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Politik: Breite Unterstützung für bedrohte Abgeordnete

Bundestagspräsident und muslimische Organisationen verteidigen Deligöz und Akgün gegen Kritik

Berlin - Bundesregierung und Bundestag haben sich schützend vor die Bundestagsabgeordneten Ekin Deligöz (Grüne) und Lale Akgün (SPD) gestellt. Die beiden türkischstämmigen Politikerinnen sehen sich wegen kritischer Äußerungen zum Tragen von Kopftüchern heftigen Anfeindungen ausgesetzt und werden in zahlreichen E-Mails unter anderem als „Verräterinnen“ und „Untermenschen“ beschimpft. Deligöz, die vor zwei Wochen öffentlich an muslimische Frauen in Deutschland appelliert hatte, das Kopftuch abzulegen, steht nach einer Morddrohung inzwischen unter Polizeischutz.

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung und Staatsministerin im Kanzleramt Maria Böhmer (CDU) zeigte sich „sehr erschrocken darüber, wie der mutige Aufruf von Frau Deligöz aufgenommen wurde“. Die Grünen-Politikerin setze sich für Gleichberechtigung von Männern und Frauen ein, sagte Böhmer dem Tagesspiegel. „Dazu gehört auch, dass von Frauen nicht verlangt werden darf, dass sie ein Kopftuch tragen müssen.“ Die Bundesregierung erwarte im Dialog mit islamischen Organisationen, dass diese Meinungsfreiheit und Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau als wesentliche Bestandteile der Verfassung mittragen würden, fügte Frau Böhmer hinzu. „Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist nicht verhandelbar.“

Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) sagte dem Tagesspiegel, Versuche zur Einschränkung des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung seien „nicht hinnehmbar, schon gar nicht Drohungen oder Sanktionen“. Wenn die Empfehlung einer deutschen Muslimin, im Sinne der Integration das Kopftuch abzulegen, mit religiösen Begründungen als unzulässig bezeichnet werde, „erzeugt dies die Frage nach der Vereinbarkeit des so verstandenen Islams mit der deutschen Verfassungsordnung“.

Lammerts Stellvertreter Wolfgang Thierse (SPD) appellierte an „die unterschiedlichen türkischen Gemeinschaften, sich demonstrativ zur Meinungsfreiheit zu bekennen und die Angriffe auf Frau Deligöz und Frau Akgün zu verurteilen.“ Davon hänge auch ihre Glaubwürdigkeit ab. Die Anfeindungen zeigten, dass es „in Teilen der türkischen Gemeinschaft in Deutschland eine regelrechte Integrationsfeindschaft und Ablehnung der demokratischen Grundregeln der Gesellschaft gibt“.

Am Freitag äußerten sich mit dem Zentralrat der Muslime, der islamischen Vereinigung Milli Görüs, und der Türkisch-islamischen Union erstmals muslimische Organisationen zu der Kampagne. Bekir Alboga, Dialogbeauftragter der türkischen Ditib, des größten muslimischen Verbandes in Deutschland, nannte es „völlig inakzeptabel, wenn jemand in einer Demokratie bedroht wird, weil er Kritik geäußert hat“. Er kritisierte aber auch Deligöz, die nach seiner Auffassung hätte wissen müssen, in welchen Kontext ihre Aussagen in der „Bild“-Zeitung geraten würden: „Ich erwarte von Abgeordneten, vor allem Abgeordneten mit Migrationshintergrund, etwas mehr Sensibilität“, sagte Alboga dem Tagesspiegel.

Der Zentralratsvorsitzende Axel Ayyub Köhler rief die Muslime in Deutschland dazu auf, sich schützend vor Deligöz zu stellen. Auch wenn der Zentralrat die Meinung der Grünen-Politikerin nicht teile, sei es ungeheuerlich, wenn Andersdenkende sie deshalb bedrohten. Der Generalsekretär von Milli Görüs, Öguz Ücüncü, sagt, er sei deutlich anderer Meinung. „Aber in einer Demokratie müssen alle solidarisch füreinander einstehen, wenn ein paar Spinner versuchen, einen Disput abzuwürgen.“ Deligöz hatte Milli Görus vorgeworfen, ihr einen Maulkorb verpassen zu wollen.

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