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Bund der Vertriebenen: Es gibt kein Zurück

Unbestreitbar hat sich der BdV, das ist seine große Leistung, selbst überflüssig gemacht, indem er die Integration der 15 Millionen Vertriebenen beförderte. Gerd Appenzeller über den Bund der Vertriebenen und seine Wirkung.

Warum erfreut sich die Vertriebenenpräsidentin Erika Steinbach des meist schweigenden, aber dennoch unverkennbaren Wohlwollens der Bundeskanzlerin? Weil Angela Merkel vor fast 20 Jahren am liebsten ebenfalls gegen die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze als deutsche Ostgrenze gestimmt hätte? Weil sie eigentlich auch der Meinung ist, dass Tschechien und Polen nichts in der Europäischen Union zu suchen haben? Kurz: Weil die CDU-Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach sich zu sagen traut, was die Kanzlerin nur zu denken wagt?

Keine Spur von alledem. Erika Steinbach führt einen Verband, dessen Mitglieder in ihrer großen Mehrheit mit CDU und CSU sympathisieren. Zwar gab es – der verstorbene Peter Glotz gehörte dazu – auch prominente Sozialdemokraten, die, weil selbst Heimatvertriebene, dem BdV nahestanden. Aber sie waren eine Minderheit. Erika Steinbach ist also ein Symbol für ein Wählerpotenzial. Zwei Prozent könnten die Vertriebenen bei einer Bundestagswahl für die Union mobilisieren, heißt es. Da muss man als CDU-Vorsitzende schon mal Kreide essen, auch wenn daraus außenpolitischer Schaden zu entstehen droht.

Weil Erika Steinbach die Magie der großen Zahl kennt, bestreitet der BdV nun Berichte, wonach er nicht mehr zwei Millionen, sondern nur noch 550 000 Mitglieder habe. Die Umfrage einer Nachrichtenagentur bei Landesverbänden des Bundes der Vertriebenen hatte zu dieser Zahl geführt, die Matthias Stickler, Zeithistoriker an der Universität Würzburg, auch nicht bezweifelt: „Die Daten spiegeln das Aussterben der sogenannten Erlebnisgeneration wider.“ Rein rechnerisch kann man das einfach nachvollziehen. Selbst vertrieben kann nur jemand sein, der spätestens in den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts geboren wurde. Natürlich könnten sich auch die eigenen Kinder für die Wurzeln der Familie interessieren. Aber mit zunehmender Verankerung in der Bundesrepublik verschwand sicher die Begeisterung für Heimatabende, Volksliedsingen und andere nostalgische Treffen. Der BdV sagt jetzt zu der Zahlendiskrepanz, sie erkläre sich aus der komplizierten Organisationsstruktur und beharrt auf den zwei Millionen.

Unbestreitbar hat sich der BdV, das ist seine große Leistung, selbst überflüssig gemacht, indem er die Integration der 15 Millionen Vertriebenen beförderte. Für ihre Eingliederung erkämpfte er finanzielle Leistungen des Staates, die Verzicht und Vergessen erleichterten. Hat der BdV denn inzwischen akzeptiert, dass es ein Zurück in die alte Heimat im Rahmen des vereinten Europa nur friedlich und nur individuell geben kann? Offiziell ja. Aber wenn man auf der Homepage des Landesverbandes Berlin die Fotos von Breslau, Stettin und von der Marienburg sieht, also alles jederzeit erreichbare Ziele, fragt man sich doch, was das soll. Kann man sich eine Homepage von Elsaßdeutschen mit Fotos von Straßburg und Sélestat vorstellen, eine solche von Saarfranzosen mit Bildern von Saarbrücken und St. Ingbert? Die Beispiele zeigen, dass da mancher Denkprozess, so er denn überhaupt begonnen hat, noch lange nicht abgeschlossen ist.

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