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Update

Peer Steinbrück im Gespräch beim Tagesspiegel: Merkel fehlt Leidenschaft für Europa wegen DDR-Sozialisation

Peer Steinbrück sieht in Angela Merkels DDR-Vergangenheit einen Grund dafür, dass sie wenig Leidenschaft für Europa zeige. Die CDU ist empört und verlangt eine Entschuldigung für die "Entgleisung".

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Berlin - SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück hat Regierungschefin Angela Merkel (CDU) aufgefordert, sich von den USA schriftlich bestätigen zu lassen, dass deren Geheimdienste deutsches Recht einhalten. „Ich würde mir mehr Aktivität von ihr wünschen“, sagte Steinbrück bei einer Matinee des Tagesspiegels am Sonntag. „Im Augenblick haben wir eine Phase, wo alles auf Abwarten getrimmt ist“, sagte der SPD-Politiker.

Der Kandidat verwies auf den früheren Kanzler Gerhard Schröder (SPD). Dieser habe im Zusammenhang mit dem Spionagesystem Echelon 1999 eine schriftliche Bestätigung bekommen, wonach der US- Geheimdienst NSA nicht deutsches Recht und deutsche Interessen verletzte. Steinbrück verlangte eine Klärung der Fragen, ob die „Totalüberwachung“ weiterhin stattfinde und deutsche Regierungsstellen sowie Firmen abgehört würden. Auch wolle er wissen, ob europäische Einrichtungen „nach wie vor verwanzt“ seien. Bis zur Beantwortung der Fragen müssten die Verhandlungen über ein  Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA ausgesetzt werden. „Solange keine Klarheit herrscht, wird nicht verhandelt.“

Steinbrück warnte vor einer Preisgabe demokratischer Grundrechte. Er kritisierte, dass Merkel „nicht mit Nachdruck nachfragt: Was findet da eigentlich statt?“ Er fügte hinzu: „Es werden deutsche Grundrechte verletzt.“ Sofern die Berichte über die Spähprogramme zuträfen, sei es „der weitreichendste Eingriff in unsere informationelle Selbstbestimmung“.

Steinbrück erklärte, er selbst habe gegenüber US-Präsident Barack Obama bei dessen Besuch im Juni in Berlin die Spähaffäre angesprochen. Obama habe ihm erklärt, dass es den US-Geheimdiensten nicht um „personenspezifische Daten“ gehe und alle Aktivitäten gerichtlichen Auflagen unterlägen. Steinbrück sagte, er habe erst später festgestellt, dass dieses Gericht geheim tage: „Gerichte, die geheim tagen, können keine Gerichte sein“, sagte er. Für den Fall eines Wahlsieges kündigte Steinbrück an, er werde die bisherige Praxis der Bundesregierung ändern und in Kabinettssitzungen den Gebrauch von Mobiltelefonen verbieten. „Es ist undenkbar, dass wir das Risiko eingehen, über Mobilfunktelefone abgehört zu werden.“

Der Kanzlerkandidat warf der Amtsinhaberin vor, sie täusche die Wähler über finanzielle Belastungen, die in der Währungskrise auf die deutschen Steuerzahler zukämen. Merkel werde vor dem Wahltag „alles vermeiden, um auch nur eine Ahnung entstehen zu lassen, dass wir selbstverständlich zahlen“, sagte Steinbrück. Stattdessen versuche sie, „Entlastung zu propagieren“. Merkel behaupte, Deutschland müsse nicht haften. „Tatsächlich ist Deutschland mitten drin in einer Haftungsgemeinschaft“, sagte der SPD-Politiker.

Steinbrück kritisierte, Merkel fehle es an Leidenschaft für Europa. Die mangelnde Leidenschaft hänge damit zusammen, dass die heutige Kanzlerin in der DDR sozialisiert worden sei und ihr deshalb das Projekt Europa ferner stehe als einem in Westdeutschland aufgewachsenen Politiker. „Ich halte daran fest: Die Tatsache, dass sie jedenfalls bis 1989/ 90 eine ganz andere persönliche und politische Sozialisation erlebt hat als die, die diese europäische Integration seit Anfang der 50er Jahre erlebt haben, beginnend mit den Montanverträgen, das spielt in meinen Augen schon eine Rolle“, sagte er. Steinbrück fügte hinzu: „Das will ich nicht missverstanden haben als Vorwurf, denn sie konnte sich ja nicht aussuchen, ob sie nach der Spaltung Deutschlands und Europas auf der östlichen oder westlichen Seite Europas aufgewachsen ist.“

Auf die bereits veröffentlichte Online-Berichterstattung des Tagesspiegels über die Matinee vom Sonntagmittag reagierte die CDU in diesem Punkt am Abend. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe sagte, Steinbrück beleidige mit seiner Äußerung über die Kanzlerin „Millionen Menschen in der ehemaligen DDR und in ganz Mittel- und Osteuropa“; er forderte eine Entschuldigung vom SPD-Kanzlerkandidaten.

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