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Bundesregierung: Hartz IV: Koalition will Entschlossenheit zeigen

Die Koalition versucht, ein Großthema nach dem anderen abzuarbeiten. Nach Sparpaket, Energie- und Gesundheitspolitik und der Bundeswehrreform hat sie sich nun auf höhere Hartz-IV-Sätze geeinigt. Gelingt der angekündigte "Herbst der Entscheidungen"?

Von Robert Birnbaum

Entschlossenheit zu demonstrieren steht im Rezeptbuch für Politiker stets ganz weit vorne bei den Grundkocharten. Und wenn die schwarz-gelbe Koalition nicht ihr erstes Regierungsjahr damit zugebracht hätte, entschlossen aufeinander einzuhauen, wäre der neuerdings betont entschlossene Tonfall nicht weiter bemerkenswert. So aber bringt es eine Kanzlerin mit der Formel vom „Herbst der Entscheidungen“ in die Schlagzeilen. Angela Merkel weckt damit Erwartungen, die eins zumindest sicher erscheinen lassen: Es wird ein ziemlich entscheidender Herbst für sie. Was und wie die Koalition entscheidet wird darüber mitbestimmen, ob „die da in Berlin“ bei den wichtigen Landtagswahlen im nächsten Frühling von ihren Wählern weiter als Belastung oder doch allmählich als Truppe betrachtet werden, mit der man immerhin leidlich zufrieden sein kann.

Die Exempel, an denen Merkel und ihre Koalitionäre das durchexerzieren wollen, sind von sehr unterschiedlicher Art. Als wichtigstes Element gilt in allen drei Koalitionsparteien ein atmosphärisches: Das gegenseitige Beschimpfen, Madigmachen, Knüppel-zwischen-die-Beine-Werfen dürfe nicht weitergehen. Bei diskreten Treffen der Parteichefs in der Sommerpause verabredet, funktioniert dieser Teil der Auferstehung aus Ruinen bisher ziemlich fehlerfrei.

Merkel hat sich demonstrativ auf ein paar umstrittene Projekte wie den Bahnhof „Stuttgart 21“ festgelegt, statt wie bisher erst am Ende der Debatte, wenn überhaupt, Stellung zu beziehen. FDP-Chef Guido Westerwelle ist still geworden und konzentriert sich darauf, als Außenminister Fuß zu fassen. In der eigenen Partei wirken die hilflos-überdrehten Auftritte des Vorsitzenden seit dem Wahlsieg im Herbst 2009 noch stark nach. Umso wichtiger, dass er nicht auch als Chef im Außenamt überfordert wirkt – nach einer Wahlschlappe in einem FDP-Stammland wie Baden-Württemberg würde der Ruf nach Trennung beider Ämter sonst nur noch plausibler wirken. CSU-Chef Horst Seehofer, der personifizierte zweite Unruheherd im Koalitionsgefüge, hat ebenfalls die Tonart gewechselt. Statt auf die Liberalen einzuhauen, sucht er Profilierung als der Mann an der Spitze der jeweiligen Bewegung. So verkündete der CSU- Mann Stunden vor dem Hartz-IV-Gipfel im Kanzleramt per Interview, er werde nur dem verfassungspolitischen Minimum der Erhöhung der Bedarfssätze zustimmen – was da intern schon feststand.

Die Hartz-IV-Reform ist die dritte von vier Sachfragen, an denen die Koalition im Herbst konkret Entschlossenheit zeigen will. Der erste Punkt, der Bundeshaushalt, ist der öffentlich am wenigsten kontroverse: Dass Deutschland nach den Milliardenausgaben der Krise sparen muss, ist im Prinzip bis in die Oppositionsanhängerschaft hinein Konsens. Der Vorwurf, das Sparpaket sei sozial unausgewogen, erzeugt im Unionslager hier und da Unbehagen. Doch alles in allem haben die Sparbeschlüsse gute Chancen, als Seriositätsbeweis zu taugen. Freilich gilt für sie das Gleiche wie für die Hartz-Reform: Sie sind nicht Produkt entschlossener Programmatik, die Regierung reagiert in beiden Fällen bloß – auf die Krise einerseits, auf ein Urteil des Verfassungsgerichts andererseits.

Eigenständige Politik sogar jenseits der Koalitionsvereinbarung ist hingegen das dritte Großprojekt, das zur Entscheidung ansteht: die Bundeswehrreform inklusive Aussetzung der Wehrpflicht. Unter normalen Umständen hätte das Vorhaben das Zeug gehabt, die Union tief zu spalten. Aber die Erfahrungen in Afghanistan tragen dazu bei, eine Armee der Söhne (und einiger Töchter) viel weniger erstrebenswert erscheinen zu lassen als noch vor Jahren. Dazu kommt: Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) wird von der eigenen Basis dermaßen verehrt, dass keiner dem Hoffnungsträger in die Parade fahren kann.

Für den Hoffnungsträger schwarz-grüner Politik galt das nicht. Der Beschluss zur Verlängerung der Atomlaufzeiten kam in den entscheidenden Passagen eher gegen den Willen von Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) zustande. Merkel bemüht sich inzwischen, den zweiten Teil des Atomdeals – den Umstieg auf eine umweltfreundliche Energieerzeugung – in den Vordergrund zu rücken. Doch auf absehbare Zeit dürfte die Atomfrage das Bild dominieren.

Ein Bild übrigens, das neben der erwünschten Entschlossenheit eine zweite Botschaft transportiert: Merkels langjähriges Werben um Wähler jenseits der Stammkundschaft wirkt auf Eis gelegt. Längere Atomlaufzeiten sind selbst in der CDU wenig beliebt. Außerhalb der eigenen Milieus ist damit vollends keine Sympathie zu gewinnen. Dass Hartz-IV- Empfängern der Bedarfssatz nur um einen Fünfer angehoben, Bier und Zigaretten aus dem fiktiven Grundbedarf gestrichen werden, dürfte bei den meisten Unionswählern sogar gut ankommen, von Freidemokraten ganz zu schweigen – jenseits der Kernklientel macht sich die Koalition auch damit unbeliebt.

Ohnehin ist unklar, ob der „Herbst der Entscheidungen“ nicht nur eine kurze goldene Jahreszeit bleibt, dem ein grimmiger Winter, ein verhageltes Frühjahr und ein verregneter Sommer folgen. Gegen Atomlaufzeiten und Hartz-IV-Gesetze drohen Verfassungsklagen, bei Hartz IV ist der Bundesrat jetzt schon gefragt. Wie weit die Entschlossenheit reicht, muss sich da zeigen, wo die Koalition es nicht mehr bloß mit sich selbst zu tun bekommt. Und erst nach den Landtagswahlen in Stuttgart, Mainz und Magdeburg wird man wissen, ob die Wähler der Kanzlerin das durchgedrückte Rückgrat als neue Willensstärke abnehmen – oder nur als eine Folge der Wand deuten, zu der Angela Merkels Koalitionsregierung mit dem Rücken steht.

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