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Politik: Breitseite aus New York

US-Magazin „Newsweek“ attackiert Merkel wegen fehlender Reformen – Kritik auch in britischem Blatt

Von Markus Hesselmann

Es ist eines der Bilder, das kein PR-Berater von seinem Klienten sehen will. Angstvoll starrt Angela Merkel aus dem Fenster, den Blick auf etwas da draußen gerichtet, das ihr offenbar große Sorgen bereitet. Die Bundeskanzlerin wirkt verloren in der großen weiten Welt, defensiv, in sich gekehrt. Das Bild wurde nicht irgendwo abgedruckt, sondern auf der Titelseite von „Newsweek“. Das renommierte amerikanische Nachrichtenmagazin fährt in seiner jüngsten Ausgabe eine Frontalattacke auf die Reformpolitik der deutschen Regierungschefin – oder besser: ihre nach Ansicht „Newsweeks“ fehlende Reformpolitik. „Lost Leader“ (verirrte Führerin) steht dort weiß auf schwarz. „Einst wurde sie als deutsche Margaret Thatcher gefeiert, jetzt regiert Angela Merkel über Umfragen, hält sich raus, steht still bei den Reformen. Was ist passiert?“ Neben einem meinungsstarken Korrespondentenbericht versammelt das in New York erscheinende Blatt vier Kronzeugen, um die Antwort zu geben, darunter den früheren Außenminister Joschka Fischer. Er nennt Merkel eine „risikoscheue Politikerin, die von populären Stimmungen geleitet wird“ und lässt dann durchblicken, dass die Wähler ja selbst schuld seien: „Merkel hat endlich das Votum der Wähler verstanden: Vergesst radikale Wirtschaftsreformen.“

Der „Newsweek“-Korrespondent sieht es ähnlich: Die Deutschen haben es offenbar nicht besser verdient. 45 Prozent der West- und 57 Prozent der Ostdeutschen hielten Sozialismus für eine gute Idee – „trotz der desaströsen Erfahrung des Landes mit 40 Jahren Kommunismus“. Das Land erlebe einen Linksruck. Ein Symptom dafür sei der Aufstieg der „Linken“ um Oskar Lafontaine, „einem fremdenfeindlichen Populisten, der geneigt ist, seine Sympathie für Hugo Chavez und Mahmud Ahmadinedschad zu erklären“.

CDU wie SPD antworteten auf die Herausforderung und „übertreffen sich gegenseitig mit Vorschlägen, die Reformen rückgängig zu machen“. Angela Merkel selbst halte sich größtenteils raus. Der kurze „Berliner Frühling“ – die Analogie zum Prager Frühling ist mit Bedacht gewählt – der Wirtschaftsreformen sei vorbei. Und das mit einer Kanzlerin, die selbst aus Ostdeutschland kommt und „aus erster Hand erfuhr, was es heißt, in einem ineffizienten und unfreien sozialistischen System aufzuwachsen“.

Bestenfalls wird Angela Merkel in „Newsweeks“ Deutschland-Schwerpunkt noch eine passable Außenpolitik zugestanden, aber sonst sieht das Magazin die Lage düster.

Auch in Großbritannien gibt es Kritik an der deutschen Wirtschaftspolitik. „Im linken wie im rechten Lager der großen Koalition Angela Merkels scheinen die Politiker immer stärker darum besorgt zu sein, die Reformen zu verwässern, die ihr Vorgänger begonnen hat“, schreibt die in London erscheinende „Financial Times“. Doch das britische Wirtschaftsblatt hält längst nicht alles für faul im Staate Deutschland. „Niemand sollte allzu alarmiert sein. Als Gerhard Schröder seine Reformen einführte, gab es genauso viel Opposition“, schreibt die „Financial Times“. Der Erfolg der Reformen liege ohnehin weniger an den Politikern als an den deutschen Unternehmen und – „tatsächlich“ – den Gewerkschaften. „Sie nahmen die Sache in die Hand und handelten geringere Lohnabschlüsse aus.“ Von ihnen sei weiterhin Gutes zu erwarten.

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