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Protest und Spiele. Die oppositionellen verteilen vor dem Auftaktspiel der Ukraine gegen Schweden kostenlose "Freiheit für Julia"-T-Shirts.

© dapd

Boykott, Verlegung und Symbole: Was ist aus den Protesten gegen die EM geworden?

Im Vorfeld der Fußball-Europameisterschaft haben besonders die Deutschen das ukrainische Regime heftig kritisiert. Jetzt steht ein politisch heikles Spiel in Charkiw an. Was ist aus dem Protest geworden?

Nicht jeder Protestvorschlag hatte Erfolg. FDP-Generalsekretär Patrick Döring konnte sich mit seiner Forderung, die Spiele der Fußball-Europameisterschaft lieber nach Deutschland zu verlegen, nicht durchsetzen. Und die Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Renate Künast, hatte mit ihrer Idee, Schals in den Farben der Revolution zu tragen, bei Lukas Podolski und Co auch noch keinen Erfolg. Gerade vor dem Spiel gegen die Niederlande in Charkiw ziert man sich vor dem orangefarbenen Textil wohl ein wenig. Aber das Spiel ist nicht nur sportlich brisant, sondern auch politisch – findet es doch dort statt, wo die ehemalige ukrainische Regierungschefin Julia Timoschenko in einem Gefängniskrankenhaus unter unwürdigen Bedingungen inhaftiert ist.

Der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen im Deutschen Bundestag, Volker Beck, fordert deshalb ein Zeichen der Spieler. "Da erwarte ich mir nochmal ein starkes Signal der deutschen Delegation - gegen die Haftbedingungen und gegen den Umgang mit Oppositionellen insgesamt", sagte Beck dem Tagesspiegel. Wochen vor der EM rollte wegen der Haftbedingungen Timoschenkos und wegen dem Umgang des ukrainischen Präsidenten, Viktor Janukowitsch, mit Oppositionellen eine Empörungswelle durch Deutschland. Seitdem ist es stiller geworden. Und doch hinterlässt der Protest Spuren.

Der Protest gegen die Inhaftierung Timoschenkos in Bildern:

Wie verhält sich die Politik?

Zurückhaltend. Und genau das ist auch das Ergebnis der Protestwelle. Denn während es bei anderen Fußball-Großereignissen längst zum Standard gehörte, dass es sich politische Repräsentanten auf den Tribünen bequem machten, bleiben die meisten Staats- und Regierungschefs den ukrainischen Spielstätten zurzeit fern. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wird kein deutsches Vorrunden-Spiel besuchen und wie es bei einem möglichen Weiterkommen der deutschen Mannschaft dann aussieht, ist offen. Auch sonst macht sich kaum ein deutscher Politiker auf den Weg in die Ukraine.

Aus den Bundestagsfraktionen haben sich keine Delegationen oder einzelne Abgeordnete auf den Weg gemacht. Bundespräsident Joachim Gauck wird die Vorrunde ebenfalls verstreichen lassen. Für die Zeit danach gibt es laut Bundespräsidialamt noch keine genauen Überlegungen. Einzig Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) hat angekündigt, im Falle eines Finaleinzugs nach Kiew zu reisen. Einen Plan für ein mögliches Rahmenprogramm gibt es aber laut Innenministerium noch nicht. Für Beck ist das ein "falsches Signal, jetzt schon anzukündigen, dass er ein deutsches Final-Spiel in Kiew besuchen werde". Der Druck auf Janukowitsch müsse hoch gehalten werden, fordert er.

Video: Joachim Löw zum Spiel gegen Holland

International sieht es nicht viel anders aus. Auch andere Staats- und Regierungschefs verzichten auf einen Stadionbesuch in der Ukraine. Insbesondere für die Niederländer könnte das ein kleines Handicap sein, denn sie müssen auf königlichen Beistand im Spiel gegen Deutschland verzichten, weil Königin Beatrix den ursprünglich geplanten Besuch wieder gestrichen hat. Der dänische Kultusminister Uffe Elbaek löste die Problematik auf andere Weise. Er verzichtete beim Spiel der Dänen gegen die Niederlande auf seinen Ehrentribünen-Platz und feierte den 1:0-Erfolg lieber im Fanblock.

Ist Abwesenheit schon Protest?

Offiziell begründen die meisten ihre Abwesenheit mit „Terminproblemen“. Was an einigen Stellen auch stimmt. So beginnt am Wochenende der G-20-Gipfel in Mexiko und anschließend gibt es einen EU-Gipfel. Trotzdem hätte es Zeitfenster gegeben, so beim Spiel in Charkiw, weshalb das Fehlen dort als Protest verstanden werden darf.

Wie reagiert das System Janukowitsch?

Der umstrittene Präsident gibt sich optimistisch, doch noch ein Foto mit einem Polit-Promi zu bekommen. „Es werden viele bedeutende Regierungschefs kommen, unter anderem Polens Präsident Bronislaw Komorowski und aus Russland entweder Ministerpräsident Dmitri Medwedew oder Präsident Wladimir Putin“, sagte er. Bisher aber muss er auf PR-Bilder verzichten. Auch beim Auftaktspiel der Ukrainer am Montagabend wurde der schwedische Ministerpräsidenten Fredrik Reinfeldt nicht erwartet. Genauso handhaben es Frankreichs Präsident Francois Hollande und der britische Premierminister David Cameron, deren Mannschaften in derselben Vorrunden-Gruppe wie die Ukraine spielen – auch sie verzichten vorerst auf Reisen zur EM in die Ukraine.

Das Spiel der Deutschen gegen Portugal in der Einzelkritik:

Was passiert aktuell in der Ukraine?

Walerij Dutko ist Vize-Chef der Timoschenko-Partei „Batkiwtchina“ („Vaterland“) in Charkiw und als solcher auch verantwortlich für die Pro-Timoschenko Demonstrationen vor der Strafkolonie, in der Timoschenko vor ihrer Verlegung ins Haftkrankenhaus eingesessen hat. Diese Demonstrationen seien kürzlich verboten worden, klagt der Oppositionelle, weil die Proteste den Verkehr behindern würden. Ein technischer Grund für ein politisch motiviertes Verbot finde sich immer. Ostap Senerak, ein enger Mitarbeiter von Timoschenkos Anwalt Serhij Wlasenko, schildert die verzweifelte Situation: „Es war ein persönlicher Entscheid von Staatspräsident Janukowitsch, Timoschenko einsperren zu lassen.“ Niemand könne ihn zum Umdenken bewegen – weder die orthodoxe Kirche, noch Putin, Brüssel oder Berlin. Laut westlichen Diplomaten sollen selbst Mitglieder der Regierungspartei durchblicken lassen, dass das Land in eine Sackgasse stecke. Am Montagnachmittag wurden in Kiew „Freiheit für Julia!“-T-Shirts verteilt.

Ist die EM politisch besonders aufgeladen?

Der Fall Timoschenko hat sicher dazu beigetragen. Doch ist dieses Thema bisher eher latent im Hintergrund. Mehr Aufladung verleiht die Euro-Krise dem Turnier. Denn jeder Sieg oder auch jede Niederlage Spaniens, Griechenlands oder auch Irlands wird als Signal in diese Länder der Euro-Krise interpretiert – vor allem von den jeweiligen Regierungen. Politisch brisant wird das Turnier derzeit durch rassistische Zwischenfälle in den Gastgeberländern – in der Ukraine ist das auch eng mit Janukowitsch verbunden, weil viele Oppositionelle klagen, dass der Präsident solche Zwischenfälle bewusst hinnehme.

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