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Politik: Bündnisgrüne: Mehr Selbstbewußtsein, bitte (Kommentar)

Seit vielen Jahren befinden sich die Bündnisgrünen in einem mühsamen Wandlungsprozess von einer Bewegungs- und Oppositionspartei hin zu einer etablierten Regierungspartei. Dieser Prozess verschont keinen Winkel der Partei, er belastet sie mit einer Identitätskrise und mit erheblichen Schwächen bei der Wählermobilisierung.

Seit vielen Jahren befinden sich die Bündnisgrünen in einem mühsamen Wandlungsprozess von einer Bewegungs- und Oppositionspartei hin zu einer etablierten Regierungspartei. Dieser Prozess verschont keinen Winkel der Partei, er belastet sie mit einer Identitätskrise und mit erheblichen Schwächen bei der Wählermobilisierung. Doch eine gezielte Steuerung dieses Anpassungsprozesses findet nur zögerlich statt.

Der für Bewegungsparteien typische regionale Pluralismus, die Dominanz der Basisgruppen (Kreisverbände) wirkt sich hinderlich auf die Mobilisierungserfordernisse einer Regierungspartei aus. Ursprünglich wurden die Grünen von politisierten, aktiven Bewegungen vor Ort getragen. Die Basis war politisch motiviert und musste nicht eigens mobilisiert werden. Mittlerweile sind die neuen sozialen Bewegungen eingeschlafen, und die Partei trägt Regierungsverantwortung. Beides nötigt ihr neue Kommunikations- und Mobilisierungsleistungen ab, die ohne ein Machtzentrum kaum erbracht werden können.

Machtzentrum ist nicht gleichbedeutend mit Zentralismus, Machtzentrum bedeutet vielmehr eine die Kräfte bündelnde und koordinierende Instanz, die zugleich als Denkfabrik und als professionelle Medienagentur wirkt. Ob die neuen Sprecher und der verschlankte Parteirat dies leisten werden, bleibt abzuwarten. Denn der Erfolg des Machtzentrums hängt auch von Ressourcen ab. Parteivorstand und Parteirat müssen sich - selbst wenn sie aus Polit-Profis à la Künast und Kuhn bestehen - des Sachverstands von Sozialwissenschaftlern, Kommunikationsexperten und Fachleuten bedienen können. Aber dafür verweigert ihnen die Basis die notwendigen Finanzen. Die Kreisverbände wollen kein effizientes Zentrum - das lähmt die Partei. Die Bewegungs-Traditionalisten sperren sich gegen ihre vermeintliche Entmachtung, obwohl ihnen ihre Machtbasis, die Bewegungen, längst abhanden gekommen ist. Gerade deshalb sind sie auf ein fähiges Management angewiesen, das die durchaus beachtlichen Leistungen der Partei gut verkauft, Kampagnen vorbereitet und verhindert, dass die Partei von einer Kommunikationspanne in die nächste stolpert.

Allerdings bleibt das schönste Machtzentrum wirkungslos, wenn der Partei eine Botschaft fehlt. Ist das grüne Projekt mit dem Atombeschluss von Münster tatsächlich beendet? Nein. Die Anti-AKW-Bewegung und viele Parteiaktivisten mögen die Grünen so gesehen haben, für die Mehrheit ihrer Wähler repräsentierten sie ein "postmaterialistisches" Wertemuster, das mit den Zielen "ökologisch, sozial, basisdemokratisch und gewaltfrei" eine empfindliche Lücke im deutschen Parteienangebot füllte.

Mittlerweile hätten sich die Bündnisgrünen - so ist vielfach zu hören - vom Prinzip der Basisdemokratie weithin und vom Grundsatz der Gewaltfreiheit gänzlich (Kosovo) verabschiedet. Und da sich ökologische und soziale Forderungen auch bei anderen Parteien fänden, wären die Bündnisgrünen überflüssig. Diese Sichtweise teilen offenbar auch viele Grüne. Wie ließen sich sonst die ängstliche Fixierung auf die FDP, das Gerede von einem Neuanfang und die abenteuerlichen Vorschläge für neue Themen erklären? Als Wirtschafts- oder Technologiepartei kämen die Grünen nicht über den nächsten Winter.

Was tun? Zunächst sollten sich die Grünen ihre Existenzberechtigung nicht von interessierten Kreisen abschwätzen lassen. Andere Parteien leben mit ähnlichen Prognosen ("Ende des sozialdemokratischen Jahrhunderts", "Auslaufmodell" FDP) recht gut. Ferner sollten sich die Grünen auf ihren Gründungskonsens besinnen. Nach wie vor sind libertäre Werte bei den Wählern weit verbreitet. Das Potenzial beträgt im Westen etwa zehn, in Osten rund sieben Prozent. Auch die grünen Politikbereiche sind nicht bedeutungslos geworden, allerdings haben sich die Gewichte verlagert. Für viele Anhänger der Grünen ist Bildungspolitik mittlerweile wichtiger als der Atomkonflikt. Der Parteispendenskandal offenbarte ein großes Bedürfnis nach mehr Öffentlichkeit und demokratischer Kontrolle. Dennoch blieben die Grünen merkwürdig schweigsam. Und auch bei Einwanderung, Asyl und Rassismus ist nicht erkennbar, dass die Grünen die Meinungsführerschaft bei zivilgesellschaftlich orientierten Wählern anstreben.

Als Regierungspartei sind die Grünen zu politischer Allzuständigkeit (und zu Koalitionstreue) gezwungen - Profilbildung fällt da schwer. Daher sollte die Partei einige wenige außerparlamentarische Kampagnen zu fundamentalen Anliegen der libertären Wähler durchführen, die den veränderten Lebensstilen ihrer Milieus Rechnung tragen. Die Grünen haben eine Zukunft - als libertäres Korrektiv zur SPD.

Richard Stöss

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