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Börsencrash: Ratlosigkeit in der Politik

Wie sollen sich politische Entscheider zur Krise äußern, ohne Kursabstürze zu provozieren?

Von Antje Sirleschtov

Wenn Finanzmärkte plötzlich explodieren, ob mit positiver oder – wie seit Tagen – mit negativer Richtung, dann muss es dafür eine Erklärung geben. Bei Aktien von Unternehmen scheint die Sache klar: Tauchen Meldungen auf über neue Aufträge oder politische Entscheidungen, die das Geschäft des Unternehmens beeinflussen können, geht es hoch oder runter. Und die Märkte insgesamt reagieren auch auf das Verhalten von Politikern. Legendär der 12. März 1999, als der Deutsche Aktienindex Dax in die Höhe schoss, nachdem am Abend zuvor der in Finanzkreisen ungeliebte Finanzminister Oskar Lafontaine seinen Rücktritt bekannt gegeben hatte.

Doch was, wenn nicht Beschlüsse, Gesetze, Rücktritte oder politische Gipfel, mithin also Fakten, die Märkte bewegen, sondern kleinste Äußerungen von Politikern. Einzelne Worte also – und zwar sowohl welche, die gesagt werden, als auch die, die man nicht sagt. Seit dem Beginn der Finanzkrise im Jahr 2008 beschäftigt diese Frage die politische Klasse. War es richtig, dass die Kanzlerin mit ihrem Finanzminister am Sonntag, dem 5. Oktober 2008, vor die Kameras trat und die Sicherheit aller deutschen Ersparnisse garantierte? Haben Angela Merkel (CDU) und Peer Steinbrück (SPD) seinerzeit die Lage eher beruhigt oder haben sie im Gegenteil die allgemeine Unsicherheit sogar noch geschürt? Die deutschen Kleinsparer waren nach Merkels Botschaft gewiss beruhigt. Die Kurse jedoch sind am Montag darauf in den Keller gerauscht. Genauso, wie es jetzt auch Barack Obama ergangen ist. Mit dem erkennbaren Ziel, ein optimistisches Signal an die Börsen zu senden, trat der US-Präsident am Montagabend vor die Kameras und meinte, sein Land werde „immer eine AAA-Nation sein“, ganz gleich, was „irgendeine“ Agentur sage. Ein kraftvoller Satz des Präsidenten. Doch die Börsen taten überhaupt nicht, was Obama erwartete. Kaum war der Satz gesagt, sackte der Index Dow Jones hinab. Hätte der Präsident lieber schweigen sollen?

Eine Frage, die auch in der deutschen Politik in diesen Tagen überall gestellt wird. Jeder Satz aus Paris oder Brüssel wird besonders sorgfältig analysiert, jedes Wort auf die Goldwaage gelegt. Und wer sich im politischen Berlin umhört, der begegnet immer häufiger verunsicherten Politikern. Verunsichert nicht unbedingt, weil auch sie nicht zu wissen glauben, wie man die Dauerkrise beenden kann. Dafür aber umso mehr, weil sie das ohnmächtige Gefühl ergreift, dass jede ihrer Bewegungen eine fatale Reaktion auslösen könnte. Wie beim Elfmeterschießen. Wenn sich Torschütze und Keeper gegenüberstehen und jede Regung, auch wenn es nur ein Augenaufschlag ist, das Gegenüber zum Schuss oder Sprung in die falsche Richtung verleiten kann. Nur, dass so ein dramatischer Moment im Fußball nach ein paar Sekunden vorbei ist. Im Verhältnis von Politik und Finanzmärkten jedoch hält er nun schon seit Monaten an.

Selten konnte man dieses Dilemma, in dem sich Politiker der Regierung, der Koalition, aber auch die Spitzen der Opposition befinden, deutlicher sehen als an diesem Montag. Als die Frankfurter Börsenhändler ihre Computer gegen neun Uhr morgens hochfuhren, hatte die Welt einen „Crash“ erwartet. Am Wochenende zuvor war die Bonität der größten Wirtschaftsnation der Welt, Amerika, heruntergestuft worden, noch steckte den Europäern der kritische Brandbrief von EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso und die Ankündigung der EZB, faule Anleihen kaufen zu wollen, in den Knochen. Und nun warnten die Nachrichtensendungen lautstark vor einem „schwarzen Montag“, an dem die Investoren panisch Aktien und Fondsanteile verkaufen würden.

Doch zur Überraschung aller passierte zunächst einmal gar nichts. Weder panische Verkäufe noch andere Horrormeldungen eines „schwarzen“ Tages wurden vom Frankfurter Börsenparkett vernommen. Bis zum späten Vormittag legte der deutsche Aktienindex Dax sogar ein paar Zähler zu. Erst gegen Mittag begann der Trend ins Negative zu drehen.

Es war in etwa der Moment, als der stellvertretende Regierungssprecher von Kanzlerin Merkel, Christoph Steegmans, in der Bundespressekonferenz von einem Journalisten gefragt wurde, ob, wann und wo Frau Merkel angesichts der doch weltweit dramatischen Lage ein Wort „an das deutsche Volk“ zu richten gedenke – und der Angesprochene vor laufender Kamera antwortete, dass die Kanzlerin der gemeinsamen Erklärung mit dem französischen Staatspräsidenten vom Abend zuvor „nichts hinzuzufügen“ habe. Wenig später setzte der Dax zur Talfahrt an. Hatte nun der Regierungssprecher den Kursrutsch ausgelöst? Bot die Weigerung der Regierungschefin, sich mit einer persönlichen Stellungnahme an die Öffentlichkeit zu wenden, den Finanzmarktteilnehmern Anlass zu der Vermutung, Merkel ducke sich weg oder schweige, wo man ein klärendes beruhigendes Wort von ihr erwartet? Später analysierte man in der Regierungszentrale zwar, dass kein engerer Zusammenhang zwischen dem Wort des Regierungssprechers und dem Kursrutsch zu erkennen sei und es mithin wohl kein Fehler gewesen sein könne, wenn die Kanzlerin von aufsehenerregenden Statements Abstand genommen hatte.

Doch die Unsicherheit in Berlin ist geblieben. Zumal beinahe parallel eine Äußerung des französischen Finanzministers Francois Baroin auftauchte, der in Aussicht stellte, dass der europäische Rettungsschirm über sein bisheriges Volumen hinaus erweitert werden könne, „wenn das nötig wird“. In ruhigen politischen Zeiten wäre ein solcher Satz als Selbstverständlichkeit betrachtet worden. Schließlich bekräftigen die europäischen Regierungschefs seit Monaten im Zweifelsfall alles tun zu wollen, um die gemeinsame Währung zu retten, was wohl eine Erweiterung des Rettungsschirms einschließt, wenn es nottut. Baroins Satz jedoch, an diesem Montag ausgesprochen, erzeugte Nervosität. Schließlich könnte man daraus auch lesen, dass es nach wie vor keine Einigkeit der europäischen Regierungen über den Weg der Krisenbewältigung gibt: Während die Deutschen sagen, der Rettungsschirm müsse nicht erweitert werden, sind die Franzosen sehr wohl davon überzeugt.

Die Frage, mit welchen Signalen Politiker Märkte beruhigen können oder genau das Gegenteil erreichen, hat an diesem Wochenbeginn auch die Spitzen der Bundestagsfraktionen beschäftigt. Und zwar beim Blick auf den Terminkalender. Als nämlich vor ein paar Tagen EU-Kommissionspräsident Barroso darauf hinwies, dass die Umsetzung der Beschlüsse des EU-Gipfels vom 21. Juli dränge, weil damit wichtiges Vertrauen bei den Finanzmarktteilnehmern in die Handlungsfähigkeit der Politik bewiesen werden könne, stellten die deutschen Parlamentarier fest, dass der Bundestag erst wieder Anfang September, also erst in rund vier Wochen, zusammenkommt. Vier Wochen Ferien? Klingt das bei Börsenteilnehmern nicht nach einer Politik, die lieber Ferien macht, statt engagiert an der Rettung Europas zu arbeiten? Prompt tauchten am Montag erste Rufe auf: Kanzlerin Merkel müsse eine Woche vorfristig aus dem Urlaub zurückkommen, dann müsse es Sondersitzungen des Bundestages im August geben. Doch welche Signale würde eine solche Straffung der Zeitpläne aussenden, würde die Nachricht eines Urlaubsabbruchs der Bundeskanzlerin nicht als Zeichen höchster Brisanz gewertet werden und erst recht Panik schüren? Genauso, wie hektisch aus aller Welt einfliegende Bundestagsabgeordnete. „Ob wir was tun, oder ob wir es lassen“, sagte dieser Tage einer aus der Spitze der Koalition, nie könne man wissen, ob „das, was heute richtig aussieht, uns morgen schon um die Ohren gehauen wird“.

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