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Politik: Blockade blockiert

Ist das Grundgesetz schuld am Reformstau in Deutschland?

Deutschland tut sich schwer mit Reformen. Wer ist schuld? Die Parteien, weil sie den Bundesrat missbrauchen, um die jeweils andere Mehrheit im Bundestag zu blockieren? Die Wähler, weil sie die Kanzlerpartei in den Ländern abzustrafen pflegen und damit das Blockadeproblem heraufbeschwören? Das Bundesverfassungsgericht, weil es das Mitspracherecht des Bundesrats überdehnt hat? Oder die Verfassung selbst? Weil sie alt ist, überholt, „verstaubt“, wie der „Spiegel“ schrieb, der am Montagabend in Berlin Politiker und Verfassungsexperten versammelte, um dies zu diskutieren.

Das Grundgesetz. Es schützt nicht nur die Grundrechte, über die am Dienstag in Karlsruhe wieder einmal gestritten wurde, es legt auch die Organisation des Staates fest, regelt den Gang der Gesetzgebung und verteilt die Steuern. Es ist das große Steuerrad, mit dem der Staat seine Richtung bestimmt. Jetzt klemmt es, meint der BDI-Vize Hans-Olaf Henkel, und wir fahren geradewegs gegen die Wand. Die Länder müssten sich selbst tragen, fordert er, also müsse sich sparen wieder für sie lohnen, weg mit dem Finanzausgleich, mehr Wettbewerb, mehr Plebiszite, und der Bundespräsident, mindestens der, sei direkt vom Volk zu wählen. „Alles muss neu“, lautet sein Fazit.

Keineswegs, entgegnen ihm die Verfassungsrechtler auf dem Podium. Der frühere Karlsruher Richter Dieter Grimm bekennt Fehler seines Gerichts. Er habe zwölf Jahre vergeblich auf einen Fall gewartet, sie zu korrigieren. Nun seien ein paar Eingriffe fällig, um Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten von Bund und Ländern wieder klarer zu trennen – wieder, sagt Grimm, denn es gehe darum, Änderungen der vergangenen Jahrzehnte rückgängig zu machen. Das zeitgemäße Grundgesetz, das Moderator und „Spiegel“-Chefredakteur Stefan Aust fordert, ist für Grimm: „das Grundgesetz von 1949“. Der amtierende Verfassungsrichter Wolfgang Hoffman-Riem wehrt den Vorwurf ab, das Grundgesetz sei feindlich gegenüber Neuem. Politik, sagte er, finde nicht nur im Parlament statt, sie sei auch Sache der Bürger und Unternehmen. Da trifft er sich mit dem CDU-Politiker Wolfgang Schäuble, der die Ansicht vertritt, der öffentliche Druck müsse nur groß genug sein, dann komme der Staat auch zu Entscheidungen – und damit zu Reformen.

Die Diskutanten streiten darüber, ob man einen Staat wie ein Unternehmen zu führen habe – Ja, sagt Hamburgs Ex-Bürgermeister Klaus von Dohnanyi, Nein, sein Kontrahent Schäuble. Einig ist man sich aber, an welchen Stellen das Grundgesetz angefasst werden müsste, um die ärgsten Missstände zu beseitigen. Justizministerin Brigitte Zypries versichert, dass der Kanzler mit den Ministerpräsidenten derzeit nichts anderes bespreche. Warum nicht längst? Kein Land, keine Partei will Machtpositionen aufgeben, sagt der Jurist Grimm. Nur „andere Mehrheiten“ würden hier einen Schritt erlauben. Ob er damit eine große Koalition meint, sagt er nicht.

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