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Politik: BSE: Unverständnis auf allen Seiten

Sie verstehen sich nicht mehr. Vielleicht haben sie sich nie verstanden, aber seitdem deutsche Rinder offiziell wahnsinnig sind, ist das Verständnis von Gesundheitsministerin Andrea Fischer (Grüne) für Landwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke (SPD) entschwunden.

Sie verstehen sich nicht mehr. Vielleicht haben sie sich nie verstanden, aber seitdem deutsche Rinder offiziell wahnsinnig sind, ist das Verständnis von Gesundheitsministerin Andrea Fischer (Grüne) für Landwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke (SPD) entschwunden. Und umgekehrt. Zwischen ihnen türmen sich über 320.000 Tonnen Tiermehl, die seit der Eilverordnung vom Dezember nicht mehr verfüttert werden dürfen. Zwischen ihnen stehen Tausende von Rindern, die für nichts und wieder nichts geschlachtet werden müssen, nur weil eines ihrer Herdenschwestern BSE hat. Fischers und Funkes Vorstellungen von Landwirtschaft, Nahrungsmittelproduktion und Verbraucherschutz sind sehr unterschiedlich. Deswegen herrscht ein latenter Streit zwischen ihnen.

So sah sich die Sprecherin von Fischer am Samstag gezwungen, einen Bericht des "Spiegel" zu dementieren. Das Magazin berichtet, dass die Gesundheitsministerin bereits seit Anfang November den Bericht der EU-Kommission über mangelnde Kontrollen der deutschen Überwachungsbehörden für das Tiermehlverbot vorliegen hat. Das ist falsch, sagt die Sprecherin von Fischer. Richtig sei, dass die Ministerin am 9. November zwei Seiten des noch nicht fertiggestellten Berichts von EU-Verbraucherkommissar David Byrne erhalten habe. Die seien hoch vertraulich gewesen, da die Mängellisten der EU-Kontrolleure noch an die Länder Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen geschickt wurden, damit die dazu Stellung nehmen. Nachweislich konnte Nordrhein-Westfalen die Vorwürfe der EU ausräumen. Bayern und Baden-Württemberg konnten das nicht. Erst nach diesen Stellungnahmen ist es in der EU-Kommission üblich, derartige Berichte an die zuständigen Bundesministerien zu verschicken.

Außerdem habe Fischers Staatssekretär Erwin Jordan seinen Amtskollegen im Landwirtschaftsministerium, Martin Wille, von dem Inhalt der beiden vertraulichen Seiten vertraulich informiert. Im Hause Funke wusste man also ebenfalls seit November über die mangelnde Überwachung des Futters für Rinder und dass deswegen weiterhin Tiermehl in das Rinderfutter gelangte. Immerhin gilt seit 1994 ein EU-weites Verbot von Tiermehlverfütterung an Wiederkäuer. Funke hat jedoch noch am Freitag auf der gemeinsamen Sitzung von Gesundheits- und Landwirtschaftsausschuß des Bundesstages gesagt, dass er den Bericht erst am 22. Dezember erhalten hat.

Die Verwirrung ist damit am Wochenende nicht zu Ende. Nach dem Sieben-Punkte-Plan für eine Neuausrichtung der Landwirtschaftspolitik von den Staatssekretären Wille und Rainer Baake aus dem Umweltministerium und dem "Funke-Programm für eine verbraucher- und umweltorientierte Agrar- und Ernährungspolitik" gibt es nun ein weiteres Schriftstück zu dem Thema. Die Staatssekretäre der Länder Brandenburg, Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Bremen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Thüringen haben sich am Freitag auf einen "Beschlussvorschlag" geeinigt. Der soll auf der gemeinsamen Tagung der Agrar- und Umweltminister der Länder und des Bundes am 18. Januar vorgelegt werden.

Wie in den anderen Papieren stellen die Staatssekretäre fest, dass BSE zu einer "tiefgreifenden Verbraucherverunsicherung" geführt hat. Ökonomische, ökologische und soziale Aspekte genauso wie die Belange des Verbraucherschutzes müssten in Einklang gebracht werden. In dem Papier, das dem Tagesspiegel vorliegt, fordern die genannten Länder mehr Transparenz für Verbraucher, die "gesundheitliche Unbedenklichkeit aller Nahrungsmittel", eine schärfere BSE-Überwachung und die verwandte Schafsseuche Scrapie und der Risikomaterialentfernung. Außerdem soll eine Gen-Datenbank eingerichtet werden, auf der sich jeder über den Werdegang eines Rindes informieren kann.

Für eine Neugestaltung der Agrarpolitik sprechen sich die Länder nicht aus und bleiben damit ebenso vage wie Landwirtschaftsminister Funke. Sie fordern lediglich "Vorschläge für eine eigenständige Einbeziehung von Natur-, Umwelt- und Tierschutzbelange in die Agrarpolitik vorzulegen". Außerdem soll die Agenda 2000 national umgesetzt werden. Dieses Regelwerk der EU muss die Bundesregierung sowieso umsetzen, wenngleich sie sich bislang darum nicht bemüht hat. Damit sind die Länder zumindest bei Funke auf Nummer sicher gegangen: Auch er stützt sein Programm fast ausschließlich auf die unausweichliche Agenda 2000.

Ulrike Fokken

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