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Die Frontseite des Bundesrats in der Leipziger Straße.

© imago/Markus Heine

Update

Bundespräsident Joachim Gauck im Bundesrat: Balsam auf die Länderseelen

Als erstes Staatsoberhaupt hat Joachim Gauck eine Rede im Bundesrat gehalten. Der Anlass: Vor 25 Jahren kamen die ostdeutschen Länder hinzu.

Irgendwann ist es dazu gekommen, wahrscheinlich in Richard von Weizsäckers Amtszeit, dass der Bundespräsident nicht nur Staatsoberhaupt ist, sondern auch das führende Mitglied im Verein für mahnende Worte. Joachim Gauck hat sich da eingefügt. Am Freitag im Bundesrat aber schlug er mehr den heiteren Ton an. Es war die erste Rede eines Bundespräsidenten in der Länderkammer seit 1949 und somit ein historisches Ereignis. Der Anlass war, dass vor 25 Jahren die neuen Länder im Bundesrat hinzugekommen waren. Der Ostdeutsche an der Staatsspitze hatte damals als Abgeordneter der Volkskammer für den Beitritt gestimmt – zusammen übrigens mit dem amtierenden Bundesratspräsidenten Stanislaw Tillich.
Gaucks Rede war Balsam auf die Seelen der versammelten Landespolitiker. Denn der Bundespräsident lobte den Föderalismus, die Länder an sich und im Verein, den Bundesrat und sprach ein „großes, hoch offizielles Dankeschön“ aus. Der Föderalismus in Deutschland sei eine Erfolgsgeschichte, er sei lern- und reformfähig, dem Bundesrat als „Gemeinschaft der Sechzehn“ attestierte er eine „konstruktive Sachbezogenheit“. Ein wenig Wasser schüttete Gauck natürlich auch in den Wein. Dass der Datenaustausch zu den Flüchtlingen zwischen Bund, Ländern und Kommunen nicht so recht klappt – er habe es nicht fassen können, als er davon erfuhr, sagt Gauck. Auch in der Bildungspolitik herrscht dem Präsidenten etwas zu viel an Vielfalt. Weshalb er „Missbehagen“ in der Bevölkerung erwähnt, vor allem bei umzugswilligen Familien.
Andererseits aber hob er den Unterschied auch als Merkmal eines guten Föderalismus hervor, ja forderte ihn von den Ländern geradezu ein. Föderalismus sei ein großes Laboratorium, also eine Versuchsanstalt, in der in produktiver Konkurrenz die beste Lösung für ein Problem gesucht werden kann. Manchmal aber, ergänzte Gauck, sei „die Sehnsucht nach der bequemen Reise im Geleitzug größer“. Fast möchte man sagen: Der Bundespräsident mahnte die Länder zu mehr Vielfalt.

Historische Umwertung

Wer genauer hinhörte, der konnte Gaucks Rede auch eine historische Einordnung entnehmen, die bisher keineswegs Gemeingut ist. Die überkommene Sicht, von rechts bis links gehegt und gehätschelt, hat Erich Kästner mal in ein Gedicht mit der Überschrift "Inschrift auf einem sächsisch-preußischen Grenzstein" gefasst, das Gauck zitierte: "Wer hier vorübergeht, verweile! Hier läuft ein unsichtbarer Wall. Deutschland zerfällt in viele Teile. Das Substantivum heißt: Zerfall. Was wir hier stehngelassen haben, das ist ein Grabstein, dass ihr's wisst! Hier liegt ein Teil des Hunds begraben, auf den ein Volks gekommen ist." Gauck widersprach, trotz sonstiger Sympathie für Kästner. Und stellte fest, was langsam auch ins allgemeine Bewusstsein rückt, aber eben nur langsam: Dass nämlich der Föderalismus bei uns ziemlich alt ist, unsere Verfassungstradition - oder "Verfassungserbgut", wie Gauck sagte. Dass der Bundesstaat nicht erst 1949 von den Amerikanern eingeschleppt oder 1871 von Otto von Bismarck zwecks Reichsgründung erfunden wurde, sondern viel weiter zurückreicht. Gauck erwähnte den Immerwährenden Reichstag im Heiligen Römischen Reich als Vorläufer des Bundesrats, der einst von der einheitsnationalen Geschichtsschreibung zur Lach- und Spottnummer degradiert wurde, seit einiger Zeit jedoch bei den Historikern deutlich besser wegkommt. Diese föderale Umwertung der deutschen Geschichte - sie scheint nun ganz oben angekommen zu sein.

Im November 1990 hatten die Vertreter der fünf neuen Länder, häufig einfach nur FNL genannt, erstmals an einer Bundesratssitzung teilgenommen. So neu waren die FNL aber gar nicht. Sachsen gibt es ja schon ziemlich lange, auch Brandenburg hat recht viel Historie zu bieten, und Thüringen (wenn auch lange vielgeteilt) und Mecklenburg sind ebenfalls keine Spätlinge in der Landesgeschichte. Nur Sachsen-Anhalt ist etwas neueren Datums, es wurde 1947 ins Leben gerufen, als die Sowjetische Besatzungszone in Länder gegliedert wurde. Die Länder der DDR haben dann eine Auszeit genommen, 1952 waren sie aufgelöst worden, es kamen die Bezirke – die Ländernamen dienten von da an als Chiffren der Erinnerung mit Zukunftspotenzial.

Keine lange Debatte

1990 gab es daher keine lange Diskussion, in welcher Form die zerfallende DDR sich der größer werdenden Bundesrepublik anschließen sollte. Die Zwei-Länder-Lösung mit einem Brandenburg-Mecklenburg und einem Sachsen-Thüringen (in mehreren Varianten) war so chancenlos wie die Drei-Länder-Vorschläge oder die Planskizzen mit vier Ländern. Daher gedenkt Gauck jetzt der Erweiterung der Zahl um fünf auf 16. Zwar gibt es immer wieder Politologen, Wirtschaftsgeografen oder Leitartikler, die nach Neugliederung rufen, also einer Verringerung der Zahl. Aber die 16 steht. Bremen fällt partout nicht an Niedersachsen, das Saarland will einfach nicht in Rheinland-Pfalz aufgehen, und Berlin-Brandenburg ist was fürs Sommerloch.

Vor 25 Jahren wurde auch die Stimmenzahl im Bundesrat neu verteilt. Die vier großen Länder hatten von nun an jeweils sechs Stimmen, damit eine Verfassungsänderung gegen ihren Willen nicht möglich ist (ihre 24 Stimmen verhindern bei 69 Stimmen insgesamt die Zweidrittelmehrheit). Die Abstufung beim Stimmengewicht - maximal sechs, mindestens drei - ist schon eine Besonderheit, eine Mischung aus bundesstaatlichem Gleichheitsprinzip und demokratischem Repräsentationserfordernis. Sie ist übrigens, noch ein Jubiläum, 200 Jahre alt. Der Bundestag im Deutschen Bund, 1815 gegründet und Vorgänger des Bundesrats, hatte in seinem Plenum eine solche Abstufung nach Größe. Es waren damals, kleiner Zufall, ebenfalls 69 Stimmen.

Dieses Ungleichgewicht, das letztlich den kleineren Ländern mehr Einfluss gibt, weil ihr Stimmengewicht, gemessen an der Bevölkerungszahl, überproportional ist, steht praktisch nicht zur Debatte. Niemand stört sich daran. Nicht einmal Bayern hegt Pläne, deswegen nach Karlsruhe zu ziehen (was ein Ministerpräsident Söder machen würde, wissen wir allerdings nicht). Die 16 Länder und ihre ungleich verteilten 69 Stimmen sind also eine feste Größe. Zumal im Vergleich zur schwankenden Gestalt des Bundestages je nach Wahlergebnis. Der Bundespräsident sprach am Freitag somit in einem Hort der Stabilität. Numerisch betrachtet.

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