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SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück glaubt an einen Wahlsieg seiner Partei.

© dpa

Kanzlerkandidat Peer Steinbrück: "Ich spüre einen Stimmungsumschwung - so wie 2005"

Peer Steinbrück hofft auf Rückenwind aus der heutigen Landtagswahl in Bayern. Der SPD-Spitzenkandidat spricht im Tagesspiegel auch über seine Stinkefinger-Geste und Koalitionsverhandlungen nach der Wahl.

Herr Steinbrück, Sie haben sich mit Stinkefinger in Skinhead-Pose fotografieren lassen. Was sagt Ihre Frau zu dem Foto?

Die wusste ja, wofür das ist und dass es um Gebärdensprache geht. An diesem Spiel im Magazin der „Süddeutschen Zeitung“ haben schon viele teilgenommen. Es geht darum, auf Fragen ohne Worte nur mit Grimassen, Gesten oder anderen schauspielerischen Mitteln zu antworten. Ich finde, das ist eher etwas zum Lachen. Auch im Bundestagswahlkampf muss es erlaubt sein, sich gelegentlich unkonventionell zu geben. Sonst greift jene Langeweile um sich, die dann auch wieder kritisiert wird ...

Ist das jetzt Teil des Wahlkampfes …

Ach was!

… oder gibt es sieben Tage vor der Wahl auch noch einen privaten Kandidaten in der Öffentlichkeit?

Überhaupt nicht. Das war ein satirisches Format, das seit Jahren erfolgreich erscheint. Wo ist das Problem?

Sie haben sich monatelang beschwert, dass die Medien nicht Ihre Politik, sondern nur Ihre Person thematisierten. Jetzt standen mal die Inhalte im Vordergrund, da richten Sie selbst das Interesse wieder auf Fragen des Verhaltens, der Stilsicherheit eines Mannes, der Kanzler werden will. Ist das klug?

In allen meinen Auftritten stehen Inhalte im Vordergrund, jedenfalls mehr als bei den inhaltsleeren Veranstaltungen von Frau Merkel, wie mir berichtet wird. Daran ändert sich doch nichts, wenn ich daneben mal einen satirischen Auftritt habe. Locker bleiben!

Wie viele TV-Duelle würden Sie gerne noch mit Frau Merkel austragen?

Wenn es nach mir gegangen wäre, wären es zwei gewesen. Aber Frau Merkel wollte ja nicht. Heute bin ich froh, dass das TV-Duell früher stattgefunden hat, als ich es ursprünglich für richtig gehalten habe. Denn seitdem kriegen wir Rückenwind.

Hätten Sie gerne mehr Zeit bis zur Wahl?

Die Antwort lautet Ja. Ich hätte gerne noch zwei Wochen. Es ist erkennbar einiges in Bewegung gekommen. Viele sind aus den Ferien zurückgekehrt, die Mobilisierung hat zugenommen. Die SPD hat bisher drei Millionen Menschen an Haustüren angesprochen. Ich spüre einen deutlichen Stimmungsumschwung. So wie 2005, als Gerhard Schröder mit der SPD ein fulminantes Finish hinlegte.

Aber Schröder hat es in der Zeit nicht geschafft.

Ich meine etwas anderes. Frau Merkel dachte damals, sie kriegt mehr als 40 Prozent und ist dann bei 35 gelandet. Ich bin sicher, dass in diesem Wahlkampf alle ein blaues Wunder erleben werden, die die bisherigen Umfragen für Realität halten.

Zu Beginn des Wahlkampfs hatte die SPD Probleme, die Unterschiede zwischen Ihrer und Merkels Politik deutlich zu machen. Gelingt das jetzt besser?

Die inhaltlichen Unterschiede hat es immer gegeben. Die Behauptung, Union und SPD würden sich ähneln und Frau Merkel würde von uns klauen, habe ich immer für falsch gehalten. Die SPD muss zum Beispiel den Unterschied zwischen unserem Mindestlohn und Merkels Lohnuntergrenze erklären, das heißt gegen einen Anschein argumentieren. Das kostet drei, vier Sätze. Anfangs gelang es nicht, die Luft aus den Luftballons der Union rauszulassen. Nun schaffen wir das, auch weil viele Bürger im Wahlkampf hinhören.

Drei oder vier Sätze – ist das nicht schon zu viel erklärt für einen Wahlkampf?

Nein. Die Sätze kommen an. Frau Merkel vertraut darauf, dass ihre Begriffe verfangen – ein bisschen nach dem Motto: Wir sind ja nicht weit entfernt vom Gerechtigkeitskanon der SPD. In Wirklichkeit will sie eine andere Politik. Damit kam sie bisher durch, weil es zu selten hinterfragt wurde. In der heißen Wahlkampfphase wird es hinterfragt. Und schon dringen wir mit unseren Botschaften besser durch.

Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz hat vor wenigen Tagen die SPD aufgefordert, ihr Wirtschaftsprofil zu schärfen und wirtschaftliche und soziale Fragen nicht als Gegensatz anzusehen. Hat er recht?

Ja. In meinen Worten: Das sozial Gerechte ist auch das ökonomisch Vernünftige. Das predige ich seit vielen Jahren.

Viele in der SPD haben das als Kritik am Wahlkampf des Willy-Brandt-Hauses gelesen. Trifft Scholz da etwas?

Nein. Es gibt mir inzwischen zu viel Überinterpretation und Kaffeesatzleserei.

Welches Deutschlandbild verkörpert die SPD im Wahlkampf?

SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück glaubt an einen Wahlsieg seiner Partei.
SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück glaubt an einen Wahlsieg seiner Partei.

© dpa

Die Großplakate der SPD zeigen keine Lehrer vor einer Klasse, keine Wissenschaftler im Labor, keinen Facharbeiter in einer Spitzentechnologie-Fabrik, sondern Menschen, die wie gelähmt dastehen und unter sozialen Problemen leiden. Ist das das Deutschlandbild der SPD?

Nein. Das Deutschlandbild der SPD ist, dass wir ein sehr starkes Land sind, aber dass zu dieser Realität auch konkrete Sorgen von Menschen gehören. Es geht um eine faire Entlohnung, um gleiche Bezahlung für Männer und Frauen, um bezahlbare Wohnungen, um die Zukunft der Rente und die Zukunft der Pflege. Das plakatieren wir, und das sind genau die Themen, nach denen ich im Wahlkampf von den Menschen gefragt werde, weil sie ihnen auf den Nägeln brennen.

Hat die SPD nicht zu sehr die negativen Seiten Deutschlands betont und Merkel damit ermöglicht, die positiven zu besetzen?

Was hat Frau Merkel in dieser Legislaturperiode gesät, um für Deutschland künftig eine Ernte einzufahren? Welches wegweisende Vorhaben bleibt aus ihrer Regierungszeit, das in die Zukunft weist? Wo hat sie sich mit dem Risiko, Beliebtheitspunkte zu verlieren, für eine Idee von Deutschland eingesetzt? Ich kann nichts erkennen.

Wer wird für die SPD die Koalitionsverhandlungen führen, wenn sie für eine Regierungsbildung infrage kommt?

Die Verhandlungen mit den Grünen über die Bildung der nächsten Bundesregierung werden der Parteivorsitzende, der Kanzlerkandidat und der Fraktionschef sowie die engere Parteiführung anführen.

Und wenn Sie mit der Union verhandeln?

Wir kämpfen für eine rot-grüne Mehrheit. Über andere Arten der Regierungsbildung spekuliere ich nicht.

Sie erheben keinen Führungsanspruch?

Selbstverständlich. Denn es dürfte Ihnen ja bekannt sein, dass ich an der Spitze einer rot-grünen Regierung Bundeskanzler werden will.

Aber in Abstimmung mit Sigmar Gabriel und Frank-Walter Steinmeier?

So wie bisher auch: Wir werden uns auch künftig in der engeren Parteiführung abstimmen. Aber die Verantwortung für das Regierungshandeln trägt der Bundeskanzler.

Am heutigen Sonntag wählen die Bayern den Landtag. Sie waren diese Woche dort im Wahlkampf. Wie war die Stimmung?

Die Stimmung ist für die bayerische SPD erheblich besser, als das Beobachter oder Meinungsforscher beschreiben. Ich halte es nach wie vor für möglich, dass Horst Seehofer nicht die absolute Mehrheit bekommt und die SPD im Süden besser abschneidet als vorausgesagt.

Welche Wirkung erhoffen Sie sich vom Abschneiden der Bayern-SPD für Ihren Wahlkampf im Bund?

Ein deutlicher Zuwachs der Landes-SPD würde uns eine Woche später sehr helfen. Wir haben die Bundestagswahl 2009 auch deshalb verloren, weil die SPD in Bayern deutlich schlechter als die Partei im Bundesdurchschnitt abschnitt. Es gibt in Bayern keine feste Koppelung des Landes- an das Bundesergebnis. Die zehn Millionen bayerischen Wähler stimmen bei Kommunal-, Landtags- oder Bundestagswahlen teilweise sehr unterschiedlich ab, was für ein hohes politisches Bewusstsein spricht.

Herr Steinbrück, wie bewerten Sie das Ergebnis der Syrien-Verhandlungen zwischen den USA und Russland in Genf?

Die Einigung von Genf ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Lösung des Syrien-Konflikts. Es ist gelungen, Russland wieder als konstruktive Kraft zurück an den Verhandlungstisch zu holen und damit den Druck auf das Assad-Regime zu erhöhen. Jetzt gibt es die Chance, das syrische Giftgasarsenal unter internationale Kontrolle zu stellen und zu zerstören. Das sind ermutigende Signale! Nur die deutsche Außenpolitik steht wieder mal abseits. Statt konstruktiv an der sich jetzt abzeichnenden Lösung mitzuarbeiten, hatte sich die Bundesregierung offenbar schon vor zwei Wochen mit einem Militärschlag abgefunden.

Was hätte sie denn tun sollen?

Ich hätte mir gewünscht, dass Frau Merkel und Herr Westerwelle sich offensiv auf einen Fahrplan eingelassen hätten, wie wir ihn Ende August vorgelegt haben – und der jetzt Gestalt annimmt, nur leider ohne deutsche Beteiligung.

Das Gespräch führte Hans Monath.

Zur Person Peer Steinbrück:

KRISENMANAGER

Als die weltweite Finanzkrise ausbrach, war Peer Steinbrück Finanzminister der großen Koalition unter Angela Merkel. Zusammen mit der Kanzlerin gab er eine Garantie für deutsche Sparguthaben ab.

KANZLERKANDIDAT

Im September 2012 wurde Steinbrück zum Kanzlerkandidaten der SPD ausgerufen – viel früher als ursprünglich geplant. Anfangs machte „Pannen-Peer“ Schlagzeilen mit seinen Nebeneinkünften.

KLARTEXTREDNER

Mit seiner manchmal ruppigen Art macht Steinbrück sich angreifbar. Im Wahlkampf versuchte er jedoch, das Bild vom Klartext-Peer zu seinem Markenzeichen zu machen.

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