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Bürgerrechtlerin: Tod im Straßengraben

Es war wie so oft in den letzten Jahren: Deutsche und Russen wollten über schöne Dinge reden, über Zukunftsprojekte, über Signale gegen die belastete Vergangenheit. Der Mord an der Bürgerrechtlerin Natalja Estemirowa überschattete aber den deutsch-russischen Gipfel.

Berlin - Es war wie so oft in den letzten Jahren: Deutsche und Russen wollten über schöne Dinge reden, über Zukunftsprojekte, über Signale gegen die belastete Vergangenheit. Das Barockschloss Schleißheim in Bayern sollte dafür den prächtigen Rahmen abgeben; Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) gab sechs Schmuckelemente von Balkongittern, Geländern und Spiegelbekrönungen aus dem 18. Jahrhundert an Russland zurück. Die waren im Zweiten Weltkrieg von einem deutschen Soldaten illegal nach Deutschland gebracht worden.

Und doch schwebte über all den deutsch-russischen Gesprächen dieser eine Name: Natalja Estemirowa. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nannte den Mord an der Menschenrechtsaktivistin nach ihrem Gespräch mit Präsident Dmitri Medwedew ein „nicht hinnehmbares Ereignis“, lenkte die Bluttat an der 50-Jährigen in Grosny doch den Blick auf die katastrophale Menschenrechtslage in Russland und den Zustand der Zivilgesellschaft in Tschetschenien. Dort war Estemirowa am Mittwoch von vier Männern in ein Auto gezerrt und entführt worden; neun Stunden später wurde ihre Leiche in der Nachbarrepublik Inguschetien in einem Straßengraben aufgefunden. Sie wies Schusswunden am Kopf auf.

Erst am Montag dieser Woche hatte Estemirowa in einem Artikel auf der Internetseite der Menschenrechtsorganisation Memorial kritisiert, dass die Zahl der Entführten in Tschetschenien seit der Aufhebung des sogenannten antiterroristischen Regimes durch Präsident Medwedew wieder gestiegen sei. Die Journalistin, eine Freundin der vor knapp drei Jahren ermordeten Kollegin Anna Politkowskaja, hatte sich seit langem mit Recherchen in den mafiotischen Strukturen aus moskautreuen Vasallen, Militär und Geschäftsleuten in dem Milieu unbeliebt gemacht. Sie recherchierte über Entführungen, Verschwindenlassen und Einschüchterungen von Gegnern des moskautreuen tschetschenischen Präsidenten Kadyrow. Auch die Islamisierung der Provinz und die Gängelung von Frauen machte Estemirowa zum Thema. Nach Angaben der Heinrich-Böll-Stiftung arbeitete sie zuletzt an neuen Fällen außergesetzlicher Hinrichtungen – damit „löste sie Unmut in der tschetschenischen Führung aus“, erklärte Jens Siegert, der Büroleiter der Stiftung in Moskau. Memorial arbeitet seit 1990 eng mit der Grünen-nahen Stiftung zusammen. Präsident Dmitri Medwedew kündigte am Rande seines Deutschlandbesuches zwar Aufklärung an. Deutschen Politikern geht das aber nicht weit genug. Medwedew habe versichert, er wolle in Russland für mehr Rechtsstaatlichkeit sorgen, sagte etwa der CDU-Außenpolitiker Eckart von Klaeden. „Dieser Ankündigung muss er jetzt Taten folgen lassen“, forderte Klaeden. Eine Sprecherin von Amnesty International nannte den Mord eine „schreckliche Tragödie“; er stehe im Zusammenhang mit dem „Versuch, die Zivilgesellschaft in Russland mundtot zu machen“.

Auch die schwedische EU-Ratspräsidentschaft verurteilte in Straßburg die „brutale Tat“. Der neue Präsident des EU-Parlaments, Jerzy Buzek, reagierte mit „großer Trauer“ auf den „tragischen Tod“ der 50-Jährigen. Er forderte die Behörden in Moskau auf, alles zu tun, um die Täter vor Gericht zu bringen. Das EU-Parlament gedachte mit einer Schweigeminute der getöteten Aktivistin. Auch UN- Generalsekretär Ban Ki Moon forderte von Russland eine gründliche und unabhängige Untersuchung des Falls. mit HB

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