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Politik: Bürgerversicherung? Lieber nicht

In der SPD und den Gewerkschaften gibt es plötzlich Zweifel am Konzept für die Gesundheitsreform

Berlin - Er könne sich nur wundern über die Gewerkschaften, sagt Klaus Kirschner. Der Vorsitzende des Bundestags-Gesundheitsausschusses, der einst über die IG Metall in die Politik und zur SPD gefunden hat, versteht nicht, was den Stimmungsumschwung der Arbeitnehmerlobby beim Thema Bürgerversicherung bewirkt hat. „Es ist doch unbestritten, dass Kapitaleinkünfte eine immer größere Rolle spielen“, sagt er. Und dass die gesetzliche Krankenversicherung unter Einnahmeproblemen leide. „Wo soll denn das Geld herkommen, wenn nicht durch die Beitragspflicht auf Miet- und Zinseinnahmen?“

Die Gewerkschaftsspitze jedoch sperrt sich mit einem Mal. Alle Berechnungen zeigten, dass „der administrative Aufwand in keinem Verhältnis zu den Mehreinnahmen der Krankenkassen steht“, behauptet DGB- Vize Ursula Engelen-Kefer überraschend im „Handelsblatt“. Hubertus Schmoldt, Chef der IG Bergbau, Chemie, Energie argumentiert ähnlich. Und der DGB-Vorsitzende Michael Sommer bittet SPD-Chef Franz Müntefering, lieber eine Steuerfinanzierung zu prüfen – was vom Kopfpauschalenmodell der CDU nicht mehr so weit entfernt wäre.

Welche Steuern der DGB-Chef denn bitte schön erhöhen wolle, fragt Kirschner gereizt. Der Disput ist brisant, weil die Bürgerversicherung nach all dem Streit um Sozialabbau und Arbeitsmarktreform eines der wenigen Vorhaben war, bei denen SPD und Gewerkschaften noch an einem Strang zu ziehen schienen. „Kopfprämie gegen Bürgerversicherung – das muss die Alternative sein“, fordert Kirschner. Damit könne die SPD „soziale Kompetenz beweisen“. Es klingt, als würde er sich das „endlich wieder“ verbeißen. „Wir sollten offensiv damit werben“, meint auch seine Parteifreundin Marlies Volkmer.

Andere in der SPD machen hinter vorgehaltener Hand jedoch die Gegenrechnung auf. Ist dem durch Hartz IV bereits gehörig verschreckten Mittelstand ein Konzept vermittelbar, das ihm nun auch noch für die Krankenversicherung an die Sparbuchzinsen und die Mieteinnahmen für die Einliegerwohnung geht? Reicht da das Versprechen irgendwelcher Freibeträge? Und was sagen die jetzt schon erbosten Ruheständler, die häufiger als die Jüngeren ein Zubrot aus Vermögenseinkünften haben?

Irrational sei auch die Angst vor Hartz IV, hat die Regierung argumentiert – und dann doch eingelenkt. Auch die bisher gehandelten Zahlen zur Bürgerversicherung tragen nicht zur Beruhigung bei. 20 Milliarden Euro müsste die Einbeziehung der Kapitaleinkünfte zusätzlich bringen, um die erhoffte Beitragssenkung um zwei Prozentpunkte zu schaffen, heißt es. Doch die Beiträge gut verdienender Privatversicherter würden zunächst wohl fehlen. Eine Zwangsrekrutierung ohne Bestandsschutz ist selbst nach Ansicht des heftigen Konzeptverfechters und Regierungsberaters Karl Lauterbach nur für Berufsanfänger zu machen.

Gewerkschaften und SPD-Skeptiker wenden ein, dass auch der Aufwand für die Zusatzbeiträge zu groß sei, dass bei Mieteinnahmen etwa Verluste gegengerechnet werden müssten, und dass sich das Ganze dann nicht mehr lohne. Doch natürlich sorgen sie sich auch um die besser Verdienenden in ihren Reihen. Hubertus Schmoldt warnte schon Anfang Juli davor, mit der Bürgerversicherung Umverteilungspolitik zu machen: „Wer Leistungsträger mit Belastungen überfordert, provoziert eine Akzeptanzkrise der Sozialversicherung insgesamt“, argumentierte er. Und auch SPD-Wirtschaftsexperte Rainer Wend mahnt zu „klugen Regelungen“ bei Einkommensgrenzen und Freibeträgen. „Wir müssen aufpassen, dass die Bürgerversicherung nicht im Wesentlichen aus der Mitte der Gesellschaft bezahlt wird“, sagte er dem Tagesspiegel.

Alles das ist Zündstoff – deshalb haben sich die Mitglieder der SPD-internen Arbeitsgruppe um die Parteilinke Andrea Nahles striktes Stillschweigen verordnet. Doch es hilft der Partei nicht, dass die Bürgerversicherung erst in der nächsten Legislatur konkret werden soll, wie die Grünen-Fraktionschefinnen vor kurzem versichert haben. Was SPD und Grüne wollen, wird spätestens vor der nächsten Bundestagswahl klar sein – und die Stimmabgabe der Bürger gehörig beeinflussen.

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