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Der designierte SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz liegt zurzeit in Umfragen elf Punkte vor Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).

© dpa

Bundestagswahl: Mit Schulz kommt Bewegung in den Wahlkampf

Der Wahlkampf drohte müde zu werden: Merkel das kleinere Übel, keine Alternative in Sicht. Die Kandidatur von Martin Schulz aber hilft nicht nur der SPD. Ein Kommentar.

Sind die Deutschen ihrer Kanzlerin so überdrüssig, wie sie es ihres christdemokratischen Vorgängers Helmut Kohl im Herbst 1998 waren? Ist Martin Schulz der Gerhard Schröder des Jahres 2017? Müßige Gedankenspiele. Bis zum Wahltag sind es noch sieben Monate, bis dahin kann viel passieren. Und wie viel Wandel in kurzer Zeit möglich ist, das haben die wenigen Wochen seit der Nominierung des früheren Präsidenten des EU-Parlaments zum sozialdemokratischen Kanzlerkandidaten gezeigt.

Mag sein, dass die CDU oder wer auch immer noch irgendwelche Details aus dem Vorleben des Hoffnungsträgers aus Würselen herausfinden, die sein Ansehen beschädigen können. Eines wissen wir jetzt schon: Der deutschen Politik fehlte ein Aufbruchsignal. Die Wähler sehnen sich nach einer Alternative.

CSU- Chef Horst Seehofer hat das Ansehen der christdemokratischen Bundeskanzlerin mit der verbalen Abrissbirne so systematisch wie verantwortungslos zerstört. Mit der für alle Beteiligten peinlichen Demütigung der Regierungschefin beim CSU-Parteitag im November 2015 hatte er ihr jeden schnellen Kurswechsel in der Migrationspolitik ohne totalen Gesichtsverlust unmöglich gemacht – und als Nebeneffekt AfD und Pegida die Vorlagen geliefert für das, was in der politischen Auseinandersetzung in Deutschland plötzlich zulässig zu sein schien.

Plötzlich liegt Schulz elf Punkte vor Merkel

Ein resignativer Wahlkampf zeichnete sich ab. Angela Merkel als das geringste Übel, leider keiner da, der mehr Vertrauen genoss. Dass Sigmar Gabriel dies erkannte, ist ihm nicht hoch genug anzurechnen. Tatsächlich musste nur ein unverbraucht wirkender (was er de facto ja gar nicht ist) Politiker wie Martin Schulz kommen, um die Wähler wachzurütteln. Plötzlich verzeichnet die SPD den stärksten Zuwachs, den eine Partei jemals zwischen zwei Politbarometer-Befragungen erzielt hat. Plötzlich liegt dieser Martin Schulz in der Kanzlerpräferenz elf Punkte vor der seit zwölf Jahren regierenden Regierungschefin. Wie über Nacht trauen dreimal mehr Wähler der SPD soziale Kompetenz zu als der CDU.

Und auch das sagen die Daten: Die Linke verliert Stimmen, die AfD sackt ab. Beides sind Schulz-Effekte. Wenn die SPD wieder als Kämpferin für soziale Gerechtigkeit wahrgenommen wird, dann kostet das die Linke Stimmen. Viele um ihre kleine Existenz fürchtende Wähler machen ja bei den Rechtsextremen nur ihr Kreuz, weil sie glauben, dort kümmere man sich mehr um sie.

Für die CDU und die CSU mögen all diese Zahlen dramatisch sein. Ob sie sich am 24. September aber auch als Wahlergebnis verfestigen, ist völlig ungewiss. Sicher aber lässt sich – Stand heute – sagen, dass die Nominierung von Martin Schulz nicht nur gut für die SPD, sondern zudem gut für eine deutlich höhere Wahlbeteiligung ist.

Wählen heißt doch, sich für eine von mehreren Möglichkeiten zu entscheiden. Schulz oder Merkel – das sind zwei Optionen. Die Entscheidung für den Sozialdemokraten muss nicht bedeuten, dass am Ende eine rot-rot-grüne Koalition Deutschland regieren wird. Eine Mehrheit hätte sie noch nicht, und R2G wollen ohnedies nur ganz wenige Wähler – sieben Prozent, sagt die Forschungsgruppe Wahlen. Vier mal so viele fänden eine Neuauflage der großen Koalition gut.

Dass die von einem Sozialdemokraten geführt werden könnte, scheint nicht unmöglich zu sein. Wenn die Dynamik der letzten Wochen anhält.

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