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Dietmar Woidke (55) ist seit 2013 Ministerpräsident des Landes Brandenburg.

© Thilo Rückeis

Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke: "Widerstand muss man auch aushalten"

Brandenburgs Ministerpräsident Woidke stellt klar, dass seine umstrittene Kreisgebietsreform kommen wird. Und ein Staatssekretär Holm wäre in seinem Land nicht möglich. Das Interview.

Sind Sie, Pardon, Herr Ministerpräsident, verrückt geworden?

Wie kommen Sie darauf? (lacht)

Sie verordnen Brandenburg eine Kreisreform, die nach Umfragen von 70 Prozent der Bevölkerung abgelehnt wird, am meisten von den Anhängern Ihrer Partei. Wollen Sie 2019 nicht wiedergewählt werden?

Die nächste Wahl wird sich an der Frage entscheiden, ob sich das Land weiterhin gut entwickeln kann. Und auch dafür machen wir diese Reform. Ich bin fest davon überzeugt, dass es Menschen am Ende honorieren, wenn Politik tut, was nötig ist.

Aus vierzehn Landkreisen sollen neun werden, von vier kreisfreien Städten nur Potsdam übrig sein. Was macht Sie sicher, dass die Pläne kein Murks sind, wie Ihnen Kritiker landauf, landab vorhalten?

Wir haben diese Reform sieben Jahre lang vorbereitet. Dazu gab es in der vorigen Legislaturperiode eine Enquete-Kommission des Parlamentes, in der damals auch viele Wissenschaftler sehr positiv mitgewirkt haben. Sie hat einen Bericht mit Empfehlungen für eine Verwaltungsstruktur- und Kreisgebietsreform abgeliefert. Die CDU, die jetzt mault, hat damals zugestimmt. Unsere Reform ist die Fortsetzung dieser damaligen Arbeit.

Warum wollen Sie das Land umkrempeln?

Wir krempeln nicht das Land um, sondern ändern Verwaltungsstrukturen. Die Bürger werden davon im täglichen Leben kaum etwas merken. Das müssen wir machen, weil es für die Landesentwicklung der nächsten Jahrzehnte entscheidend sein wird. Denn wir werden mit den alten Strukturen aus dem Jahr 1993 nicht dauerhaft weiterkommen. Das hat vor allem mit der demografischen Entwicklung zu tun: Künftig leben 50 Prozent auf zehn Prozent der Landesfläche, dem Speckgürtel, die andere Hälfte auf 90 Prozent. Das sind Realitäten, die die Kritiker nicht akzeptieren wollen. Hier passt das Modewort „postfaktisch“. Wir wollen dafür sorgen, dass sich auch jene Regionen weiterhin gut entwickeln können, die nicht in direkter Nähe zu Berlin liegen, die weiter Einwohner verlieren. Weniger Menschen brauchen auch weniger Verwaltung. Außerdem wird es immer schwieriger, Fachkräfte wie Ingenieure für die Bau- oder Umweltämter in den Kreisverwaltungen zu finden. Es sind untere Landesbehörden, keine Bürgerämter.

Es geht auch um Identität, Gefühle, um Heimat, wie die Reaktionen zeigen.

Das ist mir bewusst, ich habe dafür Verständnis. Trotzdem kann ich persönlich mit einem Heimatbegriff nichts anfangen, der so aussähe: Heimat ist nur da, wo sich nichts verändert. Nach 1990 haben 80 Prozent der Brandenburger mindestens einen, wenn nicht zwei, manchmal sogar drei neue Jobs lernen müssen. Man kann sich doch jetzt nicht hinstellen mit der These: Nur in der Verwaltung muss alles bleiben, wie es immer war.

Besonders die größeren Städte Cottbus, Brandenburg an der Havel und Frankfurt/Oder befürchten einen Bedeutungsverlust, wenn sie in neuen Großkreisen aufgehen. In Mecklenburg war das so!

Mit der Reform in Brandenburg sollen diese Städte nicht geschwächt, sondern gestärkt werden. Sie werden die Gewinner sein. Gerade weil sie wichtige Anker in den ländlichen Regionen bleiben müssen. Die kreisfreien Städte haben viel erreicht. Aber zur Wahrheit gehört auch, dass sie hohe Schulden angehäuft haben. Cottbus, nur ein Beispiel, hat rund 200 Millionen Euro Kassenkredite ...

… also Überziehungskredite…

… und man kann sich ausrechnen, was passiert, wenn die Zinsen steigen, das beginnt ja gerade wieder, um einen Prozentpunkt, um zwei Prozentpunkte. Bei drei Prozent Zinsen wäre Cottbus pleite. Deshalb werden wir im Zuge dieser Reform diese Städte von diesen Schulden zur Hälfte entlasten.

Trotzdem schlägt Ihnen von allen Seiten Unmut entgegen. Es läuft eine Volksinitiative, die keine Mühe hat, Unterschriften zu sammeln. Wollen Sie die Reform wirklich weiter durchziehen?

Diese Debatten sind normal. In Berlin war es vor der Bezirksreform 2001 nicht anders. In Brandenburg haben die Gegner die jetzige Phase ausgenutzt, in der viele Fragen noch nicht konkret beantwortet werden können. Es gibt ja erst einen Gesetzentwurf aus dem Innenministerium, der in einer Reihe von Punkten geändert werden muss, um durch das Kabinett zu kommen. Wenn wir im Frühjahr so weit sind, wird es schon anders aussehen. Das wird die Akzeptanz positiv beeinflussen.

Gerade hat Ihre rot-rote Koalition den Zeitplan gestreckt, die vor dem Sommer geplante Schlussabstimmung im Landtag auf den Herbst 2017 – nach der Bundestagswahl – verschoben. Der Anfang vom Abgesang, wie die CDU prophezeit?

Blödsinn. Der Zeitplan wurde etwas gestreckt, weil ein Anhörungsverfahren läuft. Viele Kreistagsvorsitzende und Landräte haben uns gesagt, dass die Weihnachts- und Winterpause zu kurz für Stellungnahmen war, es Sondersitzungen der Kreistage geben müsste. Das ist der Grund. Es ist übrigens auch ein Beleg dafür, wie ernst wir solche Anregungen nehmen.

Sogar Alt-Ministerpräsident Manfred Stolpe hat sich öffentlich zu Wort gemeldet, um die Gemüter zu beruhigen. Er hat neue Namen für die künftigen Kreise vorgeschlagen, in denen wenigstens die Städte auftauchen. Haben Sie das Reizpotenzial unterschätzt?

Nein, ich habe auch mit Manfred Stolpe öfter darüber geredet. Wir werden die Stellungnahmen sehr genau prüfen und auswerten. Danach wird sehr gründlich der eigentliche Regierungsentwurf erarbeitet. Entscheidend ist am Ende, was das Kabinett beschließt und nicht das, was im Innenministerium anfangs vorbereitet wurde.

Es wird Korrekturen geben?

Ja, ganz klar. Zum Beispiel bei den Namen der neuen Kreise. Ich habe kein Problem damit, wenn dabei auch die Namen der in die größeren Kreise integrierten drei Oberzentren Cottbus, Brandenburg und Frankfurt auftauchen oder der schöne Name „Spreewald“. Das sieht das Innenministerium bisher nicht vor. Auch bei den Gebietszuschnitten kann es Veränderungen geben.

Aber Sie knüpfen Ihr politisches Schicksal an diese Reform?

Nein, darum geht es nicht. Noch einmal: Ich bin fest davon überzeugt, dass die jetzige Struktur nicht geeignet ist, Brandenburg durch die nächsten 20 Jahre dieses Jahrhunderts zu bringen.

Eine Art Agenda 2010 – man muss es machen, wird aber im Zweifel abgewählt?

Regieren heißt für mich Gestalten, heißt Verändern, wo notwendig. Da gibt es immer auch Widerstand. Den muss man auch aushalten. Man muss sich mit Kritik auseinandersetzen, Argumente aufnehmen, auch versuchen, das Ganze besser zu erklären. Insgesamt aber bleibt die Reform richtig und unabdingbar.

Mit Ihnen wird Sie nicht beerdigt?

Ich soll sagen, „Ach nee, wir machen es jetzt nicht, weil es Widerstand gibt“? Deshalb nehmen wir alles einfach wieder vom Tisch, und machen womöglich nie wieder etwas in diese Richtung? Für mich ist das unvorstellbar. Die Reform wird nicht abgeblasen.

Sie ziehen es notfalls bis zum Volksentscheid durch?

Ja.

Was im Kleinen gilt, müsste im Großen gelten. Wollen Sie Brandenburg damit auch fusionsreif für ein gemeinsames Land mit Berlin machen?

Nein. Das spielt überhaupt keine Rolle. Für eine Fusion sehe ich – derzeit wie auch auf lange Sicht – keinen Grund, keine Notwendigkeit und auch keine Chance. Brandenburg hat gerade seit 1996, seit der gescheiterten Fusion, eine sehr gute Entwicklung genommen. Es war damals ein Moment, wo bei vielen, die hier Verantwortung trugen, ein Umdenken einsetzte. Denn nun war endgültig klar: Uns hilft niemand von außen. Wir müssen es selbst packen, Brandenburg hochzubringen. Genau das ist gelungen. Zwanzig Jahre später kann man sagen: Die gescheiterte Fusion war gewissermaßen auch ein Startschuss für eine erfolgreiche eigenständige Entwicklung Brandenburgs. Das kann man heute an vielen Parametern sehen, etwa einer Steuerdeckungsquote von 70 Prozent, oder dem 2016 drittgrößten Wirtschaftswachstum in Deutschland.

Brandenburg fährt alleine besser?

Wir haben eine gute Zusammenarbeit beider Bundesländer, kooperieren auf vielen Gebieten. Das werden wir fortsetzen, auch mit dem neuen Senat. Ich wüsste auch gar nicht, was eine Fusion jetzt bringen sollte. Effekte, ob kurzfristig oder langfristig, sehe ich keine. Und in Brandenburg würde es bei einer Volksabstimmung auch keine Mehrheit dafür geben. Die Brandenburger haben in der Demokratie, in der Gemeinde, in Kreistagen, im Landtag gelernt: Mehrheiten entscheiden. Wir hätten in einem gemeinsamen Parlament weniger Brandenburger als Berliner, die sich zwangsläufig nicht sehr für die Probleme in Forst und Perleberg interessieren würden. Und die Metropole wächst, Berlin peilt vier Millionen Einwohner an. Die Gewichte würden sich ja noch mehr zuungunsten Brandenburgs verschieben.

Das sind die gleichen Ängste wie 1996.

Berlin hat seitdem, vorsichtig formuliert, wenig getan, um sie zu entkräften. Wir sind ja schon mit unseren Wünschen nach einer verlängerten Nachtruhe am BER – nach einem erfolgreichen Volksbegehren mit 113 000 Unterschriften – auf taube Ohren gestoßen. Es gibt auch regelmäßig eine gewisse Berliner Ignoranz gegenüber Brandenburger Problemen. Selbst der Spruch von Klaus Landowsky, man werde in einem gemeinsamen Bundesland erst mal die sozialistischen Wärmestuben in Brandenburg ausfegen, hängt uns noch in den Kleidern. Und zudem muss Berlin ja auch erst einmal seine eigenen Probleme lösen, davon soll es ja einige geben. (lacht)

Wie ist Ihr Verhältnis zur neuen rot-rot-grünen Koalition nebenan?

Das fragen Sie mich noch mal, wenn der neue Senat seine ersten hundert Tage hinter sich hat.

Müller und Woidke pflegen eine "gute, pragmatische, freundschaftliche Zusammenarbeit".
Müller und Woidke pflegen eine "gute, pragmatische, freundschaftliche Zusammenarbeit".

© Bernd Settnik/dpa

Machen wir! Und zum Regierenden Michael Müller?

Wir pflegen eine sehr gute, pragmatische, freundschaftliche Zusammenarbeit.

Was heißt das?

Freundschaftlich heißt freundschaftlich. Wir arbeiten zusammen, wir haben ein gutes Verhältnis, aber mehr auch nicht.

Den Start des Senats überschattet eine Stasi-Debatte. Wäre ein Staatssekretär Holm, ein früherer hauptamtlicher Stasi-Mitarbeiter, in Ihrer Regierung denkbar?

Zunächst einmal: Wir geben Berlin da keine Ratschläge. Berlin muss seine Probleme, in diesem Fall seine Personalprobleme, selbst lösen. Ratschläge von außen sind ja ohnehin eher unwillkommen.

Und wie wäre es nun bei einem vergleichbaren Fall in Brandenburg?

In Brandenburg haben wir nach einer sehr schwierigen Diskussion zu Beginn der ersten rot-roten Koalition 2009/2010 Regelungen eingeführt, an denen wir auch weiter festhalten. Danach wäre ein Staatssekretär Holm in Brandenburg nicht möglich.

Zu länderübergreifenden Problemen. Was halten Sie von regelmäßigen Forderungen Berlins, Brandenburg möge schnell aus der Braunkohle aussteigen?

Dazu fällt mir einiges ein, zum Beispiel, dass Berlin von der Energieversorgung aus Brandenburg abhängig ist. Was in Berlin gern ignoriert wird, oder nicht so bekannt ist: Berlin hat heute in der Gesamtstromerzeugung einen Kohle-Anteil von mehr als 50 Prozent. In Brandenburg sind es gerade noch 25 Prozent, der Rest kommt bei uns aus erneuerbaren Energien.

Im rot-rot-grünen Koalitionsvertrag ist festgelegt, dass Berlin 2017 aus der Braunkohle, bis 2030 aus der Steinkohle aussteigt.

Als ich das gelesen habe, war ich etwas verwundert. Zaubern die Berliner? Ich denke, das wird nur einen Effekt haben: Die Abhängigkeit Berlins von Importstrom, insbesondere aus Brandenburg, wird größer werden. Es wird auch Kohlestrom sein müssen, weil Berlin als Weltstadt mit Herz rund um die Uhr versorgt werden will.

Eine gemeinsame Wirtschaftsfördergesellschaft kam mit dem alten Senat nicht zustande. Wären Sie für einen Neuanlauf?

Das hängt von Berlin ab. Es scheiterte 2016 daran, dass Berlin nur die unmittelbar angrenzenden Kommunen des Speckgürtels mit dabei haben wollte. Für Brandenburg ist unabdingbar, dass das gesamte Land im Fokus ist. Wenn Berlin bereit wäre, darüber nachzudenken, dann ist ein neuer Anlauf für eine gemeinsame Wirtschaftsfördergesellschaft auf jeden Fall sinnvoll.

Die Koalition peilt auch eine Parkraumbewirtschaftung innerhalb des S-Bahn-Ringes an, also kostenpflichtiges Parken. Wo bleibt Ihr Aufschrei?

Erst einmal muss man ja abwarten, was sich der Senat genau vorstellt. Wir werden mit den Berlinern darüber reden, sofern Brandenburger Interessen betroffen sind.

Und Ihre Position ist?

Wir sind gut beraten, Mobilität in der Region zu fördern und nicht zu erschweren. Es wäre pendlerfeindlich. Es gilt der Grundsatz: Wer Autoverkehr einschränkt, muss zugleich den ÖPNV ausbauen.

Sollte in Berlin das Angebot an betrieblichen Ausbildungsplätzen nicht ausreichen, will der Senat eine Ausbildungsplatzabgabe prüfen, und zwar möglichst mit Brandenburg. Wären Sie dafür?

Wir hatten vor einiger Zeit ähnliche Probleme. Deshalb haben wir ein Bündnis für Ausbildung auf den Weg gebracht, mit Gewerkschaften, Unternehmerverbänden, Kammern und der Bundesagentur für Arbeit. Alle haben sich damals verpflichtet, mehr zu tun. Das hat gewirkt. Eine Ausbildungsplatzabgabe brauchen wir in Brandenburg derzeit nicht.

Berlins Koalition möchte „die Zusammenarbeit mit dem Land Brandenburg und der OderRegion auf allen Ebenen intensivieren“. Wo sehen Sie da besonderen Bedarf?

Es muss gemeinsame Forderung bleiben, die Schienen-Verbindungen nach Polen zu verbessern. Das brennt uns Brandenburgern auf der Seele, spielt aber auch für Berlin eine riesige Rolle, zum Beispiel Richtung Breslau und Stettin. Zum anderen sollten Berlin und Brandenburg bei für die Gesamtregion bedeutsamen Infrastrukturprojekten stärker als bisher gemeinsam auftreten, etwa beim Bundesverkehrswegeplan, wenn es um vordringliche Projekte für Schiene, Straße, Autobahnen geht. Da könnte man sich noch enger miteinander abstimmen.

Hoffen Sie, dass der neue Senat gegenüber Brandenburg beim Nachtflugverbot am künftigen BER offener ist als der alte?

Der Koalitionsvertrag stimmt mich tatsächlich optimistisch . Es gibt die Chance, zu einer Regelung für die BER-Anwohner zu kommen, die besser ist als die heutige.

Bisher sind Flüge zwischen Mitternacht und fünf Uhr tabu.

Alles, was zu mehr Nachtruhe führt, käme den Betroffenen entgegen.

Geflogen wird ohnehin noch nicht. Und der neue gemeinsame Flughafen wird erst 2018 eröffnet?

Ich rede nicht über Fertigstellungstermine. Wir müssen alles tun, damit der BER bald eröffnet werden kann. Aktuell ist es wichtig, den Druck auf die Geschäftsführung, und deren Druck auf die beteiligten Unternehmen groß bleiben zu lassen, um zu einer möglichst schnellen technischen Fertigstellung zu kommen. Wenn das erledigt ist, wird man mit den Fluggesellschaften beraten, wann eine Eröffnung sinnvoll ist.

Man sagt 2017, damit 2018 klappt?

Das haben Sie gesagt! (lacht)

Aber Sie waren doch zuletzt optimistisch, dass es 2017 wird.

Ich habe mit dem Geschäftsführer, mit Herrn Mühlenfeld, erst vor wenigen Tagen gesprochen. Und ich bin mir einig mit ihm: Wir sind bei allen Schwierigkeiten – es gab auch viele Fortschritte in den letzten Monaten – nach wie vor in der Lage, 2017 die technische Fertigstellung zu erledigen.

Um im März 2018 eröffnen zu können?

Ich hoffe, dass der BER 2017 technisch so weit sein wird, die Eröffnung ernsthaft in Angriff nehmen zu können.

Soll Politik nicht den Menschen reinen Wein einschenken?

Ja, aber diesen reinen Wein, also einen eindeutigen, sicheren Eröffnungstermin, kann man objektiv noch nicht einschenken, weil wir immer noch das Problem haben, dass der Flughafen nicht fertig ist. Deshalb sage ich: Wir sind fertig mit dem Ding, wenn wir mit dem Ding fertig sind.

Noch fliegt nichts vom BER. Doch Woidke hofft, dass es noch in diesem Jahr losgeht.
Noch fliegt nichts vom BER. Doch Woidke hofft, dass es noch in diesem Jahr losgeht.

© Britta Pedersen/dpa

Würden Sie als Berliner das Tegel-Volksbegehren unterschreiben?

Nein.

Aber es wäre sinnvoll, schon wegen der Terrorgefahr, wenigstens den Regierungsflughafen in Tegel zu lassen?

Ich führe diese Diskussion nicht. Tegel liegt in Berlin. Und Berlin hat dazu eine eindeutige Position. Es gibt Pläne für die Nachnutzung. Ich denke, dass auch der Regierungsflughafen dauerhaft und langfristig am BER seinen Platz haben sollte. Allerdings sollten möglichst Zwischenlösungen gefunden werden, die nicht so teuer sind.

Müssen nach dem Terroranschlag am Breitscheidplatz die Sicherheitsbehörden beider Bundesländer enger kooperieren?

Hier ist die Zusammenarbeit seit vielen Jahren wirklich schon sehr eng. Als ehemaliger Innenminister kann ich das ganz gut beurteilen. Auch jetzt standen schon im Moment, als der Anschlag bekannt wurde, Brandenburger Polizisten zur Unterstützung bereit. Niemand wusste ja, ob womöglich eine Kette von terroristischen Attacken geplant war. Schlussfolgerungen müssten woanders gezogen werden.

Nämlich?

Die Vorwarnungen haben offenkundig nicht funktioniert. Es muss kritisch hinterfragt werden, was nicht richtig gelaufen ist. Denn vom gemeinsamen Terrorabwehrzentrum des Bundes und der Länder, wo alle Informationen, auch von ausländischen Geheimdiensten, zusammenlaufen, ist der spätere Attentäter als nicht so gefährlich eingeschätzt worden. Das war offensichtlich eine Fehleinschätzung.

Im Nachgang ist frappierend, wie viel die Sicherheitsbehörden über Amri wussten, sogar dass er mit 14 verschiedenen Identitäten unterwegs war. Droht durch solche Pannen die Stimmung gegenüber Flüchtlingen zu kippen?

Wir dürfen Humanität nicht mit Naivität verwechseln! Wir dürfen nicht davon ausgehen, dass nur nette Menschen aus dem Morgenland wie Caspar, Melchior und Balthasar zu uns kommen. Es gibt leider auch schwarze Schafe, die keine guten Absichten haben oder hier kriminell werden.

Was müsste getan werden?

Zunächst müssen wir endlich wissen, wer im Lande ist. Wir brauchen eine klare Identitätsfeststellung. Ich hätte gerne einmal gehört vom Bundesinnenminister, warum wir Anfang 2017 immer noch nicht so weit sind, warum Hunderttausende nach wie vor nicht im Verfahren sind, wir da immer noch eine Bugwelle aus dem Jahr 2015 vor uns herschieben? Wer kriminell wird, muss schnell bestraft werden. Und zwar vor allem auch im Sinne der Menschen, die auf der Flucht vor Krieg und Vertreibung zu uns gekommen sind. Auf jeden Fall schädlich ist eine Naivität nach dem Motto: Es wird schon nichts passieren oder: Der ist ja traumatisiert, da muss man Verständnis haben, wenn Frauen angegrabscht werden. Nein! Hier muss der Staat, auch um die Flüchtlinge zu schützen, um nicht Vorurteile wachsen zu lassen, Härte zeigen. Und für Gefährder halte ich eine Fussfessel selbstverständlich für sinnvoll – egal welcher Nationalität.

Berlin will mit Brandenburg ein gemeinsames Einsatztrainingszentrum errichten. Ziehen Sie mit?

Es ist nie verkehrt, miteinander zu üben. Alles was in diese Richtung geht, können wir gern zusammen machen, noch stärker als bisher.

Rot-Rot-Grün im Bund? Woidke glaubt nicht daran.
Rot-Rot-Grün im Bund? Woidke glaubt nicht daran.

© John Macdougall/AFP

Hat die Bundes-SPD nach Otto Schily die Innere Sicherheit vernachlässigt?

Es ist natürlich nicht das klassische Thema der Sozialdemokratie. Wir sind auf Bundesebene öffentlich nicht so wahrnehmbar wie eine Partei, die einen Bundesinnenminister stellt. Insgesamt würde ich mir aber schon wünschen, dass Innere Sicherheit auf der Agenda der Bundes-SPD eine stärkere Rolle spielt.

Auch im Bundestagswahlkampf?

Die SPD sollte sich die Frage starker und sicherer Staat grundsätzlich stärker auf die Fahnen schreiben. Soziale Sicherheit und Freiheit des Einzelnen kann man nur wahrnehmen, wenn die Innere Sicherheit gewährleistet ist, wenn die Menschen sich sicher fühlen.

Was stört Sie konkret?

Wir müssen Diskussionen pragmatischer führen, nicht so reflexhaft, zum Beispiel um die Videoüberwachung.

Sie sind für eine Ausweitung?

Ich bin dafür, ohne Scheuklappen zu prüfen, wo das sinnvoll sein könnte. Es mag sein, dass Videokameras keine relevant hohe Zahl von Straftaten verhindern. Aber die Aufzeichnungen helfen, Straftaten schnell aufzuklären, Täter schnell hinter Schloss und Riegel zu bringen. Ich erinnere an den Kindermörder, der Elias und Mohamed umgebracht hat: Es hätte wahrscheinlich weitere Opfer gegeben, wenn der Kioskbesitzer seine Videokamera gesetzeskonform ausgerichtet gehabt hätte. So konnte der Täter gefasst werden. Und es kann auch abschrecken, wenn klar ist: Wer in der Berliner U-Bahn eine Straftat begeht und aufgezeichnet wird, der kommt eben nicht ungeschoren davon. Es gab ja einige Fälle in den letzten Monaten. Wir sind gut beraten, Vertrauen in den Staat, Vertrauen in die Sicherheitsbehörden zu haben und auch Vertrauen darin, dass der Staat sorgfältig mit solchen Daten umgeht.

Muss man die deutschen Grenzen, auch zu Polen, doch stärker kontrollieren?

Das geschieht ja schon, bei bestimmten Anlässen. Übrigens auch auf polnischer Seite, als etwa der Papst dort war. In der heutigen Zeit aber darüber wieder nachzudenken, Grenzkontrollen wie vor 20, 25 Jahren zu machen, wird nicht funktionieren können. Moderne Grenzkontrollen müssen heute flexibler sein.

Sie haben mit Ihrer jüngsten Aussage zu den Nato-Manövern an der Grenze zu Russland – „Es hilft uns nicht weiter, wenn Panzer auf beiden Seiten der Grenze auf und ab fahren“ – auch Irritationen ausgelöst. Sie sind Polen-Beauftragter der Bundesregierung. Meinen Sie, die Polen sehen das auch so?

Ich habe volles Verständnis für die Sorgen unserer polnischen Nachbarn. Als Polenbeauftragter ist das für mich tägliches Thema. Und es war keine Kritik an den Manövern. Es war ein Hinweis, und der ist mir wichtig: Es wird dauerhaft keine Sicherheit in Europa ohne oder gegen Russland geben können. Das Aufrüsten auf beiden Seiten der Grenze zwischen Nato und Russland kann keine Lösung sein. Ich bin für ein gemeinsames Agieren der EU gegenüber Russland, gegenüber Putin. Nötig ist ein engerer Dialog, auch öffentlich sichtbar, mit der russischen Regierung.

Wünschen Sie sich eine rot-rot-grüne Bundesregierung unter Führung von Sigmar Gabriel? Und Martin Schulz schon einmal als Außenminister?

Er wäre sicher ein guter Außenminister. Er hat international hervorragende Erfahrungen und Verbindungen. Natürlich könnte er das Amt ausfüllen. Und zur Kanzlerkandidatur wird sich Sigmar Gabriel bald erklären ….

Und Rot-Rot-Grün im Bund nach der Wahl 2017?

Ich sehe nicht, dass die Linke im Bund in der Lage wäre, Teil einer Bundesregierung zu sein.

Warum nicht?

Es wird eine Bundesregierung, die sich mehr denn je dafür stark machen muss, dass das europäische Bündnis nicht zerbricht, die Nato ein wichtiger Sicherheitsanker im Westen und für viele Staaten wie Polen, wie im Baltikum bleibt. Die außenpolitischen Einstellungen und Positionen der Linken sind für mich mit einer Regierungsbeteiligung im Bund nicht vereinbar.

Das könnte sich ja vielleicht bis Herbst ändern ...

Ich kann mir vieles vorstellen, aber das nicht. Dafür reicht meine Phantasie nicht.

Das Interview führten Stephan-Andreas Casdorff, Robert Ide und Thorsten Metzner. Die Fotos machte: Thilo Rückeis

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