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Politik: Bloß nicht zuerst bewegen

Koalition und Union erwarten jeweils von der anderen Seite Vorschläge, wie die Steuerreform finanziert werden soll

Von Robert Birnbaum

NACH DER KABINETTSKLAUSUR

Man kann den Tag Eins nach dem Steuerreform-Beschluss von Neuhardenberg so beschreiben: Die Regierungskoalition macht in Optimismus, die oppositionelle Union in Skepsis. Aber das ist nur die Oberfläche. Tatsächlich nehmen die Konkurrenten Aufstellung für ein Spiel, das als „Beamten-Mikado“ bekannt ist und der schlichten Regel folgt: Wer sich zuerst bewegt, hat verloren. Dass die Steuerreform 2005 auf das kommende Jahr vorgezogen werden soll, finden im Prinzip alle gut. Doch bei der Frage, mit wessen Geld das bezahlt werden soll, will keiner als erster mit der Antwort heraus.

Es ist im Gegenteil so, dass jeder mit dem Finger auf den anderen zeigt. „Das Optimismussignal muss jetzt von allen mitgemacht werden“, fordert etwa SPD-Generalsekretär Olaf Scholz, und zwar ganz wortwörtlich: Alle sollten, bitte schön, die „Mundwinkelstellung nach oben bewegen“. In punkto Gegenfinanzierung der Steuerentlastung ist von Scholz wie von der Grünen-Führung dagegen nur zu hören, da möge die andere Seite Farbe bekennen. „Wir warten jetzt auf Ideen der Union“, sagt ein SPD-Präside.

Auch der Finanzminister Hans Eichel (SPD) sagt nicht konkret, woher die rund 18 Milliarden Euro kommen sollen, die die Reform Bund und Länder kosten wird. Eichel ist nur zu entlocken, dass er die Reform bis August in den Bundeshaushalt 2004 einrechnen will, und dass es im Prinzip einen Finanzierungsmix aus höheren Schulden, Privatisierungserlösen und Subventionsabbau geben soll. Bei letzterem Punkt hofft Eichel ganz offen auch darauf, dass ihm die großkoalitionäre Subventionsabbau-Arbeitsgruppe der Ministerpräsidenten Koch und Steinbrück bis dahin konkrete Vorlagen liefert.

Bei CDU und CSU stoßen die Aufforderungen der Regierungsseite auf gelinden Sarkasmus. „So weit kommt das: Schröder verkündet Wohltaten, und wir sollen uns die Grausamkeiten ans Bein binden“, spottet ein Führungsmitglied der Union. In den offiziellen Stellungnahmen bleibt es beim „So nicht“: Eine reine Schuldenfinanzierung komme jedenfalls nicht in Frage, eine reine Umschichtung – die Steuersätze runter, aber dafür Streichung bisheriger Steuervorteile im praktisch gleichen Umfang – auch nicht, über den Abbau von Subventionen könne man reden, und ansonsten solle nun erst einmal die Regierung einen Vorschlag machen.

Aber auch wenn es bei dem einen oder anderen auf den ersten Blick so klingt: „Niemals“ sagt kein Spitzenpolitiker von CDU und CSU. Allen ist bewußt, was die Exponenten von Arbeitnehmer- wie Arbeitgeberflügel in seltener Einmütigkeit offen aussprechen: Eine Blockade kann sich die Union nicht leisten, weil sie dem Druck der Öffentlichkeit – und übrigens auch des potenziellen Koalitionspartners FDP – nicht standhalten könnte. So wenig wie sich eine Ablehnungsfront im Bundesrat errichten ließe. Zwar sind die Länderchefs von CDU und CSU mit ihren SPD-Kollegen darin einig, dass ihre leeren Kassen die Kosten der Steuersenkung – gut die Hälfte der 18 Milliarden Euro – nicht noch zusätzlich verkraften können. „Wir haben keine Reserven“, sagt Bremens Bürgermeister Henning Scherf (SPD) stellvertretend für alle Ministerpräsidenten. Aber den Spitzen von CDU und CSU ist klar, dass sie nicht darauf setzen können, dass die SPD-Länder ihren Kanzler scheitern lassen. „Wir müssen davon ausgehen, dass die Steuersenkung zum 1. Januar 2004 kommen wird“, heißt es unisono in der Union.

Die Frage ist also nur, zu welchen Bedingungen. Die Formulierungen aus der Union halten bewusst Spielräume offen. Wenn etwa der Hesse Roland Koch sagt, die Wirkungen einer Steuersenkung seien zu gering, als dass sie eine „dramatische zusätzliche Staatsverschuldung“ rechtfertigten, dann liegt die Betonung auf „dramatisch“: Gegen eine Teilfinanzierung der Reform durch neue Schulden, heißt es in der Union, werde sich wenig sagen lassen. Erst recht nicht, wenn die EU eine erneute Verletzung der Maastricht-Schuldengrenze dulden würde. Auf eine weitere denkbare Verhandlungsmasse weisen Fraktionsvize Friedrich Merz, aber auch unionsgeführte Länder hin: Die Regierung müsse bereit sein, bei den Sozialreformen voranzugehen.

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