zum Hauptinhalt
319353_0_d606593f.jpg

© DAVIDS/Darmer

Bundestagsdebatte: Langer Reden kurzer Sinn

Auslassungen und Andeutungen: Die Bundestagsdebatte zur Regierungspolitik ersoff im Nebulösen. Auch Kanzlerin Merkel hatte nur eine Idee für die Zukunft dabei – und die wirkte so müde wie sie selbst.

Von Robert Birnbaum

Volker Kauder redet ohne Manuskript und sich selbst in Rage. „Es weht ein anderer Geist in dieser Koalition!“, ruft Angela Merkels Fraktionschef in den Plenarsaal. „Oh ja!“ stöhnt es aus den Reihen der SPD zurück. Angela Merkel guckt geradeaus ins Irgendwo. Guido Westerwelle betrachtet sinnend den Stapel Weltenlenkerpapiere, die ihm sein Auswärtiges Amt zur angelegentlichen Bearbeitung auf die Regierungsbank mitgegeben hat. Was immer da wehen mag, es bewegt sie nicht.

Nun muss man von dieser ganzen ersten Generaldebatte über die Politik der neuen Bundesregierung sagen, dass es mit dem Geist dabei so eine Sache ist. Nehmen wir zum Beispiel den Geist vom „Borchardt“. In dem Berliner Nobelrestaurant hat bekanntlich am Sonntag der Friedensgipfel der drei Koalitionsparteichefs seinen geselligen Ausklang gefunden. Merkel, Westerwelle und Horst Seehofer haben Tartar gegessen und sich dabei von einem Boulevard-Fotografen ablichten lassen. Das Trio wirkte ungefähr so entspannt, wie man es von älteren Familienfotos mit Onkels und Tanten kennt, die außer der Verwandtschaft nichts verbindet. Das entsprach ja auch dem Familienklima in den noch nicht ganz 100 ersten Tagen der Koalition. Aber damit, so das Signal des Steak Tartar, soll Schluss sein. Schluss mit dem tagtäglichen Interview-Gezänk um Steuersenkungen, Gesundheitspolitik, Sparen und Geldausgeben. Doch der Verzicht auf öffentliche Raufhändel ist das eine, Gemeinschaftsgeist etwas anderes. Man muss am Mittwochvormittag im Bundestag gar nicht allzu genau zuhören, um den Unterschied zu erkennen.

Zum Beispiel bei der Kanzlerin. Merkel trägt feierliches Schwarz. Westerwelle legt ihr zur Begrüßung die Hand vertraulich auf den Arm. Wie üblich, eröffnet ein nicht ganz so Wichtiger aus der größten Oppositionsfraktion die Generalaussprache zum Kanzlerhaushalt. Der Sozialdemokrat Anton Schaaf stammt aus Nordrhein-Westfalen, Wahlkreis Mülheim an der Ruhr. Im größten Bundesland wird im Mai gewählt. Der gelernte Maurer Schaaf ist also der Richtige, um gleich mal den Verdacht ins hohe Haus zu werfen, dass die neue Regierung arglistig diese Wahl abwarten wolle, bis sie mit den Grausamkeiten zur Gegenfinanzierung ihrer Steuerreform rausrücke.

Dann tritt gleich Merkel ans Pult. In den letzten Jahren hat sie ihren Auftritt oft bis Mittag hinausgezögert und so die Opposition ins Leere kritisieren lassen. Das hat Westerwelle als Oppositionsführer immer gefuchst. Vor dem aktuellen Oppositionsführer Frank-Walter Steinmeier glaubt Merkel nicht ganz so auf der Hut sein zu müssen.

Die Regierungschefin hat aber vor allem zu viel Erklärungsbedarf in die eigenen Reihen hinein, um die Debatte erst mal treiben zu lassen. Sie wirkt übrigens müde, immer noch. Das letzte Jahr hat Substanz gekostet und die Weihnachtszeit wenig Entspannung gelassen. Als neulich in der CDU- Vorstandsklausur einer aufzeigte und anmerkte, das eigentlich wichtige Treffen werde ja erst ein paar Tage später der Dreier-Gipfel werden, hat sie ihn genervt angeraunzt. Und jetzt erwarten alle von ihr, dass sie dem Regierungsganzen auch noch einen Sinn verleiht. „Neustart“ hat Jürgen Rüttgers aus NRW verlangt, Westerwelle eine „geistig-politische Wende“. Andere Hochmögende in der Koalition haben sie gedrängt, Schwarz-Gelb zum „Projekt“ zu erklären. Aber so weit mag es die Kanzlerin der Nüchternheit nicht treiben. „Christlich-liberale Koalition“ muss reichen. Und, je nun, „neues Denken“.

Das neue Denken ist so neu allerdings nicht; „nachhaltiges Wachstum“, „Wirtschaftskraft erneuern“, „Zusammenhalt in unserer Gesellschaft erneuern“ – das hat man alles schon mal gehört. Merkel verteidigt die ersten Beschlüsse der Koalition im „Wachstumsbeschleunigungsgesetz“, sie verteidigt die Pläne für längere Atom-Laufzeiten und für eine Steuerreform, sie lehnt die Forderung nach Arbeitspflicht für Hartz-IV-Empfänger ab – „Koch!“ rufen sie von der SPD, weil die Idee von dem hessischen CDU-Regierungschef Roland Koch stammt. Merkel gibt spitz zurück: „Heute rede ich!“

Das Bemerkenswerte im Sinne des Kauderschen Geistes sind aber die Zwischentöne und die Auslassungen. Das Stichwort „Mehrwertsteuersenkung für Hotel“ fällt bei Merkels Aufzählung der Wohltaten unter den Tisch. Das Stichwort Steuerreform wird unter dem Aspekt „Gerechtigkeit“ behandelt, die vor allem bei kleinen und mittleren Einkommen verbessert werden solle – das freidemokratische Zentralargument für Steuersenkungen klingt bei Merkel nur halb satirisch an: „... dass sie sogar Wachstum schaffen!“ Lange Passagen widmet die CDU-Chefin stattdessen der „politischen Kunst“, kostenträchtige Anreize für Wachstum und die Solidität der Finanzen miteinander in Einklang zu bringen. „Wir glauben, wir können es schaffen“, lautet ihr letzter Satz. Die Koalitionsfraktionen klatschen lange, aber ohne merkbare Begeisterung.

Überhaupt, der Applaus. Merkel wird von CDU, CSU und FDP relativ einhellig beklatscht. Gregor Gysi ist als Nächster dran. Der Linksfraktionschef ruft in zwölf Minuten neun Mal „Skandal“, bis ihm offenbar selber auffällt, dass auch Worte durch Inflation an Wert verlieren. Ansonsten bleibt von seiner Rede vor allem festzuhalten, dass er natürlich ebenfalls den Verdacht des „angesagten Wahlbetrugs“ in NRW erhebt: Erst nach dem Wahlsonntag am 9. Mai werde der Finanzminister Wolfgang Schäuble das Messer an den Sozialetat anlegen: „Für wie doof halten Sie denn die Leute?“

Gysi bekommt von Union und FDP naturgemäß keinerlei Beifall, so wenig wie später die Grüne Renate Künast, von deren Philippika vor allem der diskriminierungspolitisch nicht ganz unbedenkliche Vergleich hängen bleibt, dass die drei Koalitionschefs wie „archaische Stammesfürsten“ ihren Frieden durch „den gemeinsamen rituellen Verzehr von rohem Fleisch“ besiegelt hätten.

Nicht ganz so selbstverständlich ist hingegen die Zurückhaltung, mit der die Union die zweite Rednerin in seriösem Schwarz bedenkt. Die FDP-Fraktionschefin Birgit Homburger ist in den Chaoswochen zwischen Koalitionsvertrag und „Borchardt“-Frieden die Lautstärkste unter den Liberalen gewesen, die auf Steuersenkung ohne Wenn und Aber gepocht hatte. Das tut sie jetzt nicht mehr ausdrücklich. Aber liegt es an Homburgers durchdringender Stimmlage, an ihrer nahezu punktundkommafreien Geschwindigkeit, an der durch keinerlei Differenzierung getrübten Gewissheit? Jedenfalls entringt ein an sich wenig spektakulärer Satz wie „Wir haben ein anderes Verständnis vom Staat!“ nicht nur den Sozialdemokraten schon wieder ein gequältes „Oh ja!“ Die FDP-Fraktion applaudiert stramm. Die Union nicht. Die Kanzlerin guckt wieder geradeaus. Westerwelle schaut mit durchgedrücktem Rücken zu seiner Vorfrau hinüber, was wohl als geistig-politische Unterstützung gedacht ist.

So also steht es um den Geist in der Koalition. Ist es ein Wunder, dass der SPD-Fraktionschef leichtes Spiel hat an diesem Tag? Frank-Walter Steinmeier überlässt sich zwar auch der Versuchung, Inflation mit starken Worten zu betreiben – „Totalversagen“ oder „blödsinnige Entscheidungen“ oder ein „Sie sind doch nicht ganz bei Trost!“ Doch das ist dem Umstand geschuldet, dass Steinmeier sich im eigenen Lager dagegen wehren muss, für einen Oppositionsführer zu harmlos zu sein. Wenn der Haushalt in ein paar Wochen verabschiedet wird, wird Parteichef Sigmar Gabriel reden. Es wird dann bestimmt welche geben, die Vergleiche anstellen.

Aber es gibt auch Sätze bei Steinmeier, die tun wirklich weh, weil sie gerade in der CDU ehrlicherweise sagen müssten: Der Mann hat recht. Etwa mit dem Spruch, die Bürger hätten diese Regierung „nicht gewählt, um schlecht unterhalten zu werden, sondern um gut regiert zu werden“. Oder mit der Kritik, dass für Unfug wie die Mehrwertsteuer-Milliarde für Hoteliers Geld verschleudert werde. „Das Stück heißt ’Im Himmel ist Jahrmarkt’“, ätzt Steinmeier. Thomas de Maizière guckt auf. Das ist sein Spruch, mit dem er als Kanzleramtsminister der großen Koalition immer auf Ausgabendisziplin gepocht hat! Und übrigens, Herr Schäuble – fährt Steinmeier fort – seit 40 Jahren in der Politik und einen so guten Ruf: „Warum machen Sie das Theater mit?“ Der Finanzminister guckt indifferent. Das sind die Momente, in denen diese Debatte wirklich einmal das ist, als was sie sprichwörtlich gilt: Die Stunde der Opposition.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false