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Eine Koma-Patientin (Archivbild).

© dpa

Update

Bundestag debattierte über Leben und Tod: Gegen organisierte Sterbehilfe - für bessere Palliativmedizin

Der Bundestag befasste sich in einer ausführlichen Debatte mit dem Thema Sterbehilfe. Die Aussprache war geprägt von dem Bemühen, der Selbstbestimmung des Menschen ebenso gerecht zu werden wie der Verantwortung für das Leben.

Von Matthias Schlegel

Sie wurde ebenso kontrovers wie tiefgründig geführt: In einer Grundsatzdebatte befasste sich der Bundestag am Donnerstag fast fünf Stunden mit dem hoch umstrittenen Thema der Sterbehilfe. 48 Abgeordnete nahmen das Wort. Inhaltlich ging es insbesondere um die Beihilfe zur Selbsttötung und die Frage gehen, ob es Ärzten und Sterbehilfevereinen künftig erlaubt sein soll, sterbenskranken Patienten beim Suizid zu helfen. Es war eine sogenannte Orientierungsdebatte, ohne Fraktionszwang und ohne Gesetzesvorlagen - so etwas hatte es im Bundestag vorher noch nie gegeben.

Ein Fazit: Keiner der Redner forderte Strafen für die Beihilfe zum Suizid in begründeten Einzelfällen. Umstritten ist aber, ob Ärzte Beihilfe zum Suizid leisten dürfen. Bis auf wenige Abgeordnete forderten die meisten Parlamentarier, keine geschäftsmäßige Sterbehilfe durch darauf spezialisierte Vereine zuzulassen. Fast alle Abgeordneten sprachen sich dafür aus, die Palliativmedizin und Hospize auszubauen.

Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) sprach zum Auftakt vom "vielleicht anspruchsvollsten Projekt dieser Legislaturperiode“. Dem Bundestag liegen inzwischen Positionspapiere von fünf fraktionsübergreifenden Parlamentariergruppen vor. Die meisten sprechen sich gegen organisierte Sterbehilfe durch sogenannte Sterbehilfevereine aus.

Im Jahr 2015 will der Bundestag ein Gesetz zur Beihilfe zur Selbsttötung verabschieden. Nach geltendem Recht ist in Deutschland aktive Sterbehilfe verboten. Nicht strafbar sind der Suizid und die Beihilfe zum Suizid.

Wer nimmt sich eigentlich das Recht, über Leben und Tod zu entscheiden, fragte der CDU-Abgeordnete Michael Brand und bat das Parlament, verantwortungsbewusst mit diesem Thema umzugehen. Er zitierte aus den Schilderungen einer Krebskranken, die trotz ihrer Krankheit für den Wert ihres Lebens plädiert hatte. Brand appellierte an das Parlament: "Bitte setzen Sie sich für das Leben ein!"

"Niemand weiß, wie das geht: das Sterben", sagte die Linken-Abgeordnete Kathrin Vogler, "und dennoch kommt es auf jeden von uns zu." Aber es gebe keine Pflicht zum Leben, wie es auch keine Pflicht gebe, die Hilfe zum Sterben zu einer leicht erreichbaren Dienstleistung zu machen.

Carola Reimann (SPD) unterstützte den fraktionsübergreifenden Antrag, nur in Ausnahmefällen sollten Ärzte bei der Selbsttötung helfen dürfen. Damit müsse den Ärzten mehr Rechtssicherheit gegeben werden. Es müsse zugleich die Palliativ- und Hospizarbeit gestärkt werden. Es sollten keine Gegensätze konstruiert werden, wo keine seien. Die Gesellschaft dürfe nicht die Augen verschließen, wenn Todkranke ihr Leben beenden wollten.

Die Grünen-Abgeordnete Renate Künast plädierte dafür, die gegenwärtige Rechtslage dabei zu belassen, wie sie ist. Die heutige Rechtslage sei klüger als alles, was zur Neuregelung der Sterbehilfe vorgeschlagen werde, sagte sie. Die Vorsitzende des Rechtsausschusses sprach sich aber zugleich für eine enge Regulierung der Arbeit von Sterbehilfe-Vereinen aus. Den Menschen müsse in der letzten Lebensphase die Hand gereicht werden. „Das kostet Personal, Ausbildung und Geld.“

Angesichts der Unterschiede beim regionalen Berufsrecht der Ärzte forderte die stellvertretende SPD-Fraktionschefin Eva Högl, "diesen Flickenteppich von Regelungen beseitigen". Sie wandte sich aber gegen den Vorschlag, im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) Kriterien festzuschreiben, unter denen Ärzten die Suizidbeihilfe erlaubt sein soll. Auch die SPD-Abgeordnete Sabine Dittmar, die selbst Ärztin ist, fragte sich und das Plenum, ob eine berufsrechtliche Entscheidung mit dem Strafrecht geklärt werden darf.

Peter Hintze: "Leiden ist immer sinnlos".

Anderer Auffassung ist Peter Hintze (CDU). Gerade zivilrechtliche Regelungen für Ärzte würden gebraucht, denn sie schafften Rechtssicherheit, argumentierte er. "Die Wahrheit ist konkret", stellte Hintze fest und schilderte in drastischen Worten das Leiden von Schwerstkranken. "Schutz des Lebens, ein klares Ja, aber bei einer todbringenden Krankheit geht es nicht um das Ob des Sterbens, sondern um das Wie des Sterbens." Er mahnte, sterbenden Menschen nicht per Gesetz ein qualvolles Ende aufzuerlegen. Mit der Menschenwürde sei es nicht vereinbar, „wenn aus dem Schutz des Lebens ein Zwang zum Qualtod würde“, sagte er. Bei manchen tödliche Leiden stoße die Palliativmedizin an ihre Grenzen. Ein Arzt müsse beim friedlichen Einschlafen helfen dürfen. Als Christ sagte Hintze: "Leiden ist immer sinnlos." Die gesamte Werteordnung der westlichen Welt sei von dem Bestreben geleitet, Menschen Leid zu ersparen. Deshalb werde der Palliativmedizin so große Aufmerksamkeit gewidmet.

Gute Pflege und gute Palliativmedizin seien unbestritten wichtig - aber ihr Vater und andere würden damit nicht erreicht, sagte die Linken-Abgeordnete Petra Sitte mit sehr persönlichen Worten aus ihrer eigenen Erfahrung. Ihr Vater habe am Ende Essen und Trinken verweigert, um sterben zu können. Niemand solle diese Ohnmacht und Hilflosigkeit erleben müssen: „Selbstbestimmt zu sterben durch Verhungern und Verdursten, weil es unsere Gesetze nicht anders zulassen - ist das nicht erbarmungslos?“, fragte sie. Wer wolle eigentlich belegen, dass in aktiver Sterbehilfe eine Geringschätzung des Lebens bestehe. Verbote zur Beendigung des Lebens halte sie, die sie als Atheistin auch dem Leben höchsten Wert beimesse, nicht für zulässig. Warum sollten nicht auch Vereine solche Hilfe leisten können, fragte sie. Elisabeth Scharfenberg (Grüne) warnte vor dem Hintergrund einer alternden Gesellschaft, den Suizid als scheinbaren Ausweg zu eröffnen. Dies sei ein „katastrophales Signal“. Sie stellte infrage, ob von Selbstbestimmung die Rede sein könne, wenn die Entscheidung durch Angst vor Schmerzen, Einsamkeit und Hilflosigkeit falle. Sie plädierte ebenfalls für individuelle Freiräume für Vertrauensärzte und Nahestehende, sofern sie nicht eigennützig handelten.

Der SPD-Abgeordnete Karl Lauterbach bemerkte einleitend, dass es im Bundestag und in der Gesellschaft eine große Einigkeit darüber gebe, die Palliativmedizin zu stärken. Zugleich stellte er eine Gemeinsamkeit aller im Bundestag vorliegenden Positionspapiere dahingehend fest, dass Ärzte im äußersten Falle helfen können sollen. Aber nur in dem auch von ihm unterstützten Antrag werde den Ärzten dafür der Rechtsrahmen gegeben. Lauterbach sprach sich gegen organisierte Sterbehilfe und „Serien-Sterbehelfer“ aus, die es zu unterbinden gelte. „Wenn wir die organisierte Sterbehilfe verbieten wollen, weil es nicht gut ist“, dann brauche es Rechtssicherheit für Ärzte.

Für ein umfassendes und strafbewehrtes Verbot und ein Werbeverbot für organisierte, geschäftsmäßige Sterbehilfe sprach sich der CSU-Abgeordnete Johannes Singhammer aus. Er verwies zugleich auf den Buchstaben des hippokratischen Eides.

Gesundheitsminister Hermann Gröhe: Hilfsbedürftigkeit hat nichts Entwürdigendes

Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) unterstrich, dass er organisierte Sterbehilfe ablehne. Er unterstütze darüber hinaus die Position der deutschen Ärzteschaft, die den ärztlich unterstützten Suizid in ihrem Standesrecht ablehnt. Die Gesellschaft schulde schwer kranken und sterbenden Menschen Hilfe und die bestmögliche Unterstützung. Hilfsbedürftigkeit habe nichts Entwürdigendes. Der Angst vieler Menschen, anderen zur Last zu fallen „müssen wir entschieden entgegentreten“, sagte der Minister. Gröhe hatte vor wenigen Tagen gemeinsam mit den Gesundheitspolitikern der Koalition ein Eckpunktepapier zum Ausbau der medizinischen und pflegerischen Begleitung Schwerst- und Sterbenskranker vorgelegt. Es sieht unter anderem eine bessere Finanzierung der Hospize vor.

Thomas Oppermann, Fraktionsvorsitzender der SPD, würdigte, dass die Debatte im Bundestag mit viel "Fingerspitzengefühl und Respekt" geführt werde. Das sei aber auch angemessen. Oppermann plädierte dafür, die hochwertige Palliativmedizin, die es an einigen Orten gebe, allen Menschen im Land zugänglich zu machen.

Aus dem Schutz von Leben dürfe kein Zwang zum Leiden werden, sagte Katherina Reiche (CDU). Wenn sich Patient und Arzt auf den geschützten Freiraum verlassen könnten, würde das die geschäftsmäßig organisierte Sterbehilfe überflüssig machen. Harald Weinberg (Linke) sagte, er habe im Vorfeld einer solchen Debatte skeptisch gegenübergestanden. Nun sei er beeindruckt von der Ernsthaftigkeit und Würde der Aussprache.

Kathrin Göring-Eckardt (Grüne) sagte, bevor man über Sterbehilfe spreche, müsse man über Hilfe für das Leben, über Pflege und Palliativmedizin sprechen. Es gebe in Deutschland 10 000 Suizide, 90 Prozent davon hingen mit psychischen Erkrankungen zusammen. Es fehlten Fachärzte für Psychiatrie, in der Heimunterbringung, Plätze für Demente und ihre Angehörigen.

"Mein Wunsch ist, selbstbestimmt leben und selbstbestimmt sterben zu dürfen", sagte Matthias W. Birkwald (Linke). Er plädiere dafür, dass ärztlich assistierte Sterbehilfe oder auch Hilfe bei der Selbsttötung durch darauf spezialisierte Vereine straffrei bleiben sollte.

Kerstin Griese zitiert aus Beitrag eines Schwerstkranken im Tagesspiegel

Kerstin Griese (SPD) dagegen sagte im Namen der Unterzeichner des von Gleichgesinnten unterzeichneten Positionspapiers, ihr Anliegen sei, dass Beihilfe zum Suizid straffrei bleiben solle, aber geschäftsmäßige Beihilfe zur Selbsttötung durch Vereine untersagt werden solle. Griese zitierte aus einem am Dienstag im Tagesspiegel erschienenen Beitrag von Benedict Maria Mülder, der an ALS erkrankt und gelähmt ist, die Worte: "Autonomie ist nur in Gemeinschaft denkbar." Deutschland habe ein dichtes Netz an Pflege und Palliativmedizin. Niemand, so Griese, müsse in Deutschland elendiglich sterben.

Die CDU-Abgeordneten und frühere Familienministerin Kristina Schröder warb engagiert für das Positionspapier ihres Parteifreundes Peter Hintze. Dort seien "behutsame Änderungen" der derzeitigen Situation vorgesehen. Der Entwurf plädiere nicht für eine Abschaffung der aktiven Sterbehilfe, sondern wolle nur einen Rechtsrahmen für Ärzte schaffen, die in Einzelfällen beim Suizid assistieren.

Maria Michalk (CDU) dankte dem Plenum als letzte Rednerin für die "inhaltsreiche, auch differenzierte Debatte, die uns in dieser Frage mit Sicherheit weiterbringen wird". Niemand habe am Anfang des Lebens bestimmt, ob er auf die Welt kommen wolle. Auch am Ende des Lebens solle der Mensch das Recht darauf haben, in liebevoller Umgebung sterben zu dürfen. Die Frage sei, was noch alles getan werden müsse, damit bei Ängsten und Schmerzen am Ende des Lebens in unserer reichen Gesellschaft ein würdiges Sterben möglich sei. Aber organisierte Sterbehilfe müsse verboten bleiben.

Anfang nächsten Jahres, wenn Gesetzentwürfe vorliegen, soll eine weitere Plenardebatte im Bundestag stattfinden. Die Entwürfe werden dann in den Fachausschüssen des Bundestages weiter diskutiert, ehe es eine zweite und dritte Lesung mit der Verabschiedung eines Gesetzes geben wird. (mit epd)

Zum hoch umstrittenen Thema Sterbehilfe haben wir die wichtigsten Fragen und Antworten zusammengefasst. Lesen Sie mehr darüber hier.

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