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Politik: Bosnien: Die Demokratie muss warten - um des Friedens willen

Am Sonntag besuchte Verteidigungsminister Rudolf Scharping Sarajevo und gestern die deutschen Soldaten im Kosovo. In Bosnien liegt der Krieg fünf Jahre zurück, im Kosovo gerade ein Jahr.

Am Sonntag besuchte Verteidigungsminister Rudolf Scharping Sarajevo und gestern die deutschen Soldaten im Kosovo. In Bosnien liegt der Krieg fünf Jahre zurück, im Kosovo gerade ein Jahr. Wie lange braucht eine Gesellschaft nach so grausamen Konflikten, um zu einem friedlichen Zusammenleben, zu Demokratie zu finden?

Bosnien erwacht allmählich aus dem Nachkriegs-Koma. Die Wähler sind widerspenstig geworden, lassen sich immer weniger von ethno-nationaler Rhetorik einlullen. Im Kosovo ist es noch ein hehrer Wunsch - in Bosnien beginnen die ethnischen Blöcke zu bröckeln. Bisher wurden Wahlen in dem jungen Bergstaat als verkappte Volkszählungen verspottet. Fast jeder gab seinem "Stamm" die Stimme, politische Diskussionen waren überflüssig. Die Nationalisten konnten sich alles leisten: Kriegshetze, Korruption, Konzeptlosigkeit. Nie bekamen sie eine demokratische Quittung.

Doch jetzt platzt den Bosniern der Kragen. Fünf Jahre nach dem Krieg liegt die Wirtschaft brach. Das zerstörte Land hängt am Tropf internationaler Organisationen. Der Schwarzmarkt blüht. Investoren bleiben aus. Der Frust wächst. Mehr und mehr Flüchtlinge wollen in ihre alten Häuser zurück. Immer sinnloser erscheinen die Ergebnisse des Krieges auch denen, die zuvor blind den nationalistischen Rattenfängern folgten.

Die Helden von damals sind die Bremser von heute. Sie reagieren nervös, gereizt und beleidigt. Die einzige regierende Moslem-Partei Europas, Alija Izetbegovics SDA, sieht sich als Opfer einer "Medienkampagne". Der OSZE-Slogan "Vote for Change" für die Kommunalwahlen im April stieß den SDA-Strategen bitter auf. Zum ersten Mal hatte die internationale Gemeinschaft Mut bewiesen und auch inhaltlich in eine Wahl eingegriffen. Das ist zwar nicht fein, aber notwendig in einer unfertigen Demokratie. Verärgert hat Izetbegovic seinen Rücktritt vom Staatspräsidium zu den Parlamentswahlen im November angekündigt. Die Zeit des moslemischen Philosophen ist ohnehin abgelaufen.

Das ist nicht allein der internationalen Gemeinschaft zuzuschreiben. Die Bosnier selbst sind zum Wandel bereit. "Wäre es nicht so, könnten wir sagen, was wir wollen, und nichts würde passieren", räumt man im Büro des internationalen Bosnien-Beauftragten ein. Im Kosovo fehlt diese Voraussetzung.

Auch den kroatischen Nationalisten in Bosnien laufen die Wähler davon. Die HDZ ist tief gespalten zwischen Hardlinern in Mostar, die immer noch an "ethnisch reine" Gebiete glauben, und Reformern in Sarajevo. Seit dem Tod des kroatischen Präsidenten Franjo Tudjman sind zudem die Geldquellen aus Zagreb versiegt. Verkommt die HDZ am Ende zum Regionalverein? Im April kam sie noch mit einem blauen Auge davon, weil die meisten bosnischen Kroaten in der Herzegowina am Wahltag zu Hause blieben - aus Mangel an Alternativen.

Das ist ein gutes Zeichen: Die Loyalitäten auf Gedeih und Verderb scheinen gebrochen. Die lachenden Dritten sind vorerst die Sozialdemokraten (SDP). Sie stemmten sich schon vor und während des Krieges vergeblich gegen das ethnische Paradigma. Die SDP hat ihre Stimmen gegenüber 1997 auf 30 Prozent verdreifacht und will nun stärkste Kraft werden. Doch vielerorts fehlen kompetente Kandidaten. Die jungen SDP-Chefs müssen zudem ihrer Beteuerung nachkommen, das kommunistische Erbe abzustreifen. Der Trend ist erfreulich, die Parteien streben zur Mitte. Auch die SDA beschwört ihren Image-Wandel zur "modernen Volkspartei". Im neuen Parteistatut vom Mai tauchen die bosnischen Moslems zum ersten Mal nicht mehr als politische Zielgruppe auf. Aber schafft die SDA die Wende? Sie definiert sich weiterhin stark über die Märtyrer-Rolle während des Krieges.

Auch die meisten bosnischen Serben haben das ethnische Wahlverhalten sehr verinnerlicht, rascher Wandel ist kaum zu erwarten. Ihre Blockade-Politik im Staatspräsidium hält an. In der so genannten Republika Srpska leben viele Menschen abgeschottet in zerstörten Dörfern. Ihnen fehlen große Städte, Kulturleben und die Erfahrung eines multi-ethnischen Alltags.

Das bunte Sarajevo tut allen gut. Dort sind die Moderaten aller Seiten am stärksten. Dort verteilen auch die Serben ihre Stimmen auf mehrere Parteien. Darunter ist eine junge Kraft, die das Adjektiv "serbisch" nicht im Parteinamen trägt - das nährt die Hoffnung auf den Übergang vom Stammesdenken zur demokratischen Gesellschaft.

Der zaghafte Fortschritt in Bosnien könnte auch für Kosovo eine Lehre sein: Vorschnelle Wahlen in einer aufgeheizten Atmosphäre sind Gift. Die Demokratie muss warten - um des Friedens willen.

Carsten Wieland

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