zum Hauptinhalt
Beginn des Aufstiegs. Bundeskanzler Helmut Kohl gratuliert seiner neugewählten Stellvertreterin Angela Merkel während des Parteitags der CDU 1991 in Dresden.

© dpa

Bücher über Merkel: Auf Enthüllungsjagd

Der Boom der Merkel-Bücher verrät mehr über die Deutschen als über ihre Chefin - am liebsten wühlen sie in der Vergangenheit.

Von Robert Birnbaum

Neulich hat die CDU-Vorsitzende ihrem Parteivorstand ein Angebot gemacht. Es war am Ende einer dieser Sitzungen im Konrad-Adenauer-Haus, draußen war seit Tagen von Angela Merkels Vergangenheit die Rede, drinnen war das kein Thema, bis zuletzt Dagmar Schipanski aufstand und jetzt doch mal DDR-historisch einiges zurechtrücken wollte. In die FDJ, hat Schipanski gesagt, sei man eingetreten, weil einem dann keiner mehr ein SED-Parteibuch aufgedrängt habe. Das sei unter Naturwissenschaftlern ein beliebter Weg in die Halbdistanz gewesen. Schipanski ist Physikerin. Merkel hat sich daraufhin gleich doppelt gefreut, dass sie auch Physikerin geworden ist. Und dann hat sie gesagt, wenn einer mehr von früher wissen wolle, „dann reden wir auch gerne drüber“.

Natürlich hat keiner aufgezeigt. Dabei scheint, nimmt man die Buch-Neuerscheinungen der Saison zum Maßstab, Bedarf zu herrschen an Lösungen eines Rätsels namens Merkel. Das „erste Leben“, die „Zauder-Künstlerin“, „das Phänomen“, „die Kanzlerin und ihre Welt“ – nach 13 Jahren CDU-Vorsitz und fast acht Jahren an der Regierungsspitze hat Merkel-Astrologie weiter Konjunktur.

Vielleicht verrät das mehr über die Deutschen als über ihre Chefin. Aber dazu später; erst ist einiges zu erledigen. Zum Beispiel das Autorenduo Ralf Georg Reuth und Günter Lachmann, Urheber der jüngsten Aufregungen über „Das erste Leben der Angela M.“. Wären die Herren bescheiden geblieben, man könnte ihr Buch sogar lesen. Leider wollten sie groß raus. Und so wurde eine Recherche, die der DDR-Geschichte der Angela M. ein paar Details hinzufügt, zur Enthüllungsstory aufgeblasen. Die Methode folgt der des nächsten Sensationsbuchs, das die zwei schreiben sollten: Helmut Kohl war gar nicht für die Einheit! Zeitzeugen enthüllen einen Zehn-Punkte-Plan für eine „Konföderation“...

Das Verschwörer-Geraune ist umso ärgerlicher, als es den Blick darauf verstellt, wie viel von der früheren, der neugierigen wie der geschmeidig sich dem Spiel der Kräfte fügenden Angela noch – oder nach zwei Jahrzehnten sogar: wieder – in der mächtigsten Frau Europas steckt. Aber auch andere Betrachter können es nicht lassen. Es muss knallen. Der „Bild“-Mann Nikolaus Blome will uns glauben machen, dass Merkel nach einem Wahlsieg im Jahr 2015 souverän abdankt. Die Spökenkiekerei entwertet ein Buch zu Altpapier, das sonst als verständnisvoller Bericht aus journalistischer und politischer Halbdistanz durchaus lesbar wäre.

Stefan Kornelius, Chef-Außenpolitiker der „Süddeutschen Zeitung“, macht solche Haltungsfehler nur im Klappentext, der ihn „in engem Kontakt mit der Kanzlerin“ anpreist. Ansonsten bleibt er ein abwägender Beschreiber selbst da, wo er Neues zutage fördert: Merkels Familie väterlicherseits stammt aus Polen. Wer sich vertieft für Merkels Außenpolitik interessiert, findet viel Material. Aber selbst dieses Buch fürs Fachpublikum glaubt nicht ohne ein Kapitel auszukommen, das die Frage nach Merkels wahrem Kern stellt. Kornelius findet: „Die Antwort ist langweilig: Bei Merkel bekommt man, was man sieht.“ Was insoweit ja stimmt, als in Merkels Kopf und Herz wirklich kein geheimer politischer Generalplan lauert.

Aber erst Judy Dempsey geht den entscheidenden Schritt weiter: Ihr ist die Antwort egal. Das ist umso bemerkenswerter, als die langjährige Berlin-Korrespondentin großer angelsächsischer Zeitungen der designierten Kanzlerin 2005 als Einzige eine Menschel-Frage stellte: „Sind Sie jetzt glücklich?“ Die Frage lag auf der Hand. Trotzdem kam kein deutscher Kollege darauf. Genauso logisch – und genauso unüblich – ist Dempseys Blick auf „Das Phänomen Merkel“. Mit nüchterner Verblüffung beschreibt sie die Kanzlerin als Politikerin unter ihren Möglichkeiten: Sicherheitspolitisch, bei Klima und Menschenrechten, in der Familien- und Integrationspolitik und auf anderen Feldern bleibe die mächtigste Frau Europas nach engagierten Anfängen weit hinter dem zurück, was sie selbst als nötig beschreibe.

Nein, Dempsey ist nicht fasziniert davon, wie beliebt Merkel bei den Deutschen ist. Für Dempsey ist das ein Alarmsignal: Eine Kanzlerin, die in der Euro-Krise zuvörderst das Ersparte zusammenhält, erscheint ihr als Spiegel all der historisch gewachsenen Verklemmungen, die das wichtigste Land Europas so oft vor einer Führungsrolle zurückschrecken lassen. Lieber wühlen sie hier in Vergangenheit. Vielleicht steckt da ja sogar eine Antwort auf die Frage, warum Merkel so ist, wie sie ist. Aber was würde das helfen, wenn Dempseys skeptischer Befund stimmt: „Angela Merkel ist eine kluge, mächtige, von tiefen Widersprüchen geprägte Frau, die vieles erreicht und noch mehr hat liegen lassen.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false