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Im Berliner Velodrom ging es bei diesem Parteitag nicht wirklich rund – auch weil ein Teil der Konflikte unter der Oberfläche blieb.

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Bundesparteitag der Grünen: „Es war gut, sich im Vorfeld zu kloppen“

Selbst der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann gab am Ende seinen Widerstand gegen die Steuerpläne auf. Die Grünen-Führung konnte ihr Wahlprogramm durchwinken. Nur einen kleinen Aufstand gab es dann doch noch.

Er hatte den Streit angezettelt, nun muss er den Grünen-Parteitag auch wieder versöhnen: „Wir haben die richtige Balance gefunden“, lobt Winfried Kretschmann das Wahlprogramm. Es ist Sonntagmittag, die rund 800 Delegierten haben etwa 23 Stunden lang darüber debattiert und abgestimmt, mit welchen Versprechen sie in den Bundestagswahlkampf ziehen wollen. Der baden-württembergische Ministerpräsident ist der letzte Redner, der im Berliner Velodrom auf der Bühne steht. Er habe jetzt von vielen gehört, dass es taktisch nicht klug gewesen sei, was er gemacht habe, sagt Kretschmann. Und tritt dann die Flucht nach vorne an: „Wir kehren unsere Widersprüche nicht unter den Teppich“, ruft Kretschmann den Delegierten zu. „Wir täuschen nicht Geschlossenheit vor, sondern streiten und stellen sie her, indem wir Kompromisse machen.“

Es ist das Bekenntnis zur Geschlossenheit, für das die Delegierten ihrem ersten und einzigen grünen Ministerpräsidenten mit stehenden Ovationen danken. Dabei hatte Kretschmann die Grünen-Führung in Berlin im Vorfeld mit seinen öffentlichen Belehrungen genervt. Dass er einen offenen Brief an die Parteizentrale schickte, in dem er vor einer Überforderung der mittelständischen Wirtschaft warnte, brachte nicht nur Spitzenkandidat Jürgen Trittin in Rage. Als Kretschmann sich dann auch noch pünktlich zu Beginn des Parteitags in einem Interview vom Grünen-Programmentwurf distanzierte und mahnte, Wahlen gewinne man „mit Maß und Mitte“, verärgerte er sogar Freunde aus dem Realolager.

Auf dem Parteitag wiederholte er seine Ermahnungen nicht. Dabei war der 64-Jährige schon am Freitagabend angereist, den Großteil der Beratungen verfolgte er von seinem Platz in der dritten Reihe direkt vor der Bühne. Die Aufregung über die kritischen Äußerungen am Wahlprogramm kann eine Spitzen-Grüne aus seinem Landesverband ohnehin nicht verstehen. „Warum war der Bundesvorstand so unsouverän?“, fragt die Grünen-Politikerin. Es sei halt ein Spiel mit verteilten Rollen, als Ministerpräsident habe Kretschmann nun mal andere Interessen im Blick. „Es war gut, sich im Vorfeld zu kloppen. Jetzt haben wir einen ruhigen Parteitag“, resümiert sie.

Denn zum Showdown über die Steuer- und Wirtschaftspolitik kommt es auf dem Parteitag nicht. Einerseits, weil die Differenzen in der Sache gar nicht so groß waren. Aber auch, weil ein Teil der Konflikte schon vor dem Parteitag durch Kompromissformulierungen abgeräumt wurde. Anders, sagt einer der Organisatoren, wären die 2600 Änderungsanträge nicht zu bewältigen gewesen.

Konflikte bleiben unter der Oberfläche

Im Berliner Velodrom ging es bei diesem Parteitag nicht wirklich rund – auch weil ein Teil der Konflikte unter der Oberfläche blieb.
Im Berliner Velodrom ging es bei diesem Parteitag nicht wirklich rund – auch weil ein Teil der Konflikte unter der Oberfläche blieb.

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So hatte etwa die Wirtschaftspolitikerin Kerstin Andreae gefordert, die von den Grünen geplanten Maßnahmen bei Steuern und Abgaben „auch in ihrer gesamten Wirkung“ zu prüfen. Eine Formulierung, die von der Antragskommission abgewandelt in die Präambel des Wahlprogramms übernommen wurde, so dass die Debatte auf dem Parteitag überflüssig wurde. Mit ihrer Botschaft sei sie auch so durchgekommen, hofft nun die Freiburger Bundestagsabgeordnete Andreae. „Die Partei ist sensibilisiert bei der Frage der Gesamtbelastung.“

Vielleicht arbeitet der Parteitag das Programm aber auch so routiniert ab, weil ein Teil der Konflikte ohnehin unter der Oberfläche bleibt. „Wir müssen gerade nicht entscheiden, ob wir bereit wären, in Syrien Drohnen über Assads Palast zu schicken“, sagt ein Grüner, der zu den Nachdenklichen in seiner Partei gehört. „Uns geht es zu gut“, ist sein Fazit. In den Umfragen liegt die Partei relativ konstant bei komfortablen 14 oder 15 Prozent. Damit ist die Partei weder in ihrer Existenz gefährdet noch in der Nähe einer Volkspartei um die 25 Prozent, wo man wiederum ganz andere Fragen beantworten müsste.

Und so sind die Reformer ebenso wie die pragmatischen Linken um Trittin vor allem erleichtert, dass auf dem Parteitag keine Beschlüsse gefasst werden, die ihnen das Regieren grundsätzlich erschweren würden. So stellen die Grünen in ihrem Programm weder das Tempo des Atomausstiegs infrage, das die Grüne Jugend zu langsam findet („Wir können doch nicht den gesetzlichen Ausstieg wieder aufschnüren, den wir mit vier Parteien beschlossen haben. Ich bin so froh, dass wir deren Unterschrift drunter haben“, sagt die Abgeordnete Sylvia Kotting-Uhl). Noch schließen sich die Delegierten der Forderung des Kreisverbands Hagen an, den Spitzensteuersatz gleich auf 53 Prozent anzuheben („Zur Klugheit gehört auch, symbolische Schwellen nicht zu überschreiten. Die Regierung in Frankreich erleidet damit gerade Schiffbruch“, argumentiert der Europa-Abgeordnete Sven Giegold).

Nur einen kleinen Aufstand leistet sich die Basis, gegen zu viel rot-grüne Harmonie, wie die Parteiführung sie inszeniert. Der 25-jährige Politikstudent Henrik Neumann erklärt den Delegierten, wie die Grünen im Frankfurter Stadtteil Ostend stolze 36 Prozent erzielen, indem sie selbstbewusst und eigenständig agieren, gegen die CDU, aber auch gegen die SPD. „Wir sollten keine falsche Rücksicht auf die SPD nehmen“, fordert er und will zumindest an einer Stelle im Wahlprogramm das Bekenntnis zu einer Koalition mit der SPD streichen. Dort stehe es ohnehin mehrmals. Immerhin rund 40 Prozent der Delegierten bringt der Hesse damit auf seine Seite.

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