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Bundeswehr in Afghanistan: Kaum einsatzbereit

Die Bundeswehr soll die Sicherheit im Norden Afghanistans gewährleisten. Doch für den gefährlichen Einsatz fehlen den Streitkräften Kampfhubschrauber und Panzer.

Der deutsche Oberst Georg Klein traf in Afghanistan eine fatale Fehlentscheidung. Er befahl eine Bombardierung, bei der neben zahlreichen Taliban-Kämpfern mindestens 40 Zivilisten starben. Doch diese Fehlentscheidung könnte am Ende auch an der Bundeswehrausrüstung in Afghanistan liegen – denn diese scheint für den schwierigen Einsatz nicht auszureichen.

Oberst Klein gab amerikanischen Kampfjets den verhängnisvollen Befehl, in der Nacht zum 4. September in der Nähe von Kundus zwei von Taliban entführte Tanklaster zu bombardieren. Seine Entscheidung fällte er mithilfe von amerikanischen Aufklärungsbildern. Seine Soldaten rückten nicht aus der Kaserne aus, um die Tanklaster selber in rund sechs Kilometer Entfernung aufzuklären. Einen Einsatz von Bodentruppen schloss Klein wohl auch aus, weil nicht genügend schwer gepanzerte Fahrzeuge zur Verfügung standen. Die schlagkräftigsten Einheiten seien in der Anti-Taliban-Mission Aragon gebunden gewesen, sagten Offiziere der Süddeutschen Zeitung. Aragon ist eine gemeinsame Offensive von afghanischen und deutschen Soldaten, die rund 60 Kilometer von Kundus entfernt abläuft.

Und so konnte Oberst Klein auch keine Schützenpanzer vom Typ Marder einsetzen. Der Sprecher des Verteidigungsministers, Thomas Raabe, sagte, dass "bestimmte Fähigkeiten" nicht zur Verfügung standen. Der Marder ist die stärkste und schwerste Waffe, welche die Bundeswehr in Afghanistan einsetzen kann. Die Schützenpanzer wurden erst vor Kurzem nach Kundus verlegt, um der schlechter werdenden Sicherheitslage zu begegnen.

Lange Zeit hatte das Verteidigungsministerium auf schweres Kriegsgerät verzichtet. Die Bundeswehr führe keinen Krieg, beteuert Verteidigungsminister Franz Josef Jung immer wieder. Sein Amtsvorgänger und Parteifreund Volker Rühe kritisierte, dass das Ministerium in Afghanistan auf schwere Waffen verzichte, weil diese zu kriegerisch aussehen. "Wir sollten über bessere Ausrüstung nachdenken", sagte Rühe dem Spiegel.

Zu kriegerisch sind wohl auch schwere Panzer vom Typ Leopard II oder Artilleriegeschütze wie die Panzerhaubitze 2000, die in Afghanistan nicht verwendet werden. Die Bundesregierung hat zudem rund 20 Leopard-Panzern den Kanadiern für die ISAF-Mission ausgeliehen.

Ein Einsatz der Panzerhaubitze wäre mit dem aktuellen Mandat kaum möglich. Wenn die Bundeswehrcamps mit Raketen oder Mörsern beschossen werden, dürfen die deutschen Soldaten das Feuer mit schweren Waffen sowieso nicht erwidern – den Einsatz von Artillerie gibt das Mandat nicht her. Der Marder, der seit 30 Jahren von der Bundeswehr eingesetzt wird, soll im kommenden Jahr durch den Puma abgelöst werden. Doch ob der Schützenpanzer der neuen Generation rechtzeitig ausgeliefert wird, ist fraglich. Der Bundesrechnungshof beklagte bereits Mängel bei Motor, Getriebe und Fahrwerk.

Nicht nur die Panzer zeigen Schwächen in Afghanistan. Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel zitierte jüngst aus vertraulichen Bundeswehrpapieren: Wegen "fehlender Ersatzteilversorgung und unzureichender Instandsetzungskapazitäten" stünden Dingo- und Wolf-Geländewagen "zum Teil mehrere Wochen" nutzlos herum. Die Flotte von 700 gepanzerten Fahrzeugen sei insgesamt "mangelhaft".

Und damit ist die Mängelliste noch lange nicht am Ende. Auch Kampfhubschrauber fehlen der Truppe am Hindukusch. Der neue Hubschrauber vom Typ Tiger, der mit großem Tam Tam vorgestellt wurde, scheint für den Einsatz in Afghanistan nicht geeignet zu sein. Die Maschine wurde noch zu Zeiten des Kalten Krieges entworfen und sollte zur Abwehr feindlicher Panzer dienen. Der Bundesrechnungshof kritisierte das Projekt bereits vor Jahren: der Tiger flöge zu langsam. Der Hersteller Eurocopter besserte nach, doch nun stellte die französischen Streitkräfte fest: Das Getriebe des Tigers ist zu schwach für die extremen Höhenlagen in Afghanistan und kommt zudem mit dem heißen Klima nicht zurecht. Die Bundeswehr kündigte an, ein Dutzend Maschinen nachzurüsten.

Zum Einsatz kommt der Helikopter CH-53, der zum Truppentransport genutzt wird. Doch der Helikopter ist drei Jahrzehnte alt und anfällig. Im vergangenen Jahr musste das Verteidigungsministerium einräumen, dass drei Tage lang in Afghanistan kein einziger CH-53 flugbereit war. Das Heer braucht die Maschinen aber dringend für Notfälle, wenn von Feinden eingeschlossene Soldaten ausgeflogen oder Verletzte gerettet werden müssen.

Ersetzt werden soll das "Arbeitstier der Heeresflieger" mit dem Modell NH-90 von Eurocopter. Doch auch hier gibt es Probleme bei Auslieferung und Leistung. Bereits 1992 gab Kanzler Helmut Kohl die Entwicklung in Auftrag. Die Auslieferung verzögerte sich immer wieder – auch weil die Militärs das Anforderungsprofil ständig änderten: 1997 sollte nach Vorgabe des Verteidigungsministeriums die erste NH-90-Staffel einsatzbereit sein, dann wurde 2004 daraus und schließlich 2009. Doch bleiben die acht an die Bundeswehr in Deutschland ausgelieferten Hubschrauber wegen technischer Mängel häufig am Boden.

So lange diese aber nicht in Afghanistan sind, fehlt der Bundeswehr häufig Luftunterstützung für ihre Einsätze. Zwar hat die Bundesregierung ein kleines Geschwader Tornado-Kampfjets entsandt. Doch die Recce-Tornados dienen allein der Luftaufklärung. Sie dürfen keine Bodenziele angreifen und selbst die Einschüchterung möglicher Gegner ist ihnen Untersagt. Wenn hochrangige deutsche Politiker die Bundeswehr im Norden besuchen, dann übernehmen amerikanische Kampfjets die Flugraumüberwachung. Die Flugzeuge bleiben stets in großen Höhen, sodass ihnen die veralteten Stinger-Raketen der Taliban nicht gefährlich werden können. Deutsche Offiziere hinterfragen allerdings, ob die Taliban überhaupt noch über moderne Flugabwehrwaffen verfügen.

Der Tornado-Einsatz ist zudem umstritten, weil die gemachten Fotos erst nach der Landung entwickelt und ausgewertet werden können. Doch ein mobiler Gegner, wie Taliban-Kämpfer in Jeeps und Pick-Ups, ist dann längst zahlreiche Kilometer von der erfassten Position entfernt. Die Tornados seien "operativ nutzlos" und dienten "lediglich als Beruhigungsaufgabe für nicht erbrachte Leistungen an anderer Stelle im Bündnis", fasst der Afghanistan-Experte Stefan Kornelius in seinem Buch Der unerklärte Krieg zusammen.

Und der Kommandant Klein hätte die deutschen Tornados nicht einsetzen können, da die Bundeswehr für die Luftwaffe ein Nachtflugverbot verhängt hat – das gilt übrigens auch für Hubschrauber. Ein Grund für das Flugverbot in Dunkelheit ist das Fehlen von geeigneten Nachtsichtgeräten für die Piloten.

Kornelius schreibt zudem, dass der Bundeswehr ein modernes Aufklärungssystem fehle, das Informationen von Drohnen und Satelliten verbindet. Aus der Bundeswehr ist außerdem zu hören, dass die deutschen Drohnen bei Temperaturen von 40 Grand Celsius und mehr häufig abstürzen.

Wozu schlechte Aufklärung führen kann, zeigt die fatale Bombardierung der Tanklaster. Wenn die Berichte stimmen, hatte Oberst Klein lediglich aus großer Höhe aufgenommene Fotos und Angaben des unzuverlässigen afghanischen Geheimdienstes zur Verfügung, um eine Entscheidung über Leben und Tod zu fällen. Seine Besorgnis, dass die Taliban die entführten Tanklaster für Anschläge verwenden wollten, war vielleicht richtig. Doch dass die Laster festgefahren waren und mehr als 70 Menschen mit Maultieren um sie herum standen, von denen die wenigsten bewaffnet waren, hätte er mithilfe einer Drohne erkennen können.

Quelle: ZEIT ONLINE

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