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Grund zum Grübeln: Gleich eine doppelte Niederlage haben die Liberaldemokraten von Vizepremier Nick Clegg einstecken müssen. Bei Gemeindewahlen verloren sie massiv Stimmen. Und die angestrebte Reform des Wahlrechts lehnen die Briten mehrheitlich ab, wie sich am Freitagabend bei einem Referendum abzeichnete. Clegg steht als Juniorpartner der Regierungskoalition geschwächt da.

© Reuters

Briten strafen Liberale ab: Demütigung für Nick Clegg bei Gemeindewahlen

Im ersten Wahltest seit Bestehen der konservativ-liberalen britischen Regierungskoalition haben die Liberaldemokraten eine für Parteichef und Vizepremier Nick Clegg demütigende Niederlage eingesteckt.

Die Liberalen verloren bei den englischen Gemeindewahlen vom Donnerstag Hunderte von Sitzen und die Kontrolle der Kommunalparlamente in Hull und Sheffield. In Manchester wurden sämtliche Liberaldemokraten aus dem Stadtrat gewählt, in Liverpool sind von zwölf noch zwei übrig geblieben.

Noch schlimmer für Clegg ist, dass der Traum der Liberalen nach einem neuen, kleinere Parteien begünstigenden Wahlsystem für lange Zeit ausgeträumt sein dürfte. Nach Hochrechnungen vom Freitag haben 69 Prozent der Wähler ein neues Wahlsystem in einem gleichzeitig abgehaltenen Referendum abgelehnt. An dem Superwahltag wurden auch Regionalparlamente in Schottland, Nordirland und Wales neu gewählt.

„Wir haben einen wirklichen Schlag bekommen“, räumte Clegg ein und forderte seine Partei auf, sich wieder aufzuraffen. „Die Liberaldemokraten werden für die Sparmaßnahmen der Koalition bestraft, die in vielen Erinnerungen an Thatcher wachrufen“, sagte er. Die Liberalen seien zum Prügelknaben der Koalition geworden.

Anders sah es der Konservative Tim Montgomerie, dessen Website „Conservative Home“ die Stimme der Tory-Graswurzelaktivisten ist: „Die Liberalen wurden dafür bestraft, dass sie den Menschen im Norden eine linke und den Menschen im Süden eine konservative Politik versprochen haben.“

Die traditionell im Süden starken konservativen Tories kamen trotz der rigiden Sparpolitik der Regierung auffallend glimpflich davon, die Labour-Partei schnitt vor allem im Norden gut ab. Der Raum, den sich die Liberaldemokraten als Protestpartei zwischen Tories und Labour erkämpft hatten, wurde damit wieder kleiner, das britische Modell zweier dominanter Parteien gefestigt.

Eine Ausnahme bildete Schottland, wo Labour eine schwere Wahlniederlage gegen die schottische Nationalistenpartei SNP erlitt. Die SNP unter Parteichef Alex Salmond stellt in Edinburgh bislang eine Minderheitsregierung, nun hat sie mit 69 der 129 Sitze die absolute Mehrheit. Damit kann Salmond in der kommenden Legislaturperiode voraussichtlich das von ihm lange geforderte schottische Unabhängigkeitsreferendum abhalten. Premier David Cameron kündigte am Donnerstag bereits an: „Ich werde mit jeder Faser meines Körpers für den Erhalt des Vereinigten Königreichs kämpfen.“ Das Wahlergebnis hat auch Konsequenzen für Labourchef Ed Miliband. Es war nicht der Labour-Triumph, der beweisen würde, dass Miliband der richtige Mann ist, Labour aus der Talsohle zu führen.

Entscheidend für die Koalitionsdynamik ist indes das Referendum zum Wahlrecht. Die Liberaldemokraten wollten mit der Abstimmung vom bisherigen Mehrheitswahlrecht hin zu einem Verhältniswahlrecht gelangen, das kleinere Parteien und damit die Notwendigkeit zur Bildung von Koalitionen begünstigt. Die Niederlage der Liberaldemokraten schmälert ihre Chancen, künftig wieder als Juniorpartner an einer Koalitionsregierung beteiligt zu sein.

Die Niederlage der Reformer geht auf das beherzte Eingreifen von Premier Cameron zurück. Als sich in Umfragen eine Mehrheit für das neue Wahlsystem abzeichnete, warf Cameron das „gentlemen’s agreement“ über Bord, das er mit Clegg hatte. Statt sich zurückzuhalten – im Wissen, dass das neue System nur ein sehr kleiner Schritt weg vom bestehenden System wäre – warf er sich auf Druck der mit den Koalitionskompromissen unzufriedenen Tory-Rechten in die Schlacht. Die Folge: Die Koalitionspartner warfen sich Lügen vor, Liberale sprachen von „Goebbels“-Propaganda.

Auch nach der Abstimmung ging der Streit weiter. Lord Ashdown, ein früherer Chef der Liberalen, sprach von „Vertrauensbruch“ und beschuldigte die Tories, die Liberalen „zu zerstören“. „Das ist extrem dumm, wenn man in einer Koalition zusammenarbeiten will.“

Clegg muss nun diplomatisch auftreten, eine Alternative dazu hat er nicht. Ein Bruch der Koalition würde Neuwahlen und die endgültige Katastrophe für die Liberalen bedeuten. Stattdessen kündigte Clegg bereits eine härtere, „geschäftsmäßigere“ Arbeitsweise der Koalition an. Aber Linke im Kabinett, angeführt von Wirtschaftsminister Vince Cable und Energieminister Chris Huhne, sinnen auf Rache. Sie wollen Cameron zu sichtbaren und spürbaren Konzessionen zwingen – zum Beispiel beim in der Bevölkerung ungeliebten Sparkurs. mit rtr

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