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Brüssel: Gipfel zum EU-Haushalt gescheitert

Die Europäische Union steckt in einer schweren Existenzkrise: Nach dem Nein der Franzosen und Niederländer zur EU-Verfassung scheiterten beim EU-Gipfel in Brüssel am Freitag auch die Verhandlungen über die milliardenschweren Finanzrahmen von 2007 bis 2013.

Brüssel (17.06.2005, 23:07 Uhr) - Der Sprecher von Großbritanniens Premier Tony Blair wies den letzten Kompromissvorschlag des amtierenden EU-Ratspräsidenten und Luxemburgs Regierungschef Jean-Claude Juncker als nicht akzeptabel zurück. Juncker hatte bis zuletzt vergeblich versucht, die Forderungen Großbritanniens und auch der Niederlande und Schwedens zu erfüllen.

Am Vorabend hatten sich die 25 EU-Staaten im Streit über die EU-Verfassung nur auf eine Denkpause von einem Jahr geeinigt. In der Zeit soll geklärt werden, wie es weiter gehen soll.

Blairs Sprecher sagte zu Junckers letztem Rettungsversuch: «Das ist kein akzeptabler Vorschlag.» Er sei finanziell für Großbritannien noch schlechter als der ursprüngliche. Vor allem habe er eine Reform der Agrarpolitik und damit eine grundlegende Finanzreform ausdrücklich ausgeschlossen. Und dies sei eine Voraussetzung für Verhandlungen über den britischen EU-Beitragsrabatt.

Juncker verlor nach Angaben aus den Delegationen am späten Abend mehr und mehr die Geduld. Er machte zum Abschluss des Treffens den Staats- und Regierungschefs einen letzten Vorschlag und brach danach die Gespräche ab. Tschechiens Ministerpräsident Jiri Paroubek kritisierte die Bewegungslosigkeit mehrerer Länder. «In manchen Bereichen bleiben 99 Prozent den einzelnen Staaten erhalten, und wir diskutieren hier über das letzte eine Prozent. Das ist lächerlich und enttäuschend und für uns neue EU-Mitglieder absolut unverständlich», sagte der Sozialdemokrat im tschechischen Fernsehen.

Blair wollte seinen großzügigen Rabatt auf die Zahlungen in die EU-Kasse nur ändern lassen, wenn gleichzeitig auch die seit 2002 festgeschriebenen Agrarzahlungen auf den Prüfstand kommen. Sie machen mit gut 40 Milliarden Euro jährlich den größten Posten im EU-Haushalt aus. Frankreichs Bauern profitieren am meisten davon und streichen etwa ein Fünftel des Betrages ein.

Juncker versuchte am Abend in Zweiergespräche, das Debakel zu verhindern. Er traf Blair, Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac und Bundeskanzler Gerhard Schröder. Schröder hatte zuvor wenig Hoffnung gezeigt. Mit seinem Gesamtkonzept war Juncker den sechs Nettozahlern entgegengekommen, die zunächst ein Prozent der EU-Wirtschaftsleistung als Limit für die Ausgaben gefordert hatten. Er schraubte den Kommissionsvorschlag mit 1,24 Prozent zum Schluss auf 1,06 Prozent oder etwa 870 Milliarden Euro herunter.

Auch der niederländische Regierungschef Jan Peter Balkenende wollte nicht einlenken und forderte deutlich mehr Entlastung bei den Zahlungen in die EU-Kasse, als Juncker zusagen konnte, wie es weiter hieß.

Dem Vernehmen nach bot Juncker an, die bisher vorgesehene Beitragsentlastung von 460 Millionen Euro auf rund 700 Millionen Euro anzuheben. Juncker schlug vor, dass auch Schweden, das ebenfalls massive Entlastung forderte, entsprechend entlastet werde.

Die Niederlande sind pro Kopf das am meisten von EU-Beiträgen belastete Land in der EU. Nach dem Nein seiner Landsleute zur Verfassung steht Balkenende unter großem innenpolitischen Druck, die Zahlungen des Landes in die EU-Kasse deutlich zu drücken.

Der britische Beitragsrabatt war ein zentrales Hindernis auf dem Weg zu einer Einigung. Chirac zeigte sich am Abend bereit, ein Einfrieren des Rabatts auf dem gegenwärtigen Niveau zu akzeptieren und kein Abschmelzen mehr zu fordern. Er zeigte sich auch, die Zahlungen für Landwirte in den Beitrittsländern Rumänien und Bulgarien in Höhe von sechs Millarden Euro aus dem 2002 festgelegten Agrarpaket zu bestreiten, hieß es aus der Delegation. Abstriche für französische Bauern dürften nach Einschätzung von Chirac geringer ausfallen, wenn beide Länder erst 2008 statt wie geplant 2007 beitreten.

Die Uneinigkeit über einen gemeinsamen Weg aus der Verfassungskrise führte dazu, dass nach Großbritannien auch Portugal, Schweden, Dänemark und Finnland die Ratifizierung des neuen EU-Vertrages auf Eis legten. Tschechien kündigte einen ähnlichen Schritt an. Die Verfassung soll das Funktionieren der bis 2007 auf 27 Staaten gewachsenen EU garantieren. Das für den 1. November 2006 vorgesehene Inkrafttreten des Vertrages ist damit unmöglich. Ungeachtet dieser vereinbarten «Denkpause» wollen Polen und Estland an ihrem Zeitplan festhalten. (tso)

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