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Dilma Rousseff steht unter Druck - die Regierungskoalition ist geplatzt und sie befürchtet einen Staatsstreich.

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Brasilien: Dilma Rousseff fürchtet einen Staatsstreich

Dilma Rousseff steht unter Druck - die Regierungskoalition ist geplatzt. Die Bevölkerung ist unzufrieden. Olympia steht bevor.

Nein, freiwillig wird sie nicht gehen. Demonstrativ gelassen dreht Dilma Rousseff weiter morgens ihre Runden auf dem Fahrrad durch Brasília. Die frühere Guerillakämpferin, die während der Militärdiktatur im Folterkeller saß, hat schon ganz andere Sachen überstanden. Sie sieht einen Staatsstreich, einen Putsch gegen sich im Gange und verweist darauf, dass sie vom Volk bis 2018 gewählt ist.

Aber seit Dienstag ist es ungewisser denn je, ob sie überhaupt noch die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro im August eröffnen wird. Rückblick, Dienstagnachmittag: Drei Minuten dauert die Sitzung. Dann fassen sich die Politiker der „Demokratischen Bewegung Brasiliens“ (PMDB) an den Händen, halten sie triumphierend nach oben und rufen: „Weg mit der Arbeiterpartei.“ Es hat sich so einiges angestaut.

Kampf um Stimmen im Abgeordnetenhaus

Aber dass der wichtigste Koalitionspartner nach 13 Jahren Regierung mit der linken Arbeiterpartei so den Bruch der Koalition feiert, ist ein weiteres bemerkenswertes Kapitel im politischen Krimi Brasiliens. Die Mitglieder des Direktoriums der rechtsliberalen PMDB rufen: „Brasil para frente, Temer presidente“, „Vorwärts Brasilien, Temer Präsident.“

Der 75 Jahre alte Michel Temer ist der PMDB-Vorsitzende und seit 2011 an der Seite Rousseffs (68) Vizepräsident.

Es spricht für sich, dass er an dieser Sitzung, bei der der Schritt beschlossen wurde, fehlt. Er will Vizepräsident bleiben und könnte bei einer Amtsenthebung von Rousseff zum Präsidenten aufsteigen. Er wahrt den Schein, damit nicht direkt etwas zu tun zu haben. Die sechs PMDB-Minister sollen aus der Regierung abgezogen werden, zum Teil gegen ihren Willen. Rousseff wird nun versuchen, die Posten an andere Parteien zu verteilen, um so genug Stimmen im Abgeordnetenhaus gegen ihre Absetzung zu organisieren. Es ist ein beinharter Kampf derzeit.

Vorwürfe gegen Dilam Rousseff

Da nun viele der 68 PMDB-Abgeordneten im Abgeordnetenhaus das bereits laufende Amtsenthebungsverfahren unterstützen könnten, kann die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit eher erreicht werden. Rousseff wird unter anderem eine Verschleierung der Höhe des Haushaltsdefizits vorgeworfen.

Wenn auch der Senat für eine Fortführung des Verfahrens stimmt, würde sie zunächst für 180 Tage suspendiert und Temer Interimspräsident, das könnte bis Mai der Fall sein. Der Senat würde dann die Vorwürfe detailliert prüfen, Ende Oktober könnte er sie mit Zwei-Drittel-Mehrheit des Amtes entheben und Temer würde Präsident.

Das Ringen um die Macht lähmt mitten in einer tiefen Rezession das Land. Es ist sicher ein historisches Verdienst der seit 2003 regierenden Arbeiterpartei, Millionen Menschen mit Programmen wie der Familiensozialhilfe „Bolsa Familia“ und Mindestlöhnen aus der Armut geholt zu haben - aber strukturelle Probleme und der Absturz des Ölpreises ließen die Wirtschaftsleistung drastisch sinken, über neun Millionen Menschen sind arbeitslos, der Konsum ist eingebrochen.

Krise der gesamten politischen Klasse in Brasilien

Kurz vor Olympia ist die größte Volkswirtschaft Südamerikas nahezu handlungsunfähig. Und es gibt viel Hass gegen Rousseff, bei der Mittel- und Oberschicht. Ihr und der Arbeiterpartei wird auch am stärksten der enorme Korruptionsskandal um geschmierte Politiker bei Auftragsvergaben des Petrobras-Konzerns angelastet - der aber auch führende Oppositionspolitiker betrifft. Rousseff war jedoch von 2003 bis 2010 Aufsichtsratschefin.

Der Senator Delcidio Amaral, ein früherer Parteifreund, hat sie schwer belastet und ihr anhand von Ton-Mitschnitten vorgeworfen, die Ermittlungen behindern zu wollen.

Der britische „Economist“ titelt diese Woche mit einem Bild Rousseffs: „Zeit zu gehen“. Aber es ist auch eine Krise der gesamten politischen Klasse in Brasilien. Von den 594 Mitgliedern des Senats (81) und des Abgeordnetenhauses (513) gebe es gegen 352 Politiker Ermittlungen, bis hin zum Mordverdacht, listet der „Economist“ auf.

Luiz Inácio Lula da Silva sollte Kabinettschef werden

Zugespitzt hat sich alles mit der im Fiasko geendeten Nominierung von Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva Mitte März als Kabinettschef. Ein Bundesrichter untersagte dies, weil er in dem Regierungsamt besser von laufenden Korruptionsermittlungen geschützt wäre.

Wie polarisiert die Stimmung ist, zeigt die Erzählung einer Mutter, deren Tochter eine renommierte Schule in Rio besucht. Als bekannt wurde, dass Lula Minister werden soll, wurden per Mail alle Eltern aufgefordert, die Kinder aus Protest in schwarzen T-Shirts in die Schule zu schicken. Ein Kind erschien in einem roten T-Shirt - der Farbe der Arbeiterpartei - und wurde von Mitschülern massiv gemobbt. (Georg Ismar, dpa)

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