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Politik: „Bundesregierung muss offene Fragen beantworten“

Grünen-Rechtsexperte Wieland: Deutsche Beamte haben wahrscheinlich noch mehr Terrorverdächtige im Ausland verhört

Herr Wieland, können Sie sich vorstellen, dass Joschka Fischer in seiner Amtszeit als Außenminister nichts erfahren hat von CIA-Flügen via Deutschland, nichts vom Fall Zammar und erst spät vom Fall al Masri?

Ob er von möglichen CIA-Flügen über Deutschland oder mit Zwischenstopp in der Bundesrepublik Kenntnis hatte, weiß ich nicht. Das müsste er ihnen selbst beantworten. Die Grünen-Führung hat ihn Anfang Dezember vor allem nach dem Fall al Masri und dem Fall Zammar gefragt.

Und?

Er sagt, er hat von dem Verdacht der Verschleppung al Masris nach Afghanistan erst erfahren, nachdem dessen Anwalt sich ans Auswärtige Amt gewandt hatte. Dass Innenminister Otto Schily vorher bereits vertraulich von US-Botschafter Coats informiert wurde, davon wusste Fischer nichts: Der Otto habe ihm kein Wort gesagt. Auch auf anderen Wegen habe er keine Informationen erhalten.

Und von der Vernehmung des deutschen Staatsbürgers Mohammed Haidar Zammar in Syrien durch deutsche Sicherheitsbeamte hat Fischer auch nichts gewusst …

Auch da lautet seine Antwort: Keine Ahnung gehabt von der Reise der BKA-, BND- und Verfassungsschutzleute nach Damaskus.

Als Oppositionsführer im Berliner Abgeordnetenhaus hätten Sie sich mit solchen Antworten nicht zufrieden gegeben.

Dass Schily seine Information nicht an Fischer weitergegeben hat, halte ich durchaus für glaubhaft, auch deshalb, weil Schily mächtig stolz auf sein vermeintlich besseres Verhältnis zur US-Administration war. Ich gebe aber zu, dass es mich verwundert hat, dass die Vernehmung Zammars an unserem damaligen Außenminister vorbeigelaufen ist. Generell fragt man sich, warum die damalige Bundesregierung nicht offensiver mit dem gesamten Komplex umgegangen ist.

Vielleicht hat die Regierung Schröder/Fischer beide Augen zugedrückt, um das angespannte Verhältnis zu den USA nicht weiter zu belasten?

Der Verdacht steht im Raum. Man muss aber auch fragen, warum sich die damalige Opposition und die damalige Grünen-Fraktion nicht mit den verschiedenen Fällen befasst haben. Etliches war ja bekannt.

Schadet Fischers zurückhaltende Informationspolitik in der CIA-Affäre den Grünen?

Ein offensiveres Herangehen von Joschka Fischer wäre für uns besser, keine Frage. Zu seiner Verteidigung muss man aber sagen, dass er nicht mehr Minister ist und seine Erinnerungen deshalb nicht mit den Akten abgleichen kann. Das ist sicher ein Grund für seine Zurückhaltung. Außerdem steht nicht er im Zentrum der Affäre, sondern der damalige Innenminister Schily. Er hätte zumindest Bundeskanzler und Vizekanzler informieren müssen.

Ihre Partei wirkt hin- und hergerissen zwischen Aufklärungswille und Rücksichtnahme auf Fischer. Erklärt das die zögerliche Haltung zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses?

Nein, wir sind wirklich nicht zögerlich, denn wir wissen, dass unser Ruf als eine Partei auf dem Spiel steht, die immer auf Transparenz und Aufklärung gedrängt hat. Schon deshalb entscheiden wir über den Untersuchungsausschuss ohne Ansehen der Person. Bis Mitte Januar muss die Bundesregierung die offenen Fragen beantworten. Von der Qualität der Antworten hängt unsere Entscheidung ab. Im Übrigen sind wir uns anders als bei der Visa-Affäre auch ganz sicher: Dies ist keine Causa Joschka Fischer. Da kann es für ihn nicht viel Schädliches geben.

An welchem Punkt wird ein Untersuchungsausschuss unabdingbar?

Wenn wir davon ausgehen müssen, dass deutsche Beamte möglicherweise in weiteren Fällen Terrorverdächtige im Ausland verhört haben. Ich halte das zum gegenwärtigen Zeitpunkt für wahrscheinlich. Wer einmal zu Befragungen nach Guantanamo fliegt, tut das sicher auch ein zweites oder drittes Mal. Wer in Syrien und in Libanon Befragungen durchführt, hat auch keine Hemmungen vor Verhören in anderen arabischen Staaten. Diesen Verdacht muss die Bundesregierung zweifelsfrei ausräumen – und zwar öffentlich. Und dann geht es natürlich um die Verantwortlichkeit im Fall des deutschen Staatsbürgers Zammar …

… der in Damaskus gefoltert worden sein soll, bevor deutsche Beamte ihn dort befragt haben.

Diesem unzulässigen Verhör gingen Verhandlungen zwischen Deutschland und Syrien voraus. Dabei wurde im Gegenzug für den Zugang zu Zammar quasi Straffreiheit für syrische Geheimdienstler vereinbart, die in Deutschland syrische Exilanten bespitzelten und gegen die Verfahren liefen. Wir wollen wissen, ob der damalige Kanzleramtsminister Frank-Walter Steinmeier für diesen Deal persönlich Verantwortung trägt. Immerhin war eine syrische Delegation in Deutschland, um die Sache zu verhandeln. Solche Delegationen werden für gewöhnlich auch ins Kanzleramt geführt.

Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) argumentiert, im Kampf gegen den Terror könne ein Staat nicht auf Erkenntnisse aus der Befragung von Verdächtigen wie Zammar verzichten. Würden Sie solche Verhöre auch dann ablehnen, wenn die Chance bestünde, zum Beispiel einen Bombenanschlag zu verhindern?

Der Staat muss auf solche Verhöre verzichten, auch wenn derartige Entscheidungen unendlich schwer sein können. Aber im Grundgesetz steht ein absolutes Folterverbot. Deutschland darf unter keinen Umständen Früchte der Folter ernten, wie dies im Fall Zammar wahrscheinlich geschehen ist. Das ist die rote Linie. Wer die überschreitet, öffnet Türen, die man nie wieder schließen kann.

Joschka Fischer hält die Vernehmung Zammars ebenfalls für gerechtfertigt.

Da haben wir eine gravierende Differenz. Ich frage: Wie kann eine den Menschenrechten verpflichtete Bundesregierung in solchen Ländern auf die Abschaffung von Folter dringen und gleichzeitig deren Früchte ernten? Das ist nicht glaubwürdig und kann nicht die Position der Menschenrechtspartei die Grünen sein.

Das Gespräch führte Stephan Haselberger.

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