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Bulgariens Ministerpräsident Boiko Borissov.

© picture alliance / dpa

Bulgarien: Forsche Töne aus Sofia

Bulgarien ist das Armenhaus Europas, doch Ministerpräsident Boiko Borissov hat für die EU Ratschläge. Am Mittwoch trifft er Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin.

Der Winter ist in Bulgarien nicht nur eine Jahreszeit, sondern gilt auch als Bewährungstest für jede Regierung. Verkehrschaos auf verschneiten Straßen gilt Opposition wie Teilen der Öffentlichkeit als Nachweis der Unfähigkeit der Herrschenden. Ministerpräsident Boiko Borissov hat deshalb seinem Volk empfohlen, „Schneeflocken noch in der Luft aufzufangen, bevor sie bulgarischen Boden berühren“. Der heftige Wintereinbruch Anfang Januar hat aber nicht nur vielerorts den Autoverkehr zum Erliegen gebracht, sondern ganze Regionen tagelang von der Stromversorgung abgeschnitten. Ungewohnt schmallippig verwies der sonst so schlagfertige Regierungschef auf ähnliche Probleme in den österreichischen Alpen.

Wenn Regierungschef Borissov am Mittwoch in Berlin Kanzlerin Angela Merkel zum Arbeitsessen trifft, dürften andere heikle Gesprächsthemen auf der Agenda stehen.

Im Januar 2007 wurde das südosteuropäische Land Mitglied der EU, seit Sommer 2009 wird es von Borissovs rechtsgerichteter Partei „Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens“ regiert. Diejenigen Bulgaren, die sich vom EU-Beitritt schnellen Wohlstand erhofften, sehen sich enttäuscht. Im ärmsten Land der EU mit seinen 7,4 Millionen Einwohnern leben viele Rentner mit 100 Euro im Monat, der Durchschnittslohn beträgt 350 Euro. Importierte Waren haben aber westeuropäisches Preisniveau erreicht. Beim Besuch eines Provinz- Krankenhauses oder dem Gang durch eines der Roma-Viertel wird die soziale Misere allzu offensichtlich.

"Die verschuldeten Euro-Länder brauchen nur ihre Löhne auf bulgarisches Niveau senken"

Borissovs oft kokett zur Schau gestelltes Selbstbewusstsein muss daher verwundern. Unter Hinweis auf Bulgariens finanzpolitische Stabilität mit einem im europäischen Vergleich geringen Haushaltsdefizit und niedriger Auslandsverschuldung geizt er nicht mit guten Ratschlägen zur Lösung der Euro-Krise: „Um ihre Probleme zu lösen, brauchen die verschuldeten Euro-Länder nur ihre Löhne und Pensionen auf bulgarisches Niveau senken“, sagte er jüngst – ohne jede Ironie.

Sergej Stanischev, Ex-Ministerpräsident und Oppositionsführer von der Bulgarischen Sozialistischen Partei, wirft der Regierung vor, sie würge mit ihrem rigiden Sparkurs das nötige Wirtschaftswachstum ab. Doch die internationalen Ratingagenturen honorieren die solide Haushaltspolitik von Finanzminister Simeon Djankov: Entgegen dem europäischen Trend hat Standard & Poor’s vor Weihnachten das Kreditrating des Balkanlandes bestätigt. Das Kabinett Borissov hat sein Amt mit großen Versprechungen zur Privatisierung von Staatsvermögen und Durchführung überfälliger Reformen in der Staatsverwaltung, im Gesundheitswesen, bei der Bildung und dem Rentensystem angetreten. Seine praktizierte Politik stützt sich aber fast ausschließlich auf die zwei Grundpfeiler Autobahnbau und Bekämpfung von Korruption und Organisiertem Verbrechen. Der Erfolg bei der Kriminalitätsbekämpfung ist aber zweifelhaft; zahlreiche spektakuläre Polizeioperationen haben kaum vor Gericht belastbare Resultate erbracht. Immerhin: Gegen massiven Widerstand der Gewerkschaften hat Borissovs Minderheitsregierung eine stufenweise Heraufsetzung des Renteneintrittsalters durchgesetzt. Weitere Reformen gelten aber in den verbleibenden eineinhalb Jahren seiner Amtszeit als wenig wahrscheinlich. „In Zeiten der Krise macht man keine Reformen“, rechtfertigt Borissov sich.

Die bulgarische EU-Kommissarin für Katastrophenhilfe, Kristallina Georgieva, fasste dagegen Bulgariens Grundproblem folgendermaßen zusammen: „Viele Bulgaren sind bestürzt, dass wir nur 44 Prozent des durchschnittlichen Einkommens in der EU haben. Viel besorgniserregender erscheint mir aber, dass wir nur bei 20 Prozent der Arbeitsproduktivität in Europa liegen.“

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