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Bürgerkrieg in Libyen: Massaker der Gaddafi-Truppen

Bei ihrem Siegeszug haben die Rebellen in Libyen 50 Leichen von Oppositionellen entdeckt. Insgesamt werden noch ca. 48000 Menschen vermisst, die von Gaddafi-Treuen verschleppt worden sein sollen.

Leichengeruch zieht aus dem verkohlten Metallschuppen über das Gelände, direkt neben dem zerstörten Hauptquartier der gefürchteten 32. Brigade von Gaddafi-Sohn Khamis. Die Umrisse der Körper auf dem Boden sind noch zu erkennen. Die Toten wurden inzwischen von Anwohnern geborgen und bestattet. Als die Rebellen letzten Freitagabend die Yarmouk-Kaserne nach sieben Stunden erbittertem Kampf schließlich erobern konnten, kam für rund 50 hier gefangene Oppositionelle jede Hilfe zu spät. Kurz vor dem Untergang des Regimes waren sie von Khamis Elitesoldaten massakriert worden. Ihr Massengrab war bereits ausgehoben. Fathallah Abdullah, der zusammen mit drei Söhnen hier eingesperrt war, überlebte als einziger seiner Familie. Alle waren erst eine Woche zuvor festgenommen worden, berichtete er weinend der BBC. Die Schergen hätten ihre Opfer in die Baracke gepfercht - einem Verhörzentrum in der Gaddafi-Zeit. „Sie stellten uns nicht einmal Fragen“, sagte der alte Mann. „Sie verprügelten uns und beschimpften uns als Ratten.“ Am Mordabend holten sie zuerst die Soldaten aus dem Raum, die den Schießbefehl verweigert hatten, und richteten sie auf dem sandigen Hofgelände hin. Dann feuerten sie von oben durch das Blechdach auf die übrigen Unglücklichen. Einer schleuderte durch die aufgerissene Tür drei Handgranaten nach drinnen und zündete anschließend alles mit einem Autoreifen an. Die ausgeglühte Felge liegt immer noch vor der Tür.

Die Rebellen vermuten weitere solcher Hinrichtungsstätten und Massengräber um den weitläufigen Kasernenkomplex herum, der im Stadtteil Salahaddin im Süden der Hauptstadt liegt, einer Hochburg Gaddafis. Auch in Bab al-Aziziya, der paranoiden Betonfestung um das Beduinenzelt des Despoten herum, entdeckten die Aufständischen die Leichen von 150 Gefangenen, die von Wachsoldaten mit Handgranaten ermordet worden waren. Ein überlebender Augenzeuge berichtete Amnesty International, Wächter im Gharour-Gefängnis hätten alle Insassen seiner Zelle gezwungen, sich auf den Boden zu legen und dann das Feuer eröffnet. 23 Menschen starben. Und im Mitiga-Krankenhaus wurden kurz vor dem Zusammenbruch des Regimes noch 17 Leichen abgeliefert, die offenbar durch Schüsse in den Hinterkopf hingerichtet worden waren.

Zehntausende Menschen werden vermisst. Lesen Sie weiter auf Seite 2.

Der Nationale Übergangsrat (NTC) schätzt, dass allein in den letzten sechs Monaten zwischen 57.000 und 60.000 Menschen durch Gaddafi-Greifkommandos verhaftet worden sind. Nur rund 11.000 konnten bisher gefunden und befreit werden. Von den übrigen Zehntausenden dagegen fehlt jede Spur. In einem eindringlichen Appell forderte der NTC die Verantwortlichen des Regimes auf, sich zu stellen und ihr Wissen preiszugeben, wo diese vielen Menschen geblieben sind.

Allein auf dem Todesgelände in Salahaddin parken drei gelbe Schaufelbagger, mit denen möglicherweise weitere Massengräber in der Umgebung ausgehoben worden sind. Zurückgelassen wurde auch ein blauer Kastenwagen. „Das Auto der blauen Flecke“ nannten die Schergen ihr teuflisches Fahrzeug, was sie sich aus Brasilien besorgt hatten. Abubakr Tabib war vier Tage lang in einer der acht klaustrophobischen Minizellen im Inneren eingesperrt zusammen mit seinem jüngeren Bruder Feisal. In dem Bericht der BBC erkannt der 31-jährige Cafebesitzer jetzt den Wagen wieder. Die beiden waren am 10. Juli verhaftet worden, weil sie in Tripolis die Rebellenflagge an Hauswände gesprayt hatten. „Innen war es sechzig Grad heiß, wir hatten die Augen verbunden und bekamen kaum Luft“, berichtete er von der Tortur. „Du bist sicher, jetzt wirst du langsam sterben.“ Mehrmals wurde er aus dem Metallkasten herausgeholt und so schwer zusammengeschlagen, dass er zeitweise das Bewusstsein verlor. „Es gab kein Wasser und kein Essen, wir wussten nicht, wo wir waren.“ Danach verschleppten ihn Gaddafis Folterer in das Abu Salim Gefängnis, wo ihn die Rebellen zusammen mit 5000 weiteren Gefangenen vor drei Tagen befreiten. Einen seiner Quäler in dem Verhörzentrum jedoch hat er erkannt. In den nächsten Tagen will er ihn im Büro des Nationalen Übergangsrates zur Fahndung ausschreiben lassen.

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