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Tollkühner General. Die Unterstützer der Regierung von Borissov (Foto) wurden zur Frontalopposition. Foto: Jean-Christophe Verhaegen / AFP

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Bulgarien: Hauen und Stechen

Bulgariens Regierung kämpft gegen Korruption, Verbrechen und mit sich selbst.

Vor knapp einem Jahr scheiterte die bulgarische Kandidatin für das Amt des EU-Kommissars für Krisenreaktion, Rumiana Scheleva, bei ihrer Anhörung im EU-Parlament. Nun ist ihre Nachfolgerin, Kristalina Georgieva, von der Zeitschrift „European Voice“ als EU-Kommissarin des Jahres ausgezeichnet worden. Sie ist die zweite Bulgarin, der diese Ehre zuteil wurde. Die Anerkennung der großen weiten Welt bedeutet dem kleinen, mit massiven Imageproblemen behafteten Bulgarien viel. Gerade Bulgariens Ministerpräsident Boiko Borissov dürstet nach Lob. Kritik begegnet er gerne mit Hinweisen auf die Hochschätzung, die seine Politik „bei den Freunden in Brüssel und Washington“ erfahre.

Welche Kluft sich zuweilen aber zwischen den Verlautbarungen von Politikern und ihren tatsächlichen Überzeugungen auftut, hat Wikileaks der Weltöffentlichkeit durch die veröffentlichten Geheimdokumente vor Augen geführt. So stellt auch eine nun publik gewordene vertrauliche Depesche des US-Botschafters in Bulgarien, James Pardew, vom 7. Juli 2005 Boiko Borissovs Wirken als für Verbrechensbekämpfung verantwortlichem Hauptsekretär im Innenministerium kein gutes Zeugnis aus. Zum Ende von Borissovs vierjähriger Amtszeit resümierte Pardew, trotz des kontinuierlichen Drucks der USA und der EU hätten „die letzten bulgarischen Regierungen wenig getan, um die Präsenz des organisierten Verbrechens (OK) zu reduzieren. Im Ergebnis hat die OK ihren Einfluss ausgeweitet und ist in der Lage, so gut wie unbehelligt zu operieren“, schrieb Pardew.

Untätigkeit im Kampf gegen Korruption und Verbrechen kann man dem Kabinett Borissov und seinem Innenminister Tsvetan Tsvetanov in den eineinhalb Jahren ihrer Amtszeit nicht vorhalten. Seit Dezember 2009 haben Beamte des Innenministeriums mehrere Dutzend große Polizeiaktionen durchgeführt und dabei einige hundert Verdächtige festgenommen. Die Effizienz dieser Operationen kann indes bezweifelt werden; die weitaus meisten der Verhafteten ließen die Richter aus Mangel an Beweisen wieder frei.

Auch aufgrund gescheiterter Reformversuche im Gesundheitswesen, im Rentensystem und bei der Bildung hat die Popularität von Borissovs „Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens“ (GERB) stark gelitten. Bei den für Herbst 2011 anstehenden Präsidentschafts- und Kommunalwahlen könnte es für die Regierungspartei die Quittung geben. Aufgrund der Schwäche der anderen Parteien lautet momentan aber noch die dominierende Einschätzung der politischen Situation im Land, es gebe keine Alternative zu Borissov. Tatsächlich würde GERB Meinungsumfragen zufolge bei kurzfristig vorgezogenen Neuwahlen erneut stärkste Partei werden und könnte vielleicht sogar die absolute Mehrheit erringen. Die im Juli 2009 demonstrativ abgewählte Bulgarische Sozialistische Partei (BSP) hat sich kaum regenerieren können, und drei der vier übrigen in der Bulgarischen Nationalversammlung vertretenen Parteien müssen gar um den Sprung über die Vier-Prozent-Hürde bangen.

Es galt als Tollkühnheit von General Borissov, dass er sich im Sommer 2009 zur Bildung einer Minderheitenregierung entschloss, um – wie er damals sagte – ohne Kompromisse regieren zu können. Immerhin drei Parteien erklärten sich zunächst zu seiner Unterstützung bereit, die „Blaue Koalition“ der traditionellen Konservativen um Ex-Ministerpräsident Ivan Kostov, die nationalistische Partei Ataka und die Partei „Recht, Gesetzlichkeit und Gerechtigkeit“ (RSS). Doch schon im Januar kündigte der als Populist geltende RSS-Führer Jane Janev Borissov die Freundschaft. RSS geriert sich seitdem als Speerspitze der Frontalopposition. Seit Wochen bombardiert Janev Innenminister Tsvetanov mit immer neuen Vorwürfen unrechtmäßiger Bereicherung und kratzt damit erfolgreich an dessen Saubermann-Image. Zuletzt versagte Kostovs „Blaue Koalition“ GERB immer öfter ihre Zustimmung bei Gesetzesvorlagen im Parlament, immer häufiger bleibt GERB auf die Stimmen von Ataka angewiesen, zuletzt bei der Verabschiedung des Staatshaushaltes 2011 am Donnerstag.

Als deutlich vernehmbare Stimme der Kritik gegen das Regierungshandeln profiliert sich unterdessen Staatspräsident Georgi Parvanov, der dem Kabinett Borissov ein „Defizit an Kompetenz und Können“ attestiert. Der Sozialist verletzt damit nach Ansicht Borissovs die dem Staatsoberhaupt durch die Verfassung auferlegte politische Neutralität.

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