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Politik: Böses Erwachen

Von Tissy Bruns

Die CDU sei doch keine kapitalistische Partei, hat Angela Merkels Stellvertreter Jürgen Rüttgers angemerkt. Wirtschaftspartei ist die CDU in den Augen ihrer linken Kritiker, nicht in ihrer Selbstwahrnehmung. Rüttgers trifft den Stolz der Christdemokraten, die als ihre Gründungsleistung für das Land verbuchen, mit der sozialen Marktwirtschaft Kapital und Arbeit versöhnt zu haben. Die Bemerkung ist ein Verratsvorwurf an die Adresse der CDU-Chefin.

Rüttgers hat dabei auch höchst vordergründige Interessen im Blick. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident weiß, warum er der „größte Arbeiterführer“ in diesem Bundesland geworden ist: Wegen des vermeintlichen Verrats der SPD an ihrem Gütesiegel. Gerechtigkeit konnten in Gerhard Schröders Agenda viele Wähler nicht mehr erkennen. Überhaupt gäbe es die starke Riege der CDU-Ministerpräsidenten nicht ohne diesen Niedergang. In Niedersachsen, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein hat man die Erfahrung gemacht, mit welcher Kraft die Bundespolitik auf Landeswahlen wirkt – seinerzeit zugunsten der Union. Wie aber zukünftig, mit einer Kanzlerin der CDU?

Es verbinden sich handfeste Machtinteressen mit den Seelenqualen, die den guten Christdemokraten Rüttgers befallen haben. Und damit nicht genug: Während er den Verfall des Sozialen beklagt, wollen die CDU-Vertreter von Wirtschaft und Mittelstand die Parteivorsitzende in in die andere Richtung ziehen, in die ihrer entschieden reformerischen Wahlversprechen. Es zerren die Sozialen und die Marktwirtschaftler; zudem hat die Regierungschefin heftige Probleme mit Handwerk und Faktor Zeit.

Ein böses Erwachen. Die CDU löst als Regierungspartei keineswegs ein, was sie in der Opposition täglich angekündigt hat: Wir machen die notwendigen Reformen, aber konzeptionell und handwerklich so zuverlässig, dass wir die Menschen davon überzeugen werden. Stattdessen wieder altvertrautes Flickwerk. Die Selbstachtung der CDU als die grundsätzlich bessere Regierungspartei leidet. Diese Enttäuschung überwölbt und verbindet die in der Sache gegensätzliche Kritik. Volksparteien brauchen Schuldige, die ihnen ihre Desillusionierungen abnehmen. Dass der Dschungel der deutschen Sozialsysteme ohne Irrtümer gar nicht reformierbar ist, dass solche Reformen erst ihren Erfolg beweisen und deshalb nur mit Verzögerung überzeugen können, für diese Erklärungen regiert die CDU noch nicht lange genug.

Für Angela Merkel ist das riskant und ihre einzige Chance. Die Spatzen pfeifen von den Dächern, dass nur ihr politischer Erfolg die innerparteilichen Konkurrenten in Schach halten kann. Doch besser als sie selbst wissen ihre klügeren Konkurrenten: Wer zu früh kommt, erbt nur Merkels Probleme.

Die Bundeskanzlerin kann die Zeit gewinnen, die sie braucht. Für die Enttäuschungen über das schlechte Regieren reicht das Instrumentarium alter Parteitaktik. Das kann sie aussitzen. Für die sachlichen Zerreißproben ist taktisches Durchschlängeln aber das falsche Rezept. Merkels Kritiker liefern ja jeweils eine Halbwahrheit zur Diagnose; die richtige Therapie hat weder Rüttgers noch der Wirtschaftsrat. Darauf käme es aber an: den Widersprüchen des globalisierten Kapitalismus Zügel anzulegen wie Ludwig Erhard der alten Industriegesellschaft. Soll niemand behaupten, er kenne das Rezept. Merkel muss diesen Weg suchen. Und sollte wissen, dass keine Taktik ein Scheitern ausschließen kann.

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