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Zum 25. Jahrestag erklärt Joachim Gauck im Leipziger Gewandhaus in seiner "Rede zur Demokratie": "Hier und heute sagen wir es noch einmal ganz deutlich: kein 9. November ohne den 9. Oktober. Vor der Einheit kam die Freiheit."

© AFP

Bundespräsident Joachim Gauck: "Die Einheit gelingt"

In einer sehr persönlichen Rede erinnert Bundespräsident Gauck an den 9. Oktober 1989 in Leipzig. "Wir vollbrachten etwas, was undenkbar schien."

Von Antje Sirleschtov

Dass ein Mann mit der Geschichte des Joachim Gauck die DDR als einen "Unrechtsstaat" in Erinnerung hat, dürfte niemanden überraschen. Pfarrer Gauck hatte seine Kirche in Rostock in den 80er Jahren zum Ruheraum für Menschen erklärt, die vom DDR-System gejagt wurden. Und der Stasi-Unterlagen-Beauftragte Gauck hat später wie kein Zweiter Einblick erhalten in die Mechanik des Unterdrückungsstaates DDR.

Dass der Bundespräsident Joachim Gauck an diesem 9. Oktober im Gewandhaus zu Leipzig den Begriff des "Unrechtsstaates" DDR allerdings bewusst ausspricht, dürfte weniger aus seiner persönlichen Erinnerung als aus aktuellem politischen Anlass geschehen. Schließlich reiben sich in Thüringen gerade Sozialdemokraten, Grüne und Linkspartei an der Deutung der DDR als Unrechtsstaat und es kann sein, dass in Erfurt demnächst ein Ministerpräsident der Linkspartei regiert, in dessen eigenen Reihen die DDR keinesfalls durchgängig als Staat des Unrechts gesehen wird. Gauck wird die Aussicht auf den ersten Linken-Ministerpräsidenten ausgerechnet zum 25-jährigen Jubiläum der friedlichen Revolution nicht gefallen, wovon man ausgehen darf. Weshalb er sehr bewusst den Satz gewählt haben wird: "Die DDR war ein Unrechtsstaat."

Das Leipziger Gewandhaus war am 9. Oktober der nationale Ort des Gedenkens. Gauck hatte zum Festakt geladen. Vor 1700 Gästen hielt er eine "Rede zur Demokratie". Darin hebt er die besondere Bedeutung des 9. Oktober 1989 in Leipzig hervor: "Hier und heute sagen wir es noch einmal ganz deutlich: kein 9. November ohne den 9. Oktober. Vor der Einheit kam die Freiheit."

Am 9. Oktober 1989 waren in Leipzig mehr als 70.000 Menschen demonstrierend und mit dem Ruf "Wir sind das Volk" über den Leipziger Innenstadtring gezogen. Es war nicht die erste Montagsdemonstration, aber es war die entscheidende. "Zehntausende überwanden ihre Angst vor den Unterdrückern, weil ihre Sehnsucht nach Freiheit größer war als ihre Furcht", sagt Gauck. Dabei stand damals vor 25 Jahren zu befürchten, dass die SED-Machthaber mit Gewalt reagieren würden. Leipzig, so schildern es Zeitzeugen, war an diesem Tag voller Polizei und Armee. Die Krankenhäuser waren in Alarmbereitschaft versetzt worden. Doch am Ende blieb es friedlich. Einen Monat später, am 9. November, fiel die Berliner Mauer.

Gauck hält im Gewandhaus eine sehr persönliche Rede. Er erinnert an die vielen Menschen, die im Herbst 1989 in verschiedenen Städten der DDR Mut bewiesen. Und immer wieder schließt Gauck, der damals Pastor in Rostock war und dort das Neue Forum mitbegründete, sich selbst mit ein: "Wir vollbrachten etwas, was undenkbar schien: Wir zwangen das Regime zum Abdanken." Gauck hatte sich den ganzen Tag Zeit für das Gedenken in Leipzig genommen, zusammen mit den von ihm eingeladenen Staatspräsidenten von Ungarn, Polen, Tschechien und der Slowakei. Die Gäste stehen für den internationalen Charakter der Umwälzungen 1989: die Ausreise der DDR-Bürger aus der Prager Botschaft, die Öffnung der ungarischen Grenze und den großen Beitrag der polnischen Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc für das Ende des Kommunismus.

Die Stadt Leipzig erinnert jedes Jahr am 9. Oktober an den Herbst 1989. Am Donnerstagabend waren die Bürger eingeladen, auf dem zentralen Augustusplatz aus Kerzen eine große "89" zu legen. Dazu waren Musik und Installationen vorbereitet – in diesem Jahr verteilt über den gesamten Innenstadtring, über den vor 25 Jahren die Demonstranten zogen. Die Stadtverwaltung rechnete mit bis zu 150.000 Besuchern des Lichtfestes.

Gauck nutzt seine Rede auch zum Blick auf Gegenwart und Zukunft. Das Zusammenwachsen von Ost und West sei nicht ohne Spannungen verlaufen, sagt er. Und doch, so urteilt der Bundespräsident: "Die Einheit gelingt." Sein Blick auf Europa und die Welt fällt weniger positiv aus. "1989/90 glaubten wir, mit dem Ende des Kalten Krieges stehe Europa vor einem Jahrhundert des Friedens. Stattdessen sind wir heute konfrontiert mit gescheiterten Staaten, mit Terrorismus, Fundamentalismus, Gewalt, Anarchie und Bürgerkrieg." Und erneut mahnt Gauck an, Deutschland müsse eine aktive Rolle spielen. (mit dpa)

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