zum Hauptinhalt

Politik: Bundeswehr: Sachdienliche Hilfe

Er war Wartungssoldat und reparierte so genannte Höhenradarsuchgeräte der Marke MPS-14 und S-244. Als Radartechniker hatte Wilhelm Drechser zwischen 1967 und 1973 oft stundenlang vor defekten Anlagen gearbeitet, bei offener Gerätetür - "Wie sonst sollte man da rankommen?

Er war Wartungssoldat und reparierte so genannte Höhenradarsuchgeräte der Marke MPS-14 und S-244. Als Radartechniker hatte Wilhelm Drechser zwischen 1967 und 1973 oft stundenlang vor defekten Anlagen gearbeitet, bei offener Gerätetür - "Wie sonst sollte man da rankommen?" 1998 erkrankte Wilhelm Drechsler an Leukämie, seine Arbeit musste er aufgeben. Der Versuch, Stammzellen zu transplantieren, scheiterte. Anerkannt hat die Bundeswehr seine Erkrankung nicht. Die zuständige Wehrbereichsverwaltung stellt heute, im Juli 2001, Fragen, die er mehr als 30 Jahre später nicht mehr beantworten kann: Wie viele Stunden er jährlich oder monatlich vor den stark strahlenden Anlagen gearbeitet habe? Gemessen wurde Strahlung damals nicht, es waren kaum Dosimeter vorhanden. Und weil die Geräte wegen ihrer Gefährlichkeit schon lange außer Betrieb genommen worden sind, lässt es sich auch nicht mehr nachmessen. "In Erinnerung ist mir nur noch, dass während der Nachtschicht empfohlen wurde, mich mit einer Luftmatratze vor den Sender zu legen, um bei einer Störung sofort aktiv werden zu können", sagt Wilhelm Drechsler.

Oder Roger Steinbauer, der seit 1971 am Radar des Flugabwehrsystem Hawk saß. Vor zwei Jahren stellten die Ärzte Leukämie fest. Es geht ihm nicht gut. Und dann der Kampf um die Versorgung seiner Frau und der kleinen Tochter - deren Immunsystem ist seit der Geburt gestört.

Oder Rainer Brockmann. Er starb im Juni 1996 an Leukämie. Von 1963 bis 1992 war er Radarmechanikermeister - er blieb es, auch als ihm die Ärzte 1983 die Krebsdiagnose stellten. Seine Frau bat das Ministerium im Juni dieses Jahres um Unterstützung, die Zahlung einer Hinterbliebenenrente. Das wurde abgelehnt. Dafür akzeptierte das Ministerium nach jahrelangem Gezerre die Krebserkrankung von Brockmanns Kollegem Peter Rasch als Wehrdienstbeschädigung. Rasch hatte an exakt den gleichen Radargeräten gearbeitet wie Brockmann. Diese Ungleichbehandlung bringt den 65-jährigen Rasch auf die Palme. "Wir sind allesamt krank und mühen uns über Jahre durch Prozesse und Klagen. Viele, die einfach kein Geld für gerichtliche Verfahren haben, geben auf." Die Beschädigtenrenten liegen bei bescheidenen 400 bis 1200 Mark.

Im Mai gründete Rasch den "Bund zur Unterstützung Radargeschädigter". Mit vereinten Kräften wollen 400 verstrahlte Radartechniker, die in den 60er und 70er Jahren an unzureichend geschützten Anlagen arbeiteten, ihren früheren Dienstherrn dazu bringen, für sie zu sorgen - viel Zeit haben sie alle nicht mehr.

Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) scheint erkannt zu haben, dass er mit den Bundeswehrangehörigen von einst so nicht umgehen kann. Die Opfer seien in den Anerkennungserfahren nicht in der Lage, die geforderte lückenlosen Beweisketten vorzulegen, sagt er. Wie es heißt, würde Scharping akzeptieren, dass die begründete Vermutung ausreicht, um Berufskrankheiten anzuerkenen. Schließlich geht es auch ums Ansehen der Bundeswehr. "Rechnet man den Vertrauensverlust, (ist) mit einem Etat für die Nachwuchswerbung in Höhe von 18 Millionen nicht dagegen anzukommen", heißt es in dem Abschlussbericht des Ministeriums zum Thema Radar. Der Minister kündigte am 22. Juni an, "großherzig" entschädigen zu wollen. Mehr als Zusatzrenten seien aber im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten nicht drin.

An diesem Montag läuft eine Frist aus, in der sich Scharping zu weiteren Forderungen äußern sollte. Der Berliner Anwalt Reiner Geulen erwägt Schmerzensgeld-Forderungen für fast 300 Mandanten in Millionenhöhe. Er glaubt der Bundeswehr nachweisen zu können, die Männer wissentlich gefährdet zu haben. Ultimaten lasse sich Scharping nicht setzen, heißt es dazu aus dem Ministerium. Von sich aus werde das Verteidigungsministerium keine "Schmerzensgelder" nach amerikanischem Vorbild zahlen. Sollte Geulen aber in den USA gegen die Herstellerfirmen der umstrittenen Anlagen klagen wollen, könne das Ministerium durchaus Hilfestellungen für die Prozesse leisten. Inzwischen melden auch erkrankte Radartechniker der NVA ihre Ansprüche an.

Claudia Lepping

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false