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Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff.

© REUTERS

Update

Brasilien: Rousseff wehrt sich gegen Amtsenthebung

"Sie werden nicht meine Hoffnung töten": Nachdem das brasilianische Parlament in einer theaterreifen Sitzung für ein Amtsenthebungsverfahren gestimmt hatte, trat Brasiliens Präsidentin im TV auf.

Es war die längste Sitzung, die das brasilianische Parlament jemals gehalten hat. Es war die meist gesehene, verfolgt von Millionen Brasilianern auf öffentlichen Plätzen, in Bars und daheim. Und es war eine der kuriosesten: mit einer Stimmung wie im Fußballstadion, spuckenden Abgeordneten, Verrätern und Grüßen an Mutti.

Insgesamt 47 Stunden debattierten die Abgeordneten in der Hauptstadt Brasília, ehe sie am späten Sonntagabend zur Entscheidung kamen. Sie war eindeutig. Mit einer erdrückenden Mehrheit von 367 zu 137 Stimmen wurde beschlossen, das Amtsenthebungsverfahren gegen Präsidentin Dilma Rousseff fortzusetzen. Ausgereicht hätte schon die Zweidrittelmehrheit von 342 Abgeordneten. Der Prozess wird nun im Senat fortgesetzt, wo eine einfache Mehrheit benötigt wird, um Rousseff für zunächst 180 Tagen aus ihrem Amt zu entfernen. Diese gilt als sicher. Die endgültige Entscheidung über das Impeachment wird dann für Oktober erwartet, wenn der Senat unter Vorsitz des Obersten Richters erneut zusammenkommt. Dann wird eine Zweidrittelmehrheit benötigt, um Frau Rousseff abschließend ihres Amts zu entheben.

Das Votum vom Sonntag ist eine herbe Enttäuschung für Rousseff, die gemeinsam mit ihrem Mentor, Ex-Präsident Lula da Silva, bis zuletzt versucht hatte, Stimmen zu gewinnen. Es half nichts. Der Wind hat sich schon seit einiger Zeit gegen Rousseff gedreht. Ihre wichtigsten Koalitionspartner sind abgesprungen, Vize-Präsident Michel Temer konspiriert seit Wochen offen gegen sie.

60 Prozent der Brasilianer pro Rousseff

Das Votum des Parlaments entspricht wohl auch der Meinung einer Mehrheit der Brasilianer, die sich in Umfragen mit 60 Prozent gegen Rousseff aussprechen. Als die Entscheidung um 23 Uhr und sieben Minuten feststand, wurde auf zahlreichen Anti-Dilma-Demos im Land gefeiert, Feuerwerkskörper wurden gezündet. Auf den Protesten gegen das Impeachment, organisiert von Gewerkschaften und sozialen Bewegungen, herrschte hingegen eine Mischung aus Resignation und Wut.

Was wird Rousseff vorgeworfen? Ein sogenanntes Verbrechen gegen die Verantwortung, da sie kurz vor ihrer Wiederwahl Ende 2014 die staatlichen Banken Sozialleistungen auszahlen ließ, ohne die Gelder aus der Staatskasse rechtzeitig zu überweisen. So habe sie ein Haushaltsdefizit verschleiern wollen, lautet der Vorwurf.

Doch unter Juristen ist umstritten, ob diese Begründung für ein Absetzungsverfahren zulässig ist. Vielen gilt sie als vorgeschobenes Argument der konservativen Opposition, die ihre knappe Wahlniederlage nicht akzeptiert hat und nun die schlechte Stimmung der Brasilianer ausnutzt. Diese leiden unter einer schweren Wirtschaftskrise und der Korruptionsaffäre um den staatlichen Erdölkonzern Petrobras. Dilma Rousseffs Arbeiterpartei (PT) ist tief in den Skandal verstrickt. Ebenso ihre Koalitionspartner, etwa Brasiliens größte Partei, die PMDB. Diese hat ihr Fähnchen jedoch rechtzeitig in den Wind gehängt und mit Rousseff gebrochen, geriert sich seit wenigen Wochen als Opposition. Mit Vize-Präsident Michel Temer steht die PMDB nun kurz davor, die Macht zu übernehmen, einem Mann, den zwei Prozent der Brasilianer wählen würden und dessen Name in Verbindung mit der Korruptionsaffäre auftaucht.

Sitzung glich einem Theaterstück

Die Parlamentssitzung am Sonntag war dem Ernst der Lage wenig angemessen, glich eher einem rabaukigen Theaterstück. Jeder der 513 Abgeordneten hatte dreißig Sekunden Zeit, um sein Votum für oder gegen die Fortsetzung des Impeachmentverfahrens zu rechtfertigen. Es waren die Stunden der Hinterbänkler. Viele verwandelten ihren Auftritt in kleine Shows. Dicht umringt von feixenden Kollegen erklärten die Abgeordneten, sie votierten im Namen ihrer Familien, nannten die Namen ihrer Kinder und Eltern. Andere, insbesondere die große Gruppe der konservativen evangeliken Christen, beschworen Gott. Als der rechtsradikale Parlamentarier Jair Bolsonaro sein Votum einem Folterer des Militärregimes widmete, das zwischen 1964 und 1985 herrschte, wurde er von dem Sozialisten Jean Wyllys bespuckt, einem der wenigen bekennenden schwulen Politiker in Brasilien, bekannt geworden in der hiesigen Variante von Big Brother.

Kaum einer der Parlamentarier sprach einmal zum tatsächlichen Abstimmungspunkt: Ob die Anklage gegen Dilma Rousseff wegen Haushaltsmanipulation zulässig ist oder nicht. Stattdessen wurde immer wieder ein Brasilien ohne Korruption gefordert. Doch der Korruption ist Dilma Rousseff nicht angeklagt und niemand wirft ihr persönliche Bereicherung vor.

Hingegen ermittelt die Justiz gegen 299 der 513 Parlamentarier: wegen Korruption, Stimmenkauf, Sklaverei, Folter und sogar Mord. Doch die Abgeordneten genießen so gut wie Straffreiheit. Ein gutes Beispiel ist die Partido Progressista (PP). Sie hat die meisten Abgeordneten, die im Petrobras-Skandal untersucht werden (32 von 49). Zuvor ein Verbündeter der Regierung Rousseff, votierte die PP nun gegen die Präsidentin, die sich verraten fühlt.

Einen Höhepunkt erreichte die Abstimmung als Parlamentspräsident Eduardo Cunha von der PMDB sein „Ja“ zum Impeachment gab. Es gilt als erwiesen, dass Cunha mehrere Millionen Dollar Schmiergelder auf Schweizer Konten gehortet hat, die entsprechenden Dokumente liegen vor.

Dass dieser Cunha nun die Debatte leitete, erzürnte die Abgeordneten von Rousseffs Arbeiterpartei, die „Heuchelei“ und "Gangster" schrien. Auch das Wort vom „Putsch“ gegen eine demokratisch gewählte Präsidentin wurde immer wieder gebraucht. Die Abgeordneten der Opposition konterten mit einem sarkastischen Abschiedsgruß an Rousseff: „Tchau, querida“ – Ciao, meine Liebe.

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