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So etwas kommt ja in Deutschland nicht so gut an - Angela Merkel mit George W. Bush.

© Boris Roessler, dpa

Bundestagswahl 2017: Die drei Traumata der Angela Merkel

Die SPD wittert die Schwächen der Kanzlerin. Gerechtigkeit, Militär, Verhältnis zu den USA: Mit diesen Themen könnte Martin Schulz punkten. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Malte Lehming

In Angela Merkels politischer Karriere gibt es drei prägende Momente: der Schulterschluss mit der US-Regierung im Irakkrieg, der als neoliberal wahrgenommene CDU-Parteitag 2003 in Leipzig, die NSA-Affäre. Jedes Mal musste die sonst so vorsichtig agierende Merkel leidvoll erfahren, dass sie Teil einer Minderheit war. Ideologische Einsamkeit verband sich mit dem Vorwurf, die Stimmung der Deutschen falsch eingeschätzt zu haben. Etwas pathetisch ausgedrückt könnte man auch von drei Traumata reden.

Radikale Entscheidungen fällte die Kanzlerin auch sonst – Atomausstieg nach Fukushima, Aussetzung der Wehrpflicht, Abwrackprämie in der Finanzkrise, Härte gegenüber europäischen Schuldenländern, Mindestlohn, offene Grenzen in der Flüchtlingskrise. Doch dies geschah, mehr oder weniger jedenfalls, im Einklang mit der nationalen Befindlichkeit.

Bei den Themen Freiheit oder Gerechtigkeit, Krieg oder Frieden, gutes Amerika versus böses Amerika indes versagte ihr Kompass. Kein Wunder, dass der designierte Kanzlerkandidat der SPD, Martin Schulz, genau hier den Keil ansetzt. Denn zu den großen Rätseln der bundesdeutschen Politik gehört ja die Frage, warum ein ziemlich sozialistisches, pazifistisches und amerikakritisches Land seit zwölf Jahren von einer christdemokratischen Kanzlerin regiert wird.

Irakkrieg als als unumgängliche Schadensbegrenzung

Der Reihe nach. Im Februar 2003 veröffentlichte Merkel einen Beitrag in der „Washington Post“, der sich vor dem Hintergrund von Gerhard Schröders lautem Nein zum Irakkrieg wie eine Unterstützung von George W. Bush lesen musste. Darin hieß es: Die wichtigste Lektion deutscher Politik sei, dass es nie wieder einen deutschen Sonderweg geben dürfe. Leider werde diese Lektion von der Bundesregierung „anscheinend mit leichter Hand“ und aus „wahltaktischen Gründen“ negiert.

Fünf Wochen später, also genau eine Woche nach Beginn des amerikanisch-britischen Angriffs, verteidigte sie diesen als unumgängliche Schadensbegrenzung. „Man hatte einen Punkt erreicht, an dem Krieg unvermeidbar geworden war“, sagte sie. „Bei einem Nichthandeln wäre der Schaden noch größer gewesen.“ Um ein Haar hätte sich dieses Urteil gerächt. Merkels Wahlsieg 2005 fiel auch deswegen äußerst knapp aus.

Die Aversion vieler Deutscher gegen militärische Interventionen spiegelt sich auch in aktuellen Umfragen wider. Im Juni 2015 sprachen sich – laut Forschungsinstitut Pew – 58 Prozent der Deutschen gegen militärische Hilfe für einen Nato-Partner im Fall eines Kriegs mit Russland aus, obwohl eine solche Hilfe nach Artikel 5 des Nato-Vertrages verpflichtend wäre. In keinem anderen Land war die Ablehnung größer. Im Dezember 2016 wiederum lehnte die Mehrheit der Deutschen in einer Forsa-Umfrage höhere Verteidigungsausgaben strikt ab. Nur 32 Prozent sprachen sich dafür aus.

Ähnlich von der Rolle wirkte Merkel nach dem Leipziger Parteitag 2003, wo sie mit Paul Kirchhof und anderen für mehr Eigenverantwortung und Leistungsbereitschaft der Deutschen geworben sowie die Sozialstaatsmentalität der rot-grünen Bundesregierung gegeißelt hatte. Ein Norbert Blüm war damals niedergepfiffen worden. Wie eine Klette klebte daraufhin das Etikett „neoliberal“ an Merkel. Dabei votieren die Deutschen, wenn man sie vor die Alternative Freiheit oder Gerechtigkeit stellt, traditionell für mehr Gerechtigkeit. Laut einer Forsa-Umfrage vom Dezember 2016 kritisieren 84 Prozent zu hohe Managergehälter, nur 24 Prozent sind der Meinung, dass es in Deutschland alles in allem gerecht zugeht.

Edward Snowden ist in Deutschland beliebt

Schließlich die NSA-Affäre. Edward Snowden ist in Deutschland beliebt, laut einer YouGov-Umfrage vom September 2016 befürworten 71 Prozent dessen Begnadigung. Merkel aber musste sich auch vom Koalitionspartner SPD vorwerfen lassen, kein Rückgrat gegenüber den USA zu haben, ein unmündiger Befehlsempfänger zu sein, die mögliche Staatsaffäre aussitzen zu wollen.

Gerechtigkeit, Militär, USA: Auf diesen drei Gebieten ist Merkel verwundbar. Das wissen auch Martin Schulz und die SPD. Weil aber Schulz im Unterschied zu Sigmar Gabriel und Co. in den vergangenen Jahren nicht in die Regierungsverantwortung eingebunden war und keine ministeriale Räson an den Tag legen muss, ist er ideologisch und rhetorisch frei, die Kanzlerin bei diesen drei Themen vor sich her zu treiben. Er wird es tun.

Die Retourkutsche, vor allem 20 Jahre Brüsseler Bürokratie in den Knochen zu haben, könnte sich – zumal von einer angeblich proeuropäischen Partei wie der CDU vorgebracht – als vergleichsweise harmlos entpuppen.

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