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Bundeswehr: Narben auf der Seele

Schlafstörungen, grausige Bilder, die man nicht mehr los wird, Schuldgefühle: Die Zahl der Soldaten, die traumatisiert von Auslandseinsätzen zurückkommt, hat sich verdreifacht

Von Michael Schmidt

Berlin - Schlafstörungen, grausige Bilder, die man nicht mehr los wird, Schuldgefühle – es gibt viele Stresssymptome, die Soldaten das Leben schwer machen. Ein Ausweis der Tatsache, dass die derzeit 6900 Bundeswehrsoldaten im Auslandseinsatz keine Entwicklungshelfer in Uniform sind, die nur Brunnen und Brücken bauen, sondern Angehörige einer Armee, die kämpfen, schießen, töten, ist die Zahl psychischer Erkrankungen in der Truppe. Und die steigt. Von 218 im Jahr 2006 hat sie sich binnen zwei Jahren auf 419 im Jahr 2008 verdoppelt.

Für Generalarzt Christoph Veit, Stabsabteilungsleiter für den Bereich Wehrmedizin im Bundesverteidigungsministerium, sind das „zu erwartende normale Reaktionen auf unnormale Situationen“. Wenn sich Schock, Entsetzen, Betroffenheit jedoch mit der Zeit zu einem Krankheitsbild verfestigten, dann spreche man von posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS), und dann werde es ernst, wie der frühere Leiter des Bundeswehrzentralkrankenhauses in Koblenz weiß. Wie bedrohlich die Lage am Hindukusch von den Soldaten erlebt wird, mag man daran ablesen, dass die Zahl der PTBS-Patienten sich verdreifacht hat, von 80 im Jahr 2006 auf 250 im Jahr 2008.

Für den Wehrbeauftragten der Bundeswehr, Reinhold Robbe (SPD) besteht kein Zweifel daran, dass „wir zudem eine hohe Dunkelziffer unterstellen müssen“. Manche Experten gingen von bis zu zehn Prozent der Einsatzteilnehmer aus. Warum? Weil zum Arzt zu gehen, zumal zu einem Psychologen oder Psychiater, „bis auf den heutigen Tag stigmatisiert ist“, wie Robbe sagt, „und zwar in der Zivilgesellschaft wie in der Bundeswehr“. Doch erfreulicherweise hätten immer mehr Soldaten „den Mut, sich behandeln zu lassen, wenn sie Verhaltensauffälligkeiten bei sich selbst feststellen“.

In einer „Männlichkeit“ und „Härte“ wertschätzenden Truppe keine Selbstverständlichkeit, wie auch Generalarzt Veit weiß. Aber die Überzeugung, „wir sind stark, deshalb darf es so was bei uns nicht geben“, gehöre der Vergangenheit an. „Das ist Geschichte“, sagt Veit. Dabei würden vor allem auch „niedrigschwellige Angebote wie Telefonhotlines und Internetforen helfen, wo die Leute sich anonym informieren können“. Daneben habe die Bundeswehr eine Art psychosoziales Netzwerk geschaffen. Erster Ansprechpartner sei häufig der Kamerad, ein Offizier, Seelsorger oder Sozialberater. Einmal in Behandlung sei es das vornehmliche Ziel der mal ambulanten, mal stationären Therapie, die drei Wochen bis mehrere Monate dauern könne, „das Geschehene nicht zuzudecken, sondern den Patienten zu konfrontieren mit seinem eigenen Erleben, damit er lernt damit umzugehen“. Darum gehe es, sagt Veit, „denn eine Narbe bleibt auf der Seele“. Nicht wenige gingen danach trotzdem wieder in den Einsatz.

Wehrbeauftragter Robbe sieht die Bundeswehr auf einem guten Weg. Aber es bleibe einiges zu tun. „ Wir brauchen eine zentrale Ansprechstelle, zur Behandlung, zur Prophylaxe und vor allem zur Forschung.“ Denn die Forschung in diesem Bereich sei ein „unterbelichtetes Feld“. Es reiche nicht aus, wie von der Sanitätsführung angedacht, „irgendwo eine kleine Abteilung an ein bestehendes Institut für Arbeitsmedizin anzuflanschen“, sagt Robbe. Er mache sich für ein eigenes Institut stark, gut dotiert, um gute Leute bezahlen zu können. Die Truppe sei es wert.

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