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Helfer bergen Leichen aus einem Massengrab.

© AFP

Bosnien-Herzegowina: Das Blut der Verwandten

In Bosnien-Herzegowina werden durch DNA-Abgleiche immer mehr Opfer in Massengräbern identifiziert – das hilft auch im Prozess gegen den mutmaßlichen Kriegsverbrecher Ratko Mladic.

Als das Grab in Tomasica vor einigen Monaten entdeckt wurde, begannen viele Leute in den Dörfern links von der Sana zu hoffen, dass sie nun doch ihre Verwandten bestatten können. 22 Jahre nachdem diese ermordet wurden. Als das Grab in Tomasica – in der Nähe von Prijedor in Bosnien-Herzegowina – gefunden wurde, kündigte Dermot Groome, ein Staatsanwalt des Jugoslawien-Tribunals an, dass die Untersuchungsergebnisse in den Prozess gegen den ehemaligen bosnisch-serbischen General Ratko Mladic aufgenommen werden können. Zwölf der etwa 470 Skelette, die in Tomasica gefunden wurden, könne man direkt mit den Anschuldigungen gegen Mladic in Zusammenhang bringen. Zudem habe dieser im Mai 1993 in sein Tagebuch eingetragen, dass der Polizeichef von Prijedor, Simo Drljaca, die Armee gebeten habe, dabei zu helfen, 5000 Leichen aus der Mine in Tomasica wegzubringen. Mladic habe also das Massengrab direkt erwähnt.

Mittlerweile werden hunderte Skelette, die gefunden wurden, analysiert. Die Internationale Kommission für vermisste Personen (IC-MP), die in Sarajevo ihren Sitz hat, führt DNA-Analysen durch, um sie mit Blutproben in ihrer Datenbank zu vergleichen und Verwandtschaftsverhältnisse zu klären. Insgesamt hat IC-MP über 90.000 DNA-Proben, um die Toten der Balkankriege den Hinterbliebenen zuzuordnen.

Erstmals in der Geschichte

Es ist das erste Mal in der Geschichte, dass so systematisch versucht wird, die Opfer zu identifizieren. Zunächst wurden nach klassischen Methoden (Knochenvergleich) die menschlichen Überreste bestimmt, seit 2001 werden die viel genaueren und praktisch fehlerfreien DNA-Verwandtschaftsanalysen gemacht. Es reicht ein Knochen aus, um einen Menschen zu identifizieren. Insbesondere Überreste von Opfern des Genozids in Srebrenica sind oft nur sehr wenige vorhanden, weil versucht wurde, den Völkermord zu vertuschen. Überreste von Dutzenden Personen werden nach wie vor jedes Jahr in Potocari, dem Friedhof nahe Srebrenica, beerdigt.

Ratko Mladic.
Ratko Mladic.

© AFP

Das Hauptquartier von IC-MP befindet sich am Stadtrand von Sarajevo. Hier arbeiten nicht nur Forensiker, sondern auch jene, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, möglichst viele Überreste von Vermissten zu finden. Einer von ihnen ist Ian Hanson. Die Informationen zu den Gräbern kämen aus verschiedenen Quellen, erzählt er. "Von Opfern, von Tätern, aus zweiter oder dritter Hand." Die meisten Massengräber wurden durch Satellitenaufnahmen entdeckt, die die US-Regierung zur Verfügung gestellt hat und die aus militärischen Gründen aufgenommen wurden. Hanson betont, wie wichtig es sei, dass der Kommission nun weitere Luftaufnahmen zur Verfügung gestellt würden. Denn gerade die Gräber in der Umgebung von Srebrenica wurden durch Luftaufnahmen entdeckt.

22.000 Opfer identifiziert

Die Kommission konnte bisher etwa 22 000 Opfer der drei Balkankriege (Kroatienkrieg 1991–1995, Bosnienkrieg 1992–1995, Kosovokrieg 1999) identifizieren, weitere 8000 Personen bleiben vermisst oder konnten noch nicht identifiziert werden. Im Fall von Tomasica war bereits kurz nach dem Krieg 1996 von einem Massengrab die Rede, 2002 hat man in der Gegend auch gegraben, doch erst im vorigen September wurde das Grab wirklich entdeckt, 40 000 Kubikmeter Erde mussten entfernt werden, bevor man auf die Leichen stieß. Die Experten – Kriminaltechniker, Staatsanwälte, Archäologen, Pathologen, Anthropologen – arbeiten bereits seit Monaten in der ehemaligen Mine. Die Überreste der Opfer der ethnischen "Säuberungen" von 1992 werden mit der Hand ausgegraben. Die Zusammenarbeit mit den Behörden der Republika Srpska (RS) beschreibt Hanson als gut. Die meisten Massengräber befinden sich in der RS, jenem Landesteil von Bosnien-Herzegowina, in dem ein Großteil der muslimischen und kroatischen Bevölkerung vertrieben oder getötet wurde.

DNA aus Knochenproben

Die Überreste der Opfer werden zunächst nach Sanski Most gebracht, dann werden Knochenproben entnommen und diese ins Labor nach Sarajevo zur DNA-Analyse geschickt. Dort surren graue Maschinen, die wie Registrierkassen aussehen. Sie spucken am Ende Zettel mit merkwürdigen Kurven aus, die darüber Auskunft geben, ob die DNA der gefundenen Knochen mit jener der Verwandten, die nach einem Angehörigen suchen, übereinstimmen. Der Prozess dauert im Durchschnitt zwei bis drei Monate.

Ana Bilic, Vizeleiterin des Laboratoriums des IC-MP, steht vor einer Glaswand, hinter der Frauen Pipetten überprüfen. Sie zeigt ein Plastiksäckchen mit Materialien, die für die Blutproben der Verwandten verwendet werden: ein weißes Blatt Papier mit vier Kreisen, auf die das Blut getropft wird, eine Stechhilfe, mit der man sich in den Finger pieksen kann. "Das Blut hält 20 Jahre", erklärt Bilic. Zigtausende auf dem Balkan haben Proben abgegeben, um ihre Verwandten identifizieren zu können.

Viel aufwendiger ist es, die DNA in den Knochen der Opfer festzustellen, vor allem wenn diese, wie im Fall der Kriegsopfer, seit zwanzig Jahren unter der Erde liegen und teilweise kontaminiert sind. Manche wurden sogar auf Müllhalden geworfen. Insgesamt braucht man aber nur ein paar Gramm Knochen, um die DNA festzustellen, manche Teile des Skeletts wie die Oberschenkelknochen oder die Zähne sind dafür besser geeignet. Zunächst wird die Oberfläche des Knochens abgeschliffen, etwa ein bis zwei Millimeter und dann in eine Bleichlösung gegeben und mehrmals gereinigt, erklärt Bilic. Es geht darum, dass alle Spuren von DNA anderer Personen ausgeschlossen werden. Deshalb müssen auch die Mitarbeiter des Laboratoriums in Sarajevo ihre DNA abgeben, und die Proben der Kriegsopfer werden mit der DNA der Mitarbeiter der IC-MP verglichen, um Kontaminationen auszuklammern.

Es gibt Überraschungen

Manchmal bringen die DNA-Analysen Überraschendes zutage. In einem Fall suchte eine Frau ihren Sohn, der im Bosnien-Krieg verschwunden ist – gefunden wurden die Überreste ihres Vaters, der im Zweiten Weltkrieg umgekommen war. "Die Identifizierung der Toten soll nicht zu einem Anliegen von politischen Parteien werden", sagt IC-MP-Mitarbeiter Matthew Holliday. "Die Sache ist ohnehin fürchterlich politisiert." In der Tat wird in Bosnien-Herzegowina mit dem Aufrechnen von Toten der verschiedenen Volksgruppen und mit dem Streit um die Einordnung des Konflikts, auch 18 Jahre nach Ende des Kriegs, täglich Politik gemacht. Auch auf Kosten der Angehörigen der Opfer.

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