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Bundeskanzlerin Angela Merkel.

© REUTERS

Bundeskanzlerin muss liefern: Merkels Flüchtlingspolitik zwischen Willkommens- und Abschiedskultur

„Wir schaffen das“, hat die Kanzlerin 2015 zur Flüchtlingskrise gesagt. Die Anschläge in Bayern sind da ein Alptraum. Nun muss Merkel Bilanz und Ausblick liefern - eine schwere Prüfung.

Eigentlich wollte Angela Merkel diesen Schritt erst nach der Sommerpause gehen. Erst einmal ausschlafen, lesen, Musik hören und wandern, bevor sie ihre traditionelle politische Bilanz zieht und den Hauptstadtjournalisten 90 Minuten lang Fragen beantwortet. Erst einmal nachdenken, Revue passieren lassen. Was war gut, was war schlecht, was richtig oder falsch? Aber das, was ein Urlaub werden sollte, hat nie begonnen, weil Tod und Terror über Bayern gekommen ist. Über das Bundesland, das von CSU-Chef und Ministerpräsident Horst Seehofer regiert wird.

Jenem Mann, der einer der schärfsten Kritiker der Flüchtlingspolitik der Kanzlerin ist, und der sich nun in all seinen Bedenken bitter bestätigt sieht. Es ist nicht Merkels Art, an einen Anschlagsort zu eilen, wie es Frankreichs Präsident François Hollande macht. Merkel wartet ab. Wie am vorigen Samstag, als sie erst vor die Kameras trat, nachdem es als gesichert erschien, dass die Ermordung von neun Menschen der Amoklauf eines Deutsch-Iraners war und keinen terroristischen Hintergrund hatte. Merkel hasst Spekulationen. Sie will so viel Übersicht wie möglich gewonnen haben, bevor sie sich äußert.

Und sie ist einfach nicht der Typ, schockierte Menschen an Tatorten in den Arm zu nehmen und mit ihnen zu weinen - wie es Hollande kann. Dem Vernehmen nach war sie sich mit Seehofer darin einig, dass sie zuhause in der Uckermark bleibt und nicht gleich nach Bayern kommt. Auch Seehofer halte nichts von „Katastrophen-Tourismus“, heißt es in München. Nun tritt zieht Merkel aber an diesem Donnerstag ihre sogenannte und ursprünglich für Ende August geplante „Sommer-PK“ vor und steht in Berlin Rede und Antwort.

Merkel soll als Schuldige ausgemacht werden

Tage nach den Äußerungen ihres Innenministers Thomas de Maizière (CDU), von dessen bayerischem Amtskollegen Joachim Herrmann (CSU) und eben von Seehofer. Er ließ Merkel schon einmal wissen, was nun seine Linie ist - allen Wiederannäherungsversuchen und Treue-Bekundungen von CDU und CSU zum Trotz: „Wir haben mit allen unseren Prophezeiungen recht bekommen. Mit allen, auch was den Sicherheitsbereich angeht.“ Manch einer in der CDU übersetzt das so: Merkel soll als Schuldige ausgemacht werden.

Als die Verantwortliche für eine Willkommenskultur mit hohen Flüchtlingszahlen, schwierigen Integrationsprozessen und unterschwellig irgendwie auch für die Anschläge von Würzburg und Ansbach, weil in den chaotischen Tagen des Septembers 2015 Tausende Flüchtlinge unregistriert nach Deutschland kamen. Dabei waren die beiden Täter schon vorher im Land. „Ich bin da jetzt nicht mehr bereit, nur um des Friedens willen einfach die Dinge nicht so zu behandeln, wie sie behandelt werden müssen in einem Rechtsstaat“, sagt Seehofer.

Das klingt wie eine Warnung an Merkel. Schließlich hat er ihr auch schon mit Verfassungsklage gedroht. Aus der CSU verlautet aber, er habe damit nicht Merkel gemeint. Er sei vielmehr entrüstet gewesen über Äußerungen aus der Bundesregierung wie von de Maizière oder Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU), wonach es keine garantierte Sicherheit gebe und es keinen Generalverdacht gegen Flüchtlinge geben dürfe. Solche Hinweise seien ebenso wahr wie deplatziert in einem solchen Moment. Die Menschen hätten Angst und bräuchten vor allem die Versicherung des Staates, dass er sie schützen werde. „Politik muss die Ängste der Bevölkerung aufgreifen“, sagt auch die Direktorin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Berliner Charité, Isabella Heuser (61).

Merkel ist die „Flüchtlingskanzlerin“

Merkels Satz „Wir schaffen das“ in ihrer Sommer- PK am 31. August vorigen Jahres sei keine große Hilfe für die Menschen gewesen. „Denn da fehlt das Wie. Und genau das muss genau erklärt werden. Es gibt die Angst, dass wir es mit den Flüchtlingen eben nicht so einfach schaffen.“ Merkel müsse sich nun vor die Nation stellen und sagen: „Das ist eine sehr schwierige Situation.“ Nach der hierarchische Ordnung habe sie nun mal die größte Autorität. „Das würde Angst nehmen“, glaubt Heuser. Es dürfte eine schwierigsten und wichtigsten Pressekonferenzen von Merkel werden. Sie ist die „Flüchtlingskanzlerin“ und die Flüchtlingspolitik könnte über ihre Kanzlerschaft entscheiden.

Sie muss Sorgen aufgreifen, Probleme benennen, Geschlossenheit mit Bayern und seinem Ministerpräsidenten demonstrieren, Rechtspopulisten entlarven und vor allem: Sicherheit geben. Denn auch in ihrer eigenen CDU wächst der Unmut. Der CDU-Innenexperte im Bundestag, Armin Schuster, beklagt ein Vollzugsdefizit bei Abschiebungen.

Mehr als 200 000 abgelehnte Asylbewerber könnten abgeschoben werden, seien aber immer noch im Land. Wie schwierig die Einzelfälle sind, sagt er nicht. Viele Flüchtlinge setzen ihre ganze Hoffnung auf Merkel, weil sie eine der wenigen europäischen Regierungschefs war - und ist -, die immer wieder auf ihr Leid hinweisen. Da hört es sich für Flüchtlinge und Helfer zynisch an, wenn Schuster sagt: „Wir brauchen eine Abschiedskultur.“ (dpa)

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