zum Hauptinhalt

Politik: Brecht und Ordnung

Von Rüdiger Schaper

N atürlich hat der heutige große Todestag des B. B. damit etwas zu tun. Damit, dass wir den guten G. G. jetzt nicht mehr so romantisch anglotzen – nach dem unerhört späten Eingeständnis, als junger Kerl in der Waffen-SS gewesen zu sein. Denn die bittere Lehre, sie ist nicht neu. Ob Günter Grass oder Bertolt Brecht, Schriftsteller, Intellektuelle taugen wenig als moralische Galionsfiguren. Mit ihrer Biografie können – und müssen – sie nur bedingt einstehen für ihren Scharfsinn, ihre Empathie und Wortgewalt. Man will sie aber unangreifbar.

Während die Diktatoren und Schlächter des Menschengeschlechts so oft in ihrem ewigen Nachleben eine Renaissance erfahren, stürzen die, die sie bekämpften. Stürzen über die eigenen Versfüße. Brecht, ja, hat schreckliche Irrtümer begangen, was Stalin betrifft. Gewiss war das Hitler geschuldet, das „Lob des Kommunismus“. Und dem Weltkrieg, den die Nationalsozialisten entfachten. Aber: Wie bizarr liest sich Brechts Ablehnung der amerikanischen Zivilisation und ihrer nivellierenden Massenkultur. Es gibt ähnliche Texte bei Adorno, im US-Exil. Brechtianer, Adorniten: Sie haben Schule gemacht. Sie waren Giganten, wie sie nur ein totalitäres Zeitalter hervorbringt. Er habe Vorschläge gemacht – mit dem selbst entworfenen Grabspruch, unnachahmlich in seiner inszenierten Bescheidenheit, dialektisierte Brecht noch sein Verstummen.

Aber auch: kein Grund zur Überhebung, heute. Wir wissen nicht wirklich mehr als die Vorgeborenen. Unsere zeitgenössischen Autoren und Dichter häufen neue, bemerkenswerte, schmerzhafte Irrtümer auf. Und fast scheint es so, als wollten sie sich darin überbieten. Martin Walsers Diktum von Auschwitz als „Moralkeule“. Peter Handkes unermüdlicher Einsatz für Milosevic, den schlimmsten Kriegstreiber vom Balkan. Da ist man rundum bedient.

Bleiben wir bei den Literaturnobelpreisträgern (Brecht war dieser Lorbeer nicht vergönnt). Es quält einen auch jener Furor, mit dem ein Harold Pinter, eine Elfriede Jelinek moralisch gegenrüsten, in diesem Fall geht es um Bush, die Amerikaner und den Irakkrieg. Harold Pinter wiederum gehörte auch zu den Unterzeichnern eines Appells, in dem gegen die unfairen Bedingungen im internationalen Strafprozess gegen Milosevic protestiert wurde. Wie und wo ordnen wir das jetzt ein?

Der Schriftsteller als moralischer Anwalt – keine deutsche Erfindung. Aber hierzulande sehr beliebt. Schiller gehört zu den Prototypen, Büchner weniger. Der so früh Verstorbene vertiefte sich lieber in Schädelnerven und die Abgründe des Fatalen aller Politik. Und der Erotik. Und wie war das mit Karl Marx, einem großen Stilisten der deutschen Sprache? War je ein Autor wirkungsvoller – und was wurde daraus?

Den jungen Grass zog es ins Berliner Ensemble, er hatte noch einen lebendigen Eindruck von Brecht. Später schrieb er „Die Plebejer proben den Aufstand“, im Untertitel „Ein deutsches Trauerspiel“. Davon, wie wir gerade sehen, gibt es ja viele. „Eine Probebühne in Ost-Berlin, 17. Juni 1953“. So gab Grass Ort und Zeit des Dramas um einen Künstler an, einen Intellektuellen, der im Stück nur „Chef“ heißt. Unschwer als Brecht zu erkennen, bleibt der Chef im Theater, solidarisiert sich nicht mit den Aufständischen auf der Straße. Als die ihn hängen wollen, rettet er mit einem poetischenVortrag seine Haut. Draußen vor der Tür machen die sowjetischen Panzer die Arbeiter platt.

In friedlicheren Zeiten hat sich Grass für die politische Arbeit des Schriftstellers entschieden. Für das Engagement. Es war ein konstituierendes Element der alten Bundesrepublik. Nun tritt diese politisch hochmotivierte, selbstgerechte, moralisch lange unerschütterliche Generation in Deutschland nach und nach ab. Prominentester Vertreter im Theater: Claus Peymann, Direktor des Berliner Ensembles und derzeitiger Inhaber des heiligen Brecht-Stuhls. Die Welt hellt sich auf seltsame Weise auf, sie ist jedenfalls nicht mehr so schwarz-weiß. Was Heiner Müller, Brechts gelehrigster Schüler, immer wusste. Vielleicht denken wir heute, an Brechts 50. Todestag, einmal an ihn. Weil Müller zu lachen verstand, im Ernst.

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false