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Bleibt der Bundesrat Oppositionskammer? Oder schafft Rot-Grün es in letzter Minute noch im Bund und in Hessen? Dann wären beide Kammern „gleichfarbig“.

© Kai-Uwe Heinrich

Bundesrat: Rot-grüner Kraftakt

Der Bundesrat tagt mitten im Wahlkampf – die rot-rot-grüne Oppositionsmehrheit ärgert nochmals die schwarz-gelbe Regierung.

Der Bundesrat ist „immerwährend“, er kennt keine eigene Legislaturperiode, die elf regulären Plenartermine pro Jahr sind lange vorab festgelegt – und so ist es dazu gekommen, dass die Länderkammer zwei Tage vor der Bundestagswahl, während der Rest der Republik die letzten Züge des Wahlkampfes erlebt, zu ihrer 914. Sitzung seit 1949 zusammenkam. Einige Ministerpräsidenten waren am Freitag auch da. Es ist zwar Wahlkampf im Bund, aber sie sind ja auch Parteileute, und zum Bund gehört eben der Bundesrat. Es war also eine Wahlkampfveranstaltung in der Leipziger Straße. Wenn auch mit gebremstem Schaum.

Denn es lag ein kleiner Schatten über der Sitzung, zumindest über den Bänken der rot-grünen Regierungen. SPD und Grüne hatten in den Ländern einen ziemlich guten Lauf, seit Schwarz-Gelb in Berlin regierte. Seither gab es keine neue Landesregierung von Union und FDP mehr. Dagegen triumphierten meist Sozialdemokraten und Grüne: 2011 SPD-Alleinregierung in Hamburg, der spektakuläre Wechsel zu Grün-Rot in Baden-Württemberg, dann Rot-Grün in Bremen; 2012 festigte Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen die eigene Macht, und in Schleswig-Holstein kippte die Mehrheit; im Januar 2013 dann der Wahlsieg in Niedersachsen. Der war zwar knapp, doch in der Strategie der rot-grünen Spitzen war es das vorletzte Kapitel in der Geschichte mit dem Titel: Wie Rot-Grün die Regierung Merkel-Westerwelle/Rösler von den Ländern her ablöste. Zwar geben die Umfragen kurz vor der Wahl das nicht mehr her – im Schnitt der wesentlichen Umfragen steht es 44,2 zu 36,3 Prozent zugunsten von Schwarz-Gelb. Und in Hessen hat Rot-Grün einen hohen Vorsprung vor Schwarz-Gelb eingebüßt.

Mehrere Regierungsvorhaben fallen durch

Die Sitzung am Freitag wurde als rot-grüne Kraftaktion gegen die Bundesregierung inszeniert. Zwar kamen acht Gesetze kurz vor Schluss noch durch. Aber mehrere schwarz-gelbe Vorhaben wurden gestoppt, denn die Opposition hat in der Länderkammer die Mehrheit von 36 der 69 Stimmen (32 davon Rot-Grün plus vier Stimmen des rot-rot regierten Brandenburgs). Das Gesetz für mehr Gesundheitsprävention fiel ebenso darunter wie das Gesetz gegen Korruption unter Ärzten. Auch das Vorhaben, stärker gegen Menschenhandel vorzugehen und Zwangsprostitution zu bekämpfen, fiel durch. Die Begrenzung von Managergehältern wird ebenfalls nicht Gesetz. Die Begründung jeweils: Die schwarz-gelben Maßnahmen seien ungenügend oder wirkungslos. Die Möglichkeit, das Betreuungsgeld für das Bildungssparen oder eine Altersvorsorge einzusetzen, scheiterte auch – eine „unsinnige Ergänzung des unsinnigen Betreuungsgeldgesetzes“, wie die rheinland-pfälzische Familienministerin Irene Alt sagte. Alle Vorhaben wurden in den Vermittlungsausschuss verwiesen, und da dieser vor der Bundestagswahl nicht mehr tagt, unterliegen diese Gesetze der sogenannten Diskontinuität – will heißen: Schwarz-Gelb müsste sie nach einem Wahlsieg erneut in den Bundesrat einbringen.

Wie geht es nach der Wahl weiter?

Und dann? Würde es interessant. Denn nach einem schwarz-gelben Erfolg im Bund bliebe die Bundesratsmehrheit ja trotzdem „feindlich“ – erst recht nach einem Wahlsieg von Rot-Grün in Hessen am Sonntag. Und zwar für mindestens zwei Jahre, möglicherweise weit länger. Union und FDP haben derzeit 15 Länderstimmen, ohne Hessen wären es nur noch zehn (Bayern und Sachsen). Schwarz-Gelb im Bund bliebe damit praktisch die längste Zeit auf Stimmen von Ländern mit großen Koalitionen und oppositionellen Regierungen angewiesen. Letztlich müsste eine Bundesregierung von Union und FDP bei Zustimmungsgesetzen vor allem mit der SPD reden, aber auch die Grünen wären mit im Boot. Deutschland hätte faktisch eine Allparteienkoalition unter Ausschluss der Linken. Es wäre eine Fortsetzung der bisherigen Verhältnisse – und bis Anfang des Jahres hat man sich zwischen Bund und Ländern auch einigermaßen zusammengerauft, wenn es wichtig war.

Aber liefe es nicht mit einer großen Koalition besser? Weit gefehlt. Obwohl diese Koalitionsvariante im Bundestag eine Riesenmehrheit hätte, kommt sie im Bundesrat nur auf 21 sichere Stimmen (die fünf großen Koalitionen plus Hamburg). Die 15 schwarz-gelben Länderstimmen wären wohl auch zu gewinnen, weil die FDP als bundespolitischer Faktor wenig Gewicht hätte und sich die Liberalen in den Ländern meist recht pragmatisch verhalten. Aber das reicht nicht. Entscheidend wären die Länder mit SPD-Ministerpräsidenten und grünem Koalitionspartner. Damit wäre die Öko-Partei mit von der Partie, denn sie ist in sechs Landesregierungen vertreten – ein Pfund, mit dem die Partei wohl wuchern würde. Eine SPD als Regierungspartei im Bund würde die rot-grüne Schiene im Bundesrat natürlich nutzen, um das eigene Gewicht in der Koalition zu erhöhen. Kurzum: Schwarz-Rot hätte eine starke rot-grüne Beimischung. Merkels Union sähe sich dieser Verhandlungsphalanx gegenüber, was die Koalition labil machen würde.

Dann vielleicht Schwarz-Grün? Diese Variante hätte im Bundesrat nur die Stimmen Bayerns sicher, ausgerechnet, also deren sechs. Hin und wieder käme wohl noch Baden-Württemberg dazu, wenn sich der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann mit der SPD darauf einigt, mit der Bundesregierung zu stimmen. Auch aus großen Koalitionen, rot-grünen und schwarz- gelben Ländern käme bisweilen Zustimmung. Aber ohne die SPD ginge wenig. Die informelle Koalition wäre also auch hier größer als die formelle Koalition im Bundestag.

Nur Rot-Grün könnte „durchregieren“ – oder jedenfalls fast, wenn es in Hessen nicht klappen sollte und Brandenburg gebraucht wird. Aber der Schwung von Rot-Grün in den Ländern kam bis Freitag im Bund noch nicht richtig an.

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