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Gefahr erkannt. Experten in Schweden sind gegen das Betreuungsgeld. Foto: dapd

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Politik: Bremsklotz Betreuungsgeld

Norwegens Erfahrungen mit der Familienleistung sind negativ. Auch in Schweden gibt es große Zweifel.

Stockholm - Während man in Deutschland noch um das Betreuungsgeld streitet, hat Norwegen bereits die Konsequenz aus eigenen negativen Erfahrungen gezogen: Mit Beginn dieses Monats wurde das Betreuungsgeld für Kinder ab zwei Jahren gekappt. Bisher hatte die staatliche Sozialleistung den Eltern aller Ein- bis Dreijährigen zugestanden. Den Beschluss, die Bezugszeit zu reduzieren, begründete das rot-rot-grüne Kabinett im September 2011 mit der Überzeugung, „das Richtige für die Gesellschaft“ zu tun: „Das Betreuungsgeld hat sowohl die Geschlechtergleichstellung als auch die Integration in Norwegen ausgebremst“, sagte der damalige Minister für Kinder, Gleichstellung und Integration, Audun Lysbakken. „Es hat Frauen vom Arbeitsleben und Kinder aus den Kindergärten ferngehalten – nicht zuletzt Kinder von Migranten, die den Aufenthalt im Kindergarten wahrscheinlich am meisten bräuchten.“

Laut Statistik für das Jahr 2011 waren 84 Prozent der Empfänger von Erziehungsgeld in Norwegen Frauen; deutlich überrepräsentiert sind Mütter mit geringen Chancen am Arbeitsmarkt, insbesondere Migrantinnen aus Asien und Afrika. Lysbakkens Linkssozialisten machen ebenso wie die Arbeiterpartei von Ministerpräsident Jens Stoltenberg keinen Hehl aus dem Ziel, das Betreuungsgeld auf Sicht gänzlich abzuschaffen. Als Koalitionskompromiss mit der Zentrumspartei, die sich für eine Beibehaltung bis zur Zwei-Jahres-Grenze stark gemacht hatte, sieht die Neuregelung nun zwar sogar eine Anhebung des bisherigen Monatssatzes von 3303 norwegischen Kronen (etwa 450 Euro) auf 5000 Kronen (etwa 680 Euro) für Kinder zwischen 13 und 18 Monaten vor. Für Kinder im Alter von 14 bis 23 Monaten bleibt der Betrag aber unverändert – und danach gibt es gar nichts mehr. Das Signal an die Eltern ist klar: vor Vollendung des zweiten Lebensjahres des Kindes sollten sie Kurs auf den Wiedereinstieg ins Arbeitsleben nehmen.

Während Protest gegen die Einschnitte vor allem aus der Christlichen Volkspartei kommt, hat das Gros der Norweger sich ohnehin gegen das Betreuungsgeld entschieden. Nahmen 1999, ein Jahr nach der Einführung, noch 75 Prozent der bezugsberechtigten Eltern Ein- bis Dreijähriger das Betreuungsgeld in Anspruch, waren es 2011 nur noch 25 Prozent, wobei der Rückgang bei Müttern mit guter Ausbildung und hohem Einkommen am stärksten ist. Als wichtigster Grund für den Abwärtstrend gilt der kontinuierliche Ausbau der Kindergartenbetreuung in den vergangenen Jahren. „Die Botschaft von der Mehrzahl der Eltern könnte nicht deutlicher sein: Wenn wir die Chance bekommen, wollen wir Arbeit und Familienleben vereinen“, kommentierte die Tageszeitung „Dagbladet“.

So sieht man es offenbar auch in Schweden, wo die bürgerliche Regierung 2007 dem langjährigen Drängen der Christdemokraten nachgab und den Kommunen ab 2008 die Möglichkeit zugestand, für Ein-bis Dreijährige ein Betreuungsgeld in Höhe von 3000 schwedischen Kronen (etwa 360 Euro) monatlich auszuzahlen. 2011 machten 37 Prozent der Kommunen, aber insgesamt nur 4,7 Prozent der bezugsberechtigten Eltern von dem Angebot Gebrauch. Auch in Schweden sind dabei Frauen mit geringem Einkommen und insbesondere Migrantinnen überrepräsentiert. Unter Verweis auf die Folgen für die Integration empfahl eine staatliche Expertengruppe im vergangenen Jahr, das Betreuungsgeld abzuschaffen, was jedoch am Widerstand der Christdemokraten und entsprechender Rücksichtnahme der Koalitionspartner scheitern dürfte.

Unterdessen hat sich eine Reihe von Kommunen in Norwegen entschlossen, nach dem Wegfall der Leistungen für über Zweijährige ein kommunales Betreuungsgeld auszuzahlen – eine Entwicklung, die Kinder-Ministerin Inga Marte Thorkildsen „beunruhigend“ nennt. Das Thema dürfte auch im Norden weiter Kontroversen auslösen. Anne Rentzsch

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