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In die Steinzeit zurückgebombt: Aleppo war mal wirtschaftliches Zentrum Syriens. Nun liegt weiter Teil der Stadt in Schutt und Asche.

© AFP

Bürgerkrieg in Syrien: Entscheidung in Aleppo?

Die einstige syrische Metropole gilt als Symbol des Widerstands gegen Assad. Nun könnte sie vollständig in die Hand des Regimes fallen. Momentaufnahme in einer zerrütteten Stadt.

Die internationalen Hilfsorganisationen sind einsatzbereit. Die Vereinten Nationen bereiten Lkw- Konvois vor, um möglichst schnell Nahrungsmittel, Medikamente und andere lebenswichtige Dinge zu den Menschen in den eingekesselten Städten in Syrien zu bringen. Vor allem in Aleppo warten Tausende dringend auf Hilfe. Der deutsche Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) forderte nach der Einigung auf eine baldige Waffenruhe Korridore zur Versorgung der Zivilbevölkerung in der Stadt. Doch noch geht das Bomben weiter. Noch sterben in Aleppo Tag für Tag Menschen durch die Luftangriffe des Regimes von Baschar al Assad und der mit ihm verbündeten Armee von Russlands Präsident Wladimir Putin. Bilder aus der zerstörten Stadt erinnern an die Belagerung Grosnys durch russische Truppen Mitte der 1990er Jahre.

In Aleppo harren auch Familien mit kleinen Kindern, Schwangere und Alte im Schutz der Trümmer aus. Insgesamt halten sich in den von der Opposition gehaltenen Vierteln der Stadt Schätzungen zufolge noch etwa 250.000 bis 300.000 Menschen auf. Es sind vor allem arme Syrer, die sich eine Flucht nicht leisten können. In den Feuerpausen versuchen sie, sich mit dem Nötigsten zu versorgen. Vorräte haben sie schon lange nicht mehr, Geschäfte und Märkte sind oft geschlossen.

Immerhin kommen manchmal Hilfslieferungen des Welternährungsprogramms oder anderer Organisationen durch. Die Überbringer, meist Mitarbeiter lokaler Initiativen, die von ausländischen Hilfswerken unterstützt werden, riskieren dafür ihr Leben. Ärzte ohne Grenzen berichtet von Angriffen auch auf Kliniken. Eines der Krankenhäuser in Aleppo wird von der Organisation so oft wie möglich mit Medikamenten und Ausrüstung beliefert. Syrische Ärzte, Schwestern und Pfleger behandeln dort nicht nur Patienten mit Kriegsverletzungen, auch Blinddarmoperationen oder andere Noteingriffe finden statt und sogar Babys kommen hier zur Welt. Doch es gibt immer weniger Anlaufstellen für Kranke. Einige Kliniken wurden zerstört, anderen fehlt das Personal. Denn auch Ärzte und Pfleger fliehen vor dem Bombenterror.

In regierungstreuen Stadtteilen ist die Lage besser

In den von den Regierungstruppen beherrschten Stadtteilen ist die Lage deutlich besser. Auf einzelnen lokalen Märkten sind Brot, Gemüse und sogar Orangen zu haben. Das Regime ist offenbar bemüht, die Menschen gut zu versorgen. Dank Generatoren verfügen viele auch noch über Strom. Der amerikanische Sender CNN zeigte Bilder von Marktbesuchern, die sich ohne Angst auf den Straßen bewegen und mit vollen Einkaufstüten wieder nach Hause gehen. Ein krasser Kontrast zum Leben in jenen Stadtvierteln, die noch von der Opposition gehalten werden. Sie sind inzwischen so zerstört, dass an ein normales Leben auch nach einem möglichen Friedensschluss nicht zu denken ist. Der Wiederaufbau Aleppos wird Jahre dauern.

Mehr als 50.000 Menschen haben die Stadt allein seit der Offensive der Regierungstruppen verlassen, wie das Internationale Komitee vom Roten Kreuz und die UN schätzen. Täglich kommen Tausende hinzu. An einen baldigen Waffenstillstand glauben in Aleppo ohnehin nur wenige. Im Gegenteil: Viel spricht dafür, dass Assad und Putin die Stadt noch vor weiteren Friedensverhandlungen unter ihre Kontrolle bringen wollen.

Das wissen auch die Aufständischen. Und dass sie Moskaus Militärmaschinerie im Grunde nichts entgegenzusetzen haben. Dementsprechend gedrückt ist die Stimmung. „Die russischen Flugzeuge lassen alles in Flammen aufgehen“, berichtete vor einigen Tagen ein Rebellenkommandeur. Und: Die Intensität der Attacken sei unbeschreiblich: „Sie nehmen jede Minute zu.“ Die Niederlage vor Augen gibt der Kämpfer aus der Führungsebene unumwunden zu, dass die Moral am Boden sei.

Im März 2006 sah Aleppo in Syrien noch so aus. Inzwischen ist die Stadt zu großen Teilen zerstört.
Im März 2006 sah Aleppo in Syrien noch so aus. Inzwischen ist die Stadt zu großen Teilen zerstört.

© Reuters/Khaled al-Hariri

Kein Wunder. Aleppo war bisher die Hochburg und damit ein Symbol des Widerstands gegen Assad. Keine Stadt ist so umkämpft wie die einstige Wirtschaftsmetropole. Fällt sie wieder in die Hand des Regimes, könnte das Signalwirkung für den Krieg im ganzen Land haben. Assad jedenfalls würde unter Beweis stellen, dass er auf die Siegerstraße zurückgekehrt ist. Wenn auch durch tatkräftige Unterstützung russischer Kampfjets und schiitischer Milizen. Doch Fakt ist eben, dass sich Assad und Russlands Staatschef Putin weitgehend unbehelligt ihr Syrien zurechtbomben. Sie bestimmen die Koordinaten des Konflikts. Vor einem möglichen, allerdings derzeit kaum vorstellbaren Ende des Krieges werden auf dem Schlachtfeld Zeichen gesetzt, die bei politischen Verhandlungen kaum ignoriert werden können. Gewalt, so die zynische Botschaft, lohnt sich. Eine bösartige Unterstellung? Alles westliche Propaganda? Die heftigen Angriffe auf das Gebiet um Aleppo begannen ausgerechnet, als Vertreter der Opposition und des Regimes in Genf über einen möglichen Frieden verhandeln sollten.

Die Schlacht tobt schon viel zu lange

Die Schlacht um Aleppo hat allerdings nach Einschätzung von Experten schon vor einigen Monaten begonnen. Seit Oktober 2015 hätten Assads Truppen – vor allem Ausländer wie Libanesen, Iraner und Afghanen – die Verbände der Aufständischen aus der Stadt gelockt und dort bekämpft, heißt es. Russlands Luftwaffe habe sich dabei auf die Bombardierung von Versorgungswegen konzentriert. Überhaupt scheut Moskau in diesem Krieg weder Kosten noch Mühen. In Rekordgeschwindigkeit wurde der Marinestützpunkt Tartus umfassend ausgebaut. Bis zu 1700 russische Soldaten sollen dort stationiert sein. Neben modernen Kampfflugzeugen und -hubschraubern hat der Kreml die syrische Armee inzwischen auch mit Panzern vom Typ T-90 ausgestattet. Die sind gerade im flachen Gelände um Aleppo herum besonders effektiv.

Und: Nichts wird kaschiert oder verschleiert. Anders als im Ukraine-Konflikt demonstriert Moskau vor aller Augen seine militärische Macht, setzt ganz auf klassische Kriegsführung. Der Gegner soll eingeschüchtert und letztendlich überwältigt werden, in jeder Beziehung. Dorf für Dorf wird so eingenommen und die frühere Millionen- Metropole vom Nachschub abgeschnitten. Nun droht Aleppo die Belagerung. Denn auf einen verlustreichen Häuserkampf wird sich Assad kaum einlassen. Das braucht er auch nicht. Einkesseln, aushungern und Bombenangriffe – bis die Rebellen aufgeben und abziehen.

Wenn es so weit kommen sollte, werden wohl die Zivilisten ebenfalls versuchen, aus Aleppo zu entkommen. Man müsse damit rechnen, dass die noch verbliebenen Einwohner alles daran setzen werden, die Stadt zu verlassen, sagt Peter Neumann, Terrorismus- und Sicherheitsexperte am Londoner King’s College. Das gelte vor allem für die noch von den Aufständischen gehaltenen Viertel. Damit setze sich ein Muster des Syrien-Krieges fort: „Die Bevölkerung sortiert sich im Land nach Loyalitäten.“ Und die russischen Angriffe forcieren diese Entwicklung. Dass niemand dem etwas entgegensetzt, ist für Oppositionskräfte wie jene in Aleppo eine bittere Erfahrung. Vor allem von den USA sind viele Syrer enttäuscht. Sie fühlen sich von der Supermacht im Stich gelassen, die Moskau einfach gewähren lässt. Keiner glaubt daran, dass Barack Obama ihnen noch zu Hilfe eilt. Aleppo und seine Einwohner sind auf sich gestellt. Das heißt: Sie kämpfen ums Überleben.

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