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Die Stimme zählt am 22. September.

© dpa

Reaktion auf den Aufruf zum Wahlboykott: Nicht wählen geht gar nicht!

Zuletzt haben einige Intellektuelle zum Wahlboykott aufgerufen. Das kann nicht die Lösung sein, sagen drei Chefs der deutschen Jugendorganisationen. Und appellieren in einem gemeinsamen Aufruf an das Engagement jedes Einzelnen in einer Demokratie.

Vor Kurzem hat Georg Diez auf Spiegel Online mit dramaturgischer Eleganz des ehemaligen Theater-Feuilletonisten erklärt, dass er sein Kreuz verweigere. In der Tat: Den Stimmzettel nicht ausfüllen und ihn so zum Denkzettel gegen alles, was einem an der Parteiendemokratie nicht passt, zu machen – das mag einem in den Sinn kommen. Eine sinnvolle Option ist es aber nicht.

Wir laden jeden, der so denkt, gern ein, uns bei unserer Demokratiearbeit in einen scheindemokratischen Staat zu begleiten. Dann wird er erkennen, was für ein Schlag ins Gesicht es für jeden ist, der in Syrien, Aserbaidschan, Weißrussland oder in Mali für Demokratie kämpft, wenn ein deutscher Theaterkritiker aus dem Ohrensessel seiner klimatisierten Berliner Wohnung behauptet, dass freie und faire Wahlen nicht so wichtig seien.

Die Wahlverweigerung als politisches Druckmittel, weil man einer Partei nicht zu 100 Prozent zustimmen kann? Hier offenbart sich eine Einstellung von kindlicher Naivität. Gesellschaftliche Realitäten sind komplex gesellschaftliche Probleme sind komplex. So sind auch die Lösungsangebote der Parteien. 100 Prozent Übereinstimmung sind da schlicht unmöglich. Niemand würde diese Anforderung auch an andere Lebensbereiche stellen? Das Dasein wäre wohl sehr einsam. Keine Familie, kein Freundeskreis, kein Job könnte vor diesen Anforderungen bestehen.

Egal, wer regiert?

Mit der Einstellung, Wahlen nur zu unterstützen, wenn es sich gut anfühlt, hätte Otto Wels niemals die wohl wichtigste Rede der deutschen Sozialdemokratie gegen die Nazis halten können. Die Wahlen davor im Dritten Reich waren für alle Nazigegner, aber zuvörderst für die SPD viel, aber nicht schön. Demokratie lebt davon, dass es nicht nur Schönwetterdemokraten gibt, sondern genau diejenigen, die auch gegen Widerstände zu ihren Überzeugungen stehen. Und auch wenn wir drei unterschiedliche Meinungen haben: Wir sind sicher, dass der oder die jeweils andere wirklich überzeugt ist, dass bürgerliche, freiheitsliebende oder eben soziale Lösungsansätze jeweils den besten Weg aus der Euro-Krise oder zu mehr Chancen in der Bildung ausmachen können.

Jeder macht, was er will? Es ist egal wer regiert? Mitnichten! Zum Beispiel auf dem Feld der Renten- oder Steuerpolitik unterscheiden sich die Parteien deutlicher als früher. Das sind die Alternativen, die angemahnt werden, und wir gestalten sie mit. Auch wir sehen manches kritisch, die Junge Union lehnt die Frauenquote, anders als die Union, ab, die Jusos lehnen die Vorratsdatenspeicherung in voller Gänze, anders als die SPD-Spitze, ab, und die Jungen Liberalen sind, anders als die FDP, auch mehr als skeptisch, was regionale Lohnuntergrenzen angeht.

Demokratie heißt auch Streit

Aber am Ende wissen wir: Demokratie ist auch, dass man nicht immer eins zu eins seine Meinung sofort durchsetzen kann. Wer das will, wünscht sich keine Demokratie, sondern will selbst Diktator sein. Diese Forderung wäre nicht eine "Schrumpfform der Demokratie", sondern deren Abschaffung. Demokratie heißt sich zu streiten. Demokratie heißt, im Wahlkampf auch mit härteren Bandagen zu kämpfen. Demokratie heißt zu versuchen, mit seinen Argumenten zu überzeugen. Und Wahlen sind dabei der Moment, auf den es in unserer repräsentativen Demokratie ankommt. Hier liegt der zentrale Denkfehler der Wahlverweigerung, denn: Der Nichtwähler ist der einzige, der unter Garantie nicht das bekommt, was er will. In einer Demokratie nicht zum Wählen zu gehen, ist so logisch wie sich eine Kinokarte zu kaufen, dann aus Protest nicht in den Film zu gehen und zu hoffen, dass man damit irgendetwas erreicht.

Wer etwas verändern will, sollte sich politisch engagieren, denn davon lebt unsere Demokratie. Vom Engagement in Vereinen, in Parteien und in Initiativen, aber nicht von altklugen Aufrufen zur Wahlenthaltung. Wir haben schon viel berechtigte Kritik an Politik gehört: dass es manchmal zu schwer ist, einen Zugang zu finden, dass manche eingefahrenen Wege gerade jüngere Menschen abschrecken oder dass wir manchmal schlicht eine Überzeugung haben, die jemand anderen, auch uns gegenseitig nicht gefällt. Das alles sind vollkommen berechtigte Kritikpunkte, an denen wir arbeiten und die wir verbessern wollen.

Warum? Weil wir etwas bewegen wollen. Wir wollen unsere Gesellschaft gestalten. Wir wollen – auch wenn es mit Sicherheit zu pathetisch klingt – eine bessere Zukunft für die Menschen. Dafür machen wir Politik. Jeder in seiner Organisation, jeder mit unterschiedlichen Inhalten, aber immer mit Überzeugungen.

Eben nicht dafür, dass man eine schönere Kulisse der deutschen Politik bewundern kann, sondern dafür, dass es substanziell vorangeht. Da sieht manchmal die Bühne nicht so schön aus wie im Theater, weil die Kulisse unter manchem Streit gelitten hat. Alle potenziellen Wahlverweigerer, ob Theaterkritiker oder nicht, sind herzlich eingeladen, mal vorbeizuschauen und etwas zu bewegen.

Der Text ist erschienen auf Zeit Online. Katrin Albsteiger ist Vorsitzende JU Bayern, Sascha Vogt ist Vorsitzender der Jusos und Lasse Becker ist Vorsitzender JuLis.

Katrin Albsteiger, Sascha Vogt, Lasse Becker

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