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Bundestagswahl: Die ausländische Presse klagt über den "schläfrigen Wahlkampf"

Einhelliges Urteil von New York bis Moskau: Der deutsche Wahlkampf sei langweilig, die Kanzlerkandidaten präsentierten sich harmoniesüchtig und hölzern. Eine internationale Presseschau.

Die Korrespondenten und Kolumnisten ausländischer Zeitungen schildern den deutschen Bundestagswahlkampf als erschreckend langweilig. Die Journalisten vermissten in den vergangenen Tagen einen echten Wahlkampf, eine Auseinandersetzung der Parteien.

Der Guardian aus England schrieb: "Deutschland bewegt sich wie im Schlaf auf die Bundestagswahlen zu, als gäbe es kein Thema, das die Debatte lohnen würde." Schuld daran sei die Große Koalition. "Die Politiker werden kaum aufeinander einschlagen, wenn sie bald am selben Kabinettstisch zusammensitzen."

Auch ABC aus Madrid analysierte, dass Deutschland gegenwärtig eine "politische Klasse habe, der kein Zacken aus der Krone fällt", wenn man untereinander einig sei.

"Die zwei größten deutschen politischen Parteien haben bisher keine Methode gefunden, um nach vier Jahren des gemeinsamen Regierens den Wählern klar zu machen, worin sie sich unterscheiden und wie sie nach der Wahl zu regieren beabsichtigen", fasste die polnische Zeitung Rzeczpospolita die Lage vor der Wahl zusammen.

Rossijskaja Gaseta aus Russland kritisiert Merkel und Steinmeier wegen der großen Harmonie im Wahlkampf: Sie seien nicht wie zwei Gegner aufgetreten, sondern wie Gleichgesinnte, die sich offenbar nichts Besseres vorstellen könnten, als ihre Koalition fortzusetzen. Diesen Eindruck gewann auch die Gazeta Wyborcza aus Polen bei der Betrachtung des TV-Duells der beiden Kanzlerkandidaten. "Hätte der Kampf in einem wahren Ring stattgefunden, wären Merkel und Steinmeier wegen Kampfvermeidung disqualifiziert worden." Beide seien dadurch aufgefallen, auf keinen Fall den Gegner zu verletzen.

Für die Presse von Washington bis Warschau steht fest, dass Angela Merkel und die Union als Sieger aus der Wahl hervorgehen werden.

Das Wall Street Journal schreibt, dass Merkel die klare Favoritin sei. Die BBC aus Großbritannien spricht vom Merkel-Faktor, der die Wahl wohl entscheiden werde.

Dass die Kanzlerin nun beim G-20-Gipfel in Pittsburgh einen staatsmännischen Auftritt hat, rechnen ihr die ausländischen Journalisten als weiteren Sonder-Bonus an. "Angela Merkels Agenda für ihre Reise in die Vereinigten Staaten passt perfekt zum deutschen Wahlkampf, in dem alle Parteien bis hin zu den Liberalen den sozialen Aspekt ihrer Programme besonders herausgestellt haben", schreibt die spanische Zeitung El Pais.

Während SPD-Spitzenkandidat Frank-Walter Steinmeier sich allein seinem Wahlkampf widme, sehe sich Merkel einmal mehr von den Staats- und Regierungschefs der Welt umgeben, meinen die spanischen Journalisten. "Die unveränderte Botschaft lautet: Egal, was die anderen tun, ich bin und bleibe die Kanzlerin. Und alle Umfragen geben ihr Recht."

Le Monde aus Frankreich hebt Merkels präsidialen Stil hervor: "Für die letzten Tage vor dem Urnengang wird sie mit Sicherheit kein Jota von ihrer Strategie abweichen: kein lautes Wort, kein schiefer Blick gegenüber dem Regierungspartner." Laut der französischen Zeitung komme dies in Deutschland sehr gut an. "Wenn man eine Vorhersage treffen kann, dann zweifellos diese: Angela Merkel wird nach dem 27. September ihre eigene Nachfolgerin sein", prophezeite Le Monde.

Le Figaro aus Paris sieht den Wahlausgang offener als die Kollegen. "Merkel hat die Zielgerade abgewartet, um endlich in die Offensive zu gehen. Eine Woche vor der Bundestagswahl, deren Ausgang noch ungewiss ist, hat sie ihrem bisherigen sozialdemokratischen Koalitionspartner vorgeworfen, ein Bündnis mit der radikalen Partei "Die Linke" im nächsten Bundestag eingehen zu wollen."

Doch die Schilderung der politischen Auseinandersetzungen kommt in den ausländischen Medien kaum vor. Der deutsche Wahlkampf wurde meist als fad empfunden.

"Langweilig" und "träge" sei der ganze Wahlkampf gewesen, fällte Rzeczpospolita aus Warschau ein vernichtendes Urteil.

Die New York Times stellte fest, dass lediglich der neue Bundeswirtschaftsminister von Guttenberg den langweiligen Wahlkampf belebe. Es sei "mehr wie ein Popstar als ein Politiker".

The Times aus London schrieb: "Bislang hat dieser schläfrige Wahlkampf kaum politische Leidenschaft aufflackern lassen. Deutschland scheint in eine Wahl zu schlafwandeln, die nach Einschätzung der meisten Menschen Merkel wieder ins Amt bringt."

Doch die Kanzlerin zeige nach Meinung der britischen Journalisten Schwächen: "Merkel fehlt das Feuer, sie vermittelt keine Visionen und die ruppige Rhetorik einer Wahlrede ist ihr zuwider."

Vor vier Jahren habe Merkel einen komfortablen Vorsprung verbraucht und bei den Wahlen beinahe gegen Amtsinhaber Gerhard Schröder verloren. "Wird das wieder passieren? Wird Steinmeier die Lücke schließen?", fragte die Times und verneint:  "Es sieht nicht danach aus. Steinmeier ist beinahe ein ebenso hölzerner Wahlkämpfer wie die Kanzlerin."

Quelle: ZEIT ONLINE

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