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Brandanschlag auf geplante Flüchtlingsunterkunft: Radikalisiert sich Deutschland?

Erst die anti-islamischen Demonstrationen der "Patriotischen Europäer". Und nun der Angriff auf eine geplante Flüchtlingsunterkunft bei Nürnberg. Die Warnzeichen häufen sich.

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Mitten in der zum Teil hitzigen Debatte über Asylbewerber und deren Unterbringung ist im mittelfränkischen Vorra, etwa 30 Kilometer östlich von Nürnberg, am späten Donnerstagabend eine geplante Flüchtlingsunterkunft angezündet worden und abgebrannt. Sowohl die Kriminalpolizei als auch Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) gehen von Brandstiftung aus und vermuten einen rechtsradikalen Hintergrund für die Tat.

Was ist in Bayern passiert?

Bei dem Anschlag kamen keine Menschen zu Schaden, denn der Komplex aus drei Gebäuden – eine ehemalige Gaststätte, eine Scheune und ein Wohnhaus – war noch unbewohnt. Die Bezirksregierung von Mittelfranken hatte das Anwesen, das lange leer stand, übernommen, um dort etwa 80 Flüchtlinge unterzubringen. Man geht von einem Schaden von 700 000 Euro aus, die Häuser sind durch die Flammen unbewohnbar gemacht worden. Die Gaststättenanlage war Neonazi-Gruppen schon lange ein Dorn im Auge. Seit 2012 hatte der Besitzer die Gebäude immer wieder zur Unterbringung von Flüchtlingen angeboten. Eine inzwischen verbotene Organisation hatte den "rücksichtslosen Gastronomen" gegeißelt, der "schrottreife Immobilien" aufs Staatskosten sanieren lassen wolle.

Welche Konsequenzen hat der Anschlag?

In einer ersten Reaktion sprach sich Bayerns Innenminister Herrmann dafür aus, Flüchtlingsunterkünfte besser zu schützen. Sozialministerin Emilia Müller verurteilte die "menschenverachtende Straftat". Diese Aggression mahne "zur Vorsicht", daher werde der Schutz von Flüchtlingsunterkünften verstärkt.

Was hat das mit den "Pegida"-Demonstrationen in Deutschland zu tun?

Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, Solingen – das sind Ortsnamen, die zuerst einfallen, wenn es um fremdenfeindliche Ausschreitungen nach der Wende geht. Lässt sich ein Bogen schließen zu den aktuellen "Pegida"-Protesten, bei denen in Dresden Tausende von Menschen auf die Straße gehen, ihre Vorbehalte gegen den Islam oder Asylbewerber zur Schau stellen? "Ein wirksames Täuschungsmanöver", so kommentierte der Deutschlandfunk die Strategie der Organisatoren: darauf zu beharren, keine Rassisten und erst recht keine Nazis zu sein. So will sich die Bewegung attraktiv machen für verunsicherte Bürgerliche. Die fackeln keine Asylbewerberheime ab. Aber sie befördern eine Anti-Stimmung gegen Flüchtlinge, bedienen Ressentiments: Verschärfung des Asylrechts, Anti-Amerikanismus, Kritik an der Politik des Westens gegenüber Russland.

Welche Strömungen gibt es? Und stehen sie in Verbindung miteinander?

Das bayerische Pendant zu "Pegida" heißt "Bagida", "Bayern gegen die Islamisierung des Abendlandes". Die Bewegung hat sich um eine gleichnamige Facebook-Seite entwickelt, die ein anonymer Administrator steuert. Mehr als 8700 Leser haben bekundet, dass ihnen die Seite gefällt. Zu sehen ist da unter anderem ein "Positionspapier" der "Pegida", in dem eine "Null-Toleranz-Politik gegenüber straffällig gewordenen Asylbewerbern und Migranten" gefordert wird.

Auf der "Bagida"-Seite wurde sogar schon zu Gewalt aufgerufen. "Nehmt die Waffen in die Hand und kämpft für unser Deutschland", lautete ein Eintrag. Es gab dann Streit zwischen "Pegida" und "Bagida", letztere entfernte schließlich einige Kommentare von ihrer Facebook-Seite. Im realen Leben sind allerdings die "Bagida"-Aktionen ebenfalls grenzwertig.

In Würzburg versammeln sich seit Ende November montags Anhänger der "Bagida" zu Kundgebungen. Die Zahl der Teilnehmer ist überschaubar, bislang kamen um die 40 Menschen. Darunter seien einzelne Rechtsextremisten aus dem Umfeld der NPD gewesen, sagt der bayerische Verfassungsschutz. Und er betont, zwischen dem "Pegida"-Spektrum und der extremistisch islamfeindlichen Szene in Bayern gebe es "Schnittmengen".

Als einen Strippenzieher nennt die Behörde den aus Bayern stammenden Bundesvorsitzenden der Minipartei "Die Freiheit", Michael Stürzenberger. Er hat auf dem islamfeindlichen Weblog PI-News für Januar Aktionen der "Bagida" angekündigt. Stürzenberger trat zudem bei der Kundgebung der HoGeSa (Hooligangs gegen Salafisten) Mitte November in Hannover als Redner auf. "Wir werden  auch irgendwann mal, wie damals in der DDR in Leipzig, 100 000 Menschen auf der Straße haben, mit Sicherheit", rief er den 3000 Hooligans und Neonazis zu.

"Pegida" und "Bagida" bekommen im Internet auch Unterstützung von  rechtsextremistischen Gruppierungen. Die Kleinpartei "Der III. Weg" bezeichnete die Demonstrationen in Dresden  als Aktionen der "Unzufriedenen, der Widerstandsbereiten und der sich selbstaufopfernden Mutigen". In "Der III. Weg" sind Neonazis organisiert, die zuvor der verbotenen Vereinigung "Freies Netz Süd" angehörten. Sie war eine Nachfolgeorganisation der ebenfalls verbotenen "Fränkischen Aktionsfront (FAF)". Sicherheitsexperten vermuten, dass Mitglieder der FAF die Terrorzelle NSU bei Anschlägen in Nürnberg unterstützt haben. Die NSU-Mörder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt hatten in Nürnberg zwischen den Jahren 2000 und 2005 drei türkische Kleinunternehmer erschossen. 1999 explodierte zudem im Lokal eines türkischen Betreibers eine Rohrbombe. Mutmaßlich Mundlos und Böhnhardt hatten sie in eine Taschenlampe eingebaut und in der Kneipe deponiert.

Wie reagiert die Politik auf die Situation?

Die Dresdner Oberbürgermeisterin Helga Orosz, eine CDU-Frau, hielt am Donnerstag im Stadtrat eine bemerkenswerte Rede: "Hätten wir nach den Anschlägen von Rostock-Lichtenhagen und nach Hoyerswerda viel stärker den Dialog untereinander suchen müssen?", fragte sie. Und: "Wer aus Angst und Sorge auf die Straße geht, ist noch lange kein Neonazi." Wer aber behaupte, dass 90 Prozent aller Asylbewerber Sozialschmarotzer seien, instrumentalisiere "die Ängste und Sorgen der Menschen bewusst für sein menschenverachtendes Weltbild". Ihr Parteifreund, Bundesinnenminister Thomas de Maizière, hatte sich zunächst von der "Pegida“-Bewegung abgegrenzt. Inzwischen äußert er gewisses Verständnis für die Demonstranten, will deren Sorgen ernst nehmen. Einen Unterschied macht er zwischen "gut organisierten Veranstaltern" sowie "Extremisten und Chaoten“ auf der einen Seite – und einem Anteil "ernsthaft besorgter Bürger" auf der anderen. Wie groß der ist, will er jetzt ermitteln lassen.

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