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Brüssel: So wird das nichts

Es hat eine Zeit gegeben, da dachte ich als halber Nordire, der ich bin, bei Spreads an Brotaufstrich und nicht an Risikoaufschläge von Staatsanleihen. Der „Sixpack“ waren sechs Bierflaschen im Karton und nicht die sechs Gesetze, die zusammen den Stabilitäts- und Wachstumspakt verstärken sollen.

Es hat eine Zeit gegeben, da dachte ich als halber Nordire, der ich bin, bei Spreads an Brotaufstrich und nicht an Risikoaufschläge von Staatsanleihen. Der „Sixpack“ waren sechs Bierflaschen im Karton und nicht die sechs Gesetze, die zusammen den Stabilitäts- und Wachstumspakt verstärken sollen. Und auch die Brüsseler Kolleginnen erinnern sich noch daran, dass ihnen bei diesem Begriff vor Ausbruch der Euro-Krise anderes einfiel.

Als ich im Januar 2010 in die europäische Hauptstadt kam, war nicht so recht klar, womit ich mich beschäftigen würde. Europapolitisch schien das Ende der Geschichte eingeläutet, da sich die Union nach jahrelangen Auseinandersetzungen mit dem Lissabonner Vertrag gerade eine neue Rechtsgrundlage gegeben hatte. Jetzt würde mindestens ein Jahrzehnt lang nichts mehr passieren, hieß es. Während „meiner“ ersten Finanzministersitzung am 18. Januar 2010 fragte ich Kollegen, ob man da den ganzen Abend ausharren müsse. Sinngemäß lautete die Antwort, bei den Euro- Ministern passiere selten etwas, doch als Neuling blieb ich natürlich, bis Luxemburgs Premier Jean-Claude Juncker mitten in der Nacht sagte: „Das griechische Problem betrifft die ganze Euro-Zone.“ Seither ist Alarmstimmung – mit mir kam auch die Krise nach Brüssel.

Für Journalisten sind das ja eigentlich Festtage, wenn die Nachrichten immer schlechter werden und große radikale Lösungen gefragt sind und dabei die verschiedenen europäischen Kulturen – woran dieser Tage so oft erinnert wird – nicht länger auf dem Schlachtfeld, sondern in Sitzungen des Rates oder des Europaparlaments aufeinanderprallen. Deutschland gegen Frankreich oder die Brits, stabiler Norden gegen launischen Süden, und Brüssel finden sowieso alle blöd – der Stoff geht also nicht aus. Allerdings ist bei mir und vielen anderen Kollegen nach zu vielen Spätschichten inzwischen eine gewisse Ermattung zu spüren.

Apropos Brüssel. Das „sanfte Monster“, vor dem Jürgen Habermas gewarnt hat, will auch Korrespondenten zu gerne in die Fänge bekommen. Gefüttert werden seine Opfer mit so vielen Themen und seitenweise technischen Details, damit sie vergessen, dass sie eigentlich die große Salami wollen. Scheibchenweise nur dringen die Informationen nach außen – ein riesiger Kommunikationsapparat versucht den Informationsfluss zu steuern. Da kommt ein Ein-Mann-Boot gelegentlich ganz schön ins Schlingern.

In ruhigere Gewässer lotsen einen auch die Diplomaten aus den Hauptstädten nicht. Im Gegenteil: In Berlin desinformieren sie über die Euro-Krise genauso konsequent, schaffen es aber irgendwie trotzdem weiterhin, mit dem uralten Politikschlager „Das-böse-Brüssel-ist-schuld-dass- es-uns-so-schlecht-geht“ durchzukommen. Dabei passiert in der EU-Kommission und erst recht im Ministerrat fast nichts, was die Bundesregierung nicht will. Noch abstruser wird das Ganze, wenn hinterher die eigenen Beschlüsse bekämpft und der fremden Besatzungsmacht in Belgien zugeschrieben werden. Beispiel Bankenaufsicht: Angela Merkel setzt beim EU-Gipfel Ende Juni durch, dass Geldinstitute nur dann direkt aus den Euro-Krisenfonds gerettet werden, wenn auch eine einheitliche Kontrolle eingerichtet wird. Sie und die anderen Staats- und Regierungschefs beauftragen die EU-Kommission, „Brüssel“ also, so schnell irgend möglich einen Vorschlag vorzulegen, der alsbald von Finanzminister Wolfgang Schäuble öffentlich madig gemacht wird. Ich krieg’ die Krise, wenn der Nationalstaat auf Kosten Europas handelt.

So wird das nämlich nichts mit dem neuen Europa. Wie sollen die Menschen einmal, wie es als Lehre aus der Krise sein müsste, in freier Abstimmung staatliche Hoheitsrechte an Institutionen übertragen, von denen sie dauernd hören, sie wollten ihnen Arges und machten sowieso dauernd nur Mist? Ich hoffe deswegen darauf, dass es weiterhin viele Zeitungsleser gibt, die aus Brüssel ein „Sowohl-als-auch“ bekommen wollen. Bashing für Brüssel, wenn es wirklich Mist baut, und Blumen für Brüssel, wenn es richtigliegt.

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