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Bisher mussten erwachsene Asylbewerber von 224 Euro monatlich und Jugendliche von 200 Euro leben. Nach dem Urteil stehen Erwachsenen nun 336 Euro zu. Für 15- bis 18-Jährige haben 260 Euro zu fließen.

© dpa

Bundesverfassungsgericht: Mehr Menschenwürde im Asyl

Seit 1993 wurden die Leistungen für Asylbewerber nicht mehr erhöht - trotz Inflation. Das Bundesverfassungsgericht wertet dies als Verletzung der Menschenwürde und verpflichtet die Behörden, Flüchtlingen genauso viel Sozialhilfe zuzugestehen wie Deutschen. Wohlfahrtsverbände und Menschenrechtsorganisationen begrüßen den Urteilsspruch.

Kopfschüttelnd sitzt Mohammad-Ghader Mohammadi im Büro von Sozialberaterin Tahereh Lindhorst im Flüchtlings-Wohnheim Marienfelde. „Das Geld für uns Asylbewerber reicht einfach nicht aus“, klagt er. Seit fünf Monaten ist Mohammadi in Berlin. Aus der iranischen Provinz floh der Journalist, weil er politisch verfolgt wurde. Seither lebt er von 212,36 Euro im Monat. Hinzu kommen 28,50 Euro für ein S-Bahn-Ticket. „Davon muss ich Lebensmittel, Kleidung und Hygieneartikel kaufen“, sagt der 28-Jährige. Dabei möchte er sich nicht dauernd nur mit der Suche nach Billigangeboten beschäftigen. „Dem Menschen muss ermöglicht werden, Mensch zu sein“, fordert er.

Mohammadi ist erleichtert, dass das Bundesverfassungsgericht das offenbar genauso sieht. Trotz Inflation wurden die Leistungen für Asylbewerber seit 1993 nicht mehr erhöht – was bedeutet, dass sie inzwischen real um rund 30 Prozent gesunken sind. Die Richter werteten das am Mittwoch als klaren Verfassungsverstoß, und zwar gegen Artikel 1 des Grundgesetzes, der die Menschenwürde für unantastbar erklärt. „Dieses Grundrecht steht deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, gleichermaßen zu“, betonten sie. Und unterstellten der Politik, diesen Grundsatz nicht nur aus Nachlässigkeit missachtet zu haben. Migrationspolitische Erwägungen, die Leistungen an Asylbewerber und Flüchtlinge niedrig zu halten, um „Wanderungsbewegungen“ zu vermeiden, seien nicht zu rechtfertigen, sagte der Vorsitzende Richter Ferdinand Kirchhof.

Der Gesetzgeber habe den Bedarf von Asylbewerbern „weder realitätsgerecht ermittelt noch in der Folgezeit mit Hilfe nachvollziehbarer Methoden neu bewertet“, heißt es in der Urteilsbegründung. Mit den bisherigen 224 Euro monatlich für Erwachsene und 200 Euro für Jugendliche sei das Minimum für eine menschenwürdige Existenz klar unterschritten. Schließlich, so Kirchhof, gehe es dabei nicht ums bloße Überleben, sondern auch um Möglichkeiten zur Kontaktpflege und Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben.

Die Folgerung des obersten Gerichts ist unmissverständlich: Flüchtlinge müssen hierzulande so viel bekommen wie Deutsche für Sozialleistungen. Konkret stehen einem allein lebenden erwachsenen Asylbewerber bis zu der geforderten gesetzlichen Neuregelung somit 336 Euro zu – ein Drittel mehr als bisher. Für 15- bis 18-Jährige haben 260 Euro zu fließen. Diese Sätze gelten ab sofort und für Flüchtlinge mit laufenden Gerichtsverfahren sogar rückwirkend ab 2011. Ob Asylbewerber weiter teilweise auch mit Sachleistungen abgespeist werden können, wie etwa in Bayern, ließ das Gericht offen.

Die angeordnete Nachbesserung wird nicht billig. Nach Angaben des Landkreistages belaufen sich die Mehrkosten auf bis zu 130 Millionen Euro jährlich. Schließlich beziehen in Deutschland derzeit 130 000 Menschen Asylbewerber- Leistungen. Und bislang war es so, dass sie erst nach vier Jahren die höheren Hartz-IV-Sätze erhielten. Allein für Berlin rechnen die Behörden mit Zusatzkosten von rund neun Millionen Euro jährlich.

Das Urteil - ein "Sieg der Menschlichkeit"

Sozialverbände werteten das Urteil als „Sieg der Menschlichkeit“ und als „schallende Ohrfeige für die Bundesregierung“. Die Tatsache, dass das Gericht die Nachzahlungen „unverzüglich“ und sogar rückwirkend anordnete, zeige, für wie gravierend es den Verfassungsbruch gehalten habe, sagte der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Ulrich Schneider. Es müsse Regierungen und Parlamente „mehr als nachdenklich stimmen“, dass Karlsruhe damit nun schon zum zweiten Mal zu niedrige Sozialleistungen moniert und das verfassungsrechtlich gebotene Existenzminimum eingefordert habe, sagte er und erinnerte an das Hartz-IV-Urteil von 2010.

Auch bei Caritas und Diakonie herrscht offene Freude. Das Urteil mache „der Verweigerungshaltung der Bundes- und Landesregierungen in den letzten 15 Jahren endgültig ein Ende“, sagte Diakonie-Präsident Johannes Stockmeier. Es sei „beschämend“, dass es hierzu einen Richterspruch gebraucht habe. Als Nächstes müsse es nun auch ein Ende haben mit Sachleistungen und einjährigem Arbeitsverbot. Asylbewerber seien „keine Menschen zweiter Klasse“, bekräftigte Caritas-Präsident Peter Neher.

Die Integrationsbeauftragte der Regierung, Maria Böhmer, begrüßte das Urteil ebenfalls. Sie habe sich seit Jahren für höhere Leistungen eingesetzt, versicherte die CDU-Politikerin. Das Sozialministerium teilte mit, dass man das Urteil respektiere. Die Regierung werde unverzüglich eine verfassungskonforme Neuregelung erarbeiten und dabei auch den Anspruch auf Bildung und Teilhabe für Kinder und Jugendliche umsetzen. Einen Termin dafür nannte das Ministerium jedoch nicht.

Reza Alahreiz Maloutorki hat die Urteilsverkündung im Fernsehen mitverfolgt. „Meine Frau und mein Sohn sind im Iran geblieben“, erzählt der Asylbewerber. Von dem wenigen, das er erhält, muss er auch Telefonkarten bezahlen, um mit ihnen sprechen zu können. Das mit dem Geld sei schwierig. Aber weit wichtiger sei es ihm, seine Familie wiederzusehen, sagt Maloutorki mit Tränen in den Augen. Ihr Nachzug ist nur möglich, wenn sein Asylantrag positiv ausfällt. Seit über einem Jahr wartet der Maschinenbauer darauf.

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