihrem Haus nur mit zwei Angestellten leben und bekam sporadisch Besuch von ihrem Anwalt. Dieser überbrachte meist Nachrichten der Gefangenen. Vor einigen Wochen berichtete einer ihrer Vertrauten, die Lady wolle gern per Twitter mit der Jugend Kontakt aufnehmen. Als sie das letzte Mal in Freiheit war, gab es den Internetdienst noch gar nicht.

Richard Licht[Rangun]

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